Der G8-Gipfel, die First Ladys und die Feministinnen

Kein Gruppenbild mit Damen

Kurz vor Beginn des G8-Gipfels versuchten italienische Akademikerinnen, den Sexismus von Silvio Berlusconi zu kritisieren. Ihr Appell an die First Ladys der Staats- und Regierungschefs, das Treffen zu boykottie­ren, hatte allerdings keinen emanzipatorischen Ansatz.

Michelle Obama nahm nicht an der Demonstration für die »Unabhängigkeit von Vicenza« teil. Die Gegner des am Mittwoch begonnenen G8-Gipfels in L’Aquila hatten die Demonstration anlässlich des amerikanischen Unabhängigkeitstages organisiert, um gegen den Ausbau des Militärflughafens Dal Molin zu protestieren. Die Präsidentengattin fügte sich stattdessen in ihre Rolle und reiste mit ihrem Mann zum Staatsbesuch nach Moskau. Seit vier italienische Wissenschaftlerinnen auf den Internetseiten der kulturphilosophischen Zeitschrift Micromega einen Appell veröffentlichten, in dem sie die Ehefrauen der Staatsoberhäupter aufforderten, aus Protest gegen den Sexismus des italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi das Treffen zu boykottieren, sorgt der Terminkalender von Frau Obama für mehr Aufregung als der Protest mehrerer tausend Gipfelgegner.

Die vier Akademikerinnen sind »empört« über die Art, in der Berlusconi »die Frauen« behandele. Sie fordern deshalb von den First Ladys weibliche Solidarität: »Die Delegitimierung von Frauen in einem Land trifft und beleidigt die Frauen aller Länder.« Empörend ist für die vier Sozialpsy­chologinnen nicht nur, dass durch das sexistische Verhalten des Regierungschefs das Ansehen ihres Landes in Verruf gerate und die Aufstellung junger Showgirls für politische Ämter jedem auf fachlicher Kompetenz beruhenden Auswahlverfahren widerspreche, sie fürchten vor allem die Auswirkungen auf die nachfolgenden Generationen. Diese würden gezwungen, dem Spek­takel einer arroganten Macht »zuzusehen«, und wüchsen mit einem Geschlechtermodell auf, das den Jungen als rücksichtslosen Macho und die Mädchen als untereinander feindselig und in gefügiger Komplizenschaft mit den Männern darstelle.
Nun wird es beim G8-Gipfel tatsächlich kein Gruppenbild mit Damen geben, allerdings nicht, weil sich die First Ladys gegen den Macho Ber­lusconi vereinigt. Offiziell erscheint ein Damenbesuch in L’Aquila aus Sicherheitsgründen nicht ratsam. Seit Tagen sind in den Abruzzen wieder Erdstöße bis vier Grad auf der Richterskala zu verzeichnen. Die Polizeikaserne gilt als erdbeben­sicherer Tagungsort, dennoch gibt es detaillierte Evakuierungspläne. Inoffiziell kursiert dagegen das Gerücht, die Abwesenheit der italienischen First Lady Veronica Lario Berlusconi, die sich erst zu Beginn des Frühjahrs von ihrem Mann getrennt hat, würde das übliche Protokoll »komplizieren«.
Viele der acht Staatschefs werden deshalb alleine anreisen, während die wenigen First Ladys, die dennoch mitkommen, als Touristinnen in Rom bleiben werden und vermutlich das tun, was Gattinnen immer tun, wenn ihre Männer arbeiten: shoppen. Diese Lösung der Frauenfrage dürfte auch Berlusconi bestens vertraut sein, erst in den vergangenen Wochen wurde bekannt, dass er seinen Harem durch Schmuckgeschenke bei Lau­ne zu halten pflegt.
Der Aufruf zeigt deutlich die Grenzen des vermeintlich emanzipatorischen Ansatzes. Die vier Akademikerinnen empören sich über den von ihm aufgezeigten »negativen Weg« zur weiblichen Autonomie und Selbstverwirklichung. Sie reklamieren ihre Karriere als Vorzeigemodell für alle Frauen, die akademische Laufbahn gilt ihnen als Königsweg zur weiblichen Freiheit. Der Appell will eine »Provokation« sein und wiederholt doch nur eine identitäre, ressentimentgeladene Rhetorik. Die Opferrolle, in die »die Frauen« gedrängt werden, ist unzeitgemäß: Die Showgirls, die sich ihre Präsenz auf Berlusconis Privatpartys teuer bezahlen lassen, betrachten sich nicht als Opfer einer uralten patriarchalen Macht. Sie übernehmen ihre Rolle im postpatriarchalen Dra­ma ganz bewusst. Manchmal haben sie sogar einen Universitätsabschluss, und wenn es ihr Ter­minkalender zulässt, könnte es sein, dass sie an einer der Demonstrationen der Gipfelgegner in L’Aquila teilnehmen. Die Situation ist komplexer, als es sich die akademischen »Weltbürgerinnen« in ihrem Aufruf vorzustellen vermögen.