Stichwahl in Guinea-Bissau

Auf Koks gebaut

Im westafrikanischen Guinea-Bissau wird Ende Juli eine Stichwahl zur Präsidentschaft abgehalten, doch an der patrimonialen Kokaherrschaft der Militärs wird sie nichts ändern.

»Gut organisiert, friedlich, frei und transparent« sei der erste Wahlgang zur Präsidentschaft im west­afrikanischen Guinea-Bissau am letzten Sonntag im Juni verlaufen, befanden die Wahlbeobachter der Europäischen Union, und auch die Afrikanische Union stellte keine Unregelmäßigkeiten fest. Ganz so friedlich ging es in den zurückliegenden Monaten freilich nicht zu. Nachdem der Oberbefehlshaber der guineischen Armee, General Batista Tagme Na Wai, am 1. März einem Bombenanschlag zum Opfer gefallen war, töteten Militärangehörige einige Stunden später den Präsidenten João Bernardo »Nino« Vieira. Ob die Anhänger der beiden Konkurrenten den jeweils anderen umbrachten oder ob eine dritte Gruppe hinter den Attentaten steckt, ist derzeit Gegenstand von allerlei Spekulationen. Drei Monate später setzten sich die Morde fort, ein Kandidat für das Präsidentenamt sowie zwei ehemalige Minister wurden erschossen.
Der erste Wahlgang brachte keinem der elf verbliebenen Kandidaten die absolute Mehrheit. In der Stichwahl am 26. Juli werden mit Malam Bacai Sanhá und Koumba Yala zwei ehemalige Staatsschefs gegeneinander antreten. Der Kreis der einflussreichen Personen in dem nur 1,5 Millionen Einwohner zählenden, bettelarmen Land ist äußerst klein. Somit hielt sich auch das Interesse der Guineer an der Wahl in Grenzen, nur 60 Prozent gaben ihre Stimme ab. »Die Wahlen der vergangenen Jahre haben keinerlei positive Veränderungen gebracht«, erklärt Henrik Vigh, Sozialanthropologe an der Universität Kopenhagen, der Jungle World. »Guinea-Bissau erlebte zwar eine endlose Serie von Rebellionen und Umbrüchen, aber ausschließlich innerhalb jener Schicht, die die Macht innehat.«

Die Ursache der Zerwürfnisse zwischen den konkurrierenden Fraktionen innerhalb des relativ großen Militärs, die sich auch entlang ethnischer Linien ordnen, reichen zum Teil bis in die Zeit des Unabhängigkeitskampfs zurück, der erst 1974 nach 13 Jahren Guerillakrieg gegen die portugie­sischen Kolonialherren endete. Ende der neunziger Jahre erreichten die Auseinandersetzungen einen Höhepunkt, als Nino, der 1980 selbst durch einen Militärcoup ins höchste Staatsamt gekommen war, im Mai 1999 nach einem Jahr des Bürgerkriegs gestürzt wurde. Sechs Jahre später übernahm er als Wahlsieger erneut die Macht.
Erheblich verschärft haben sich die Spannungen zwischen den Militärclans, seit das Land von Drogenkartellen aus Südamerika kolonialisiert wurde. Der Wert des lateinamerikanischen Kokains, das Guinea-Bissau in Richtung Europa verlässt, übersteige das offizielle Bruttosozialprodukt des Landes, stellte das UN Office on Drugs and Crime bereits im Jahr 2007 fest. Militärbasen sollen als Lager für das Kokain dienen, Landebahnen der Armee werden von Kurieren der venezolanischen und kolumbianischen Drogenbarone benutzt, unter den Kurieren sind angeblich auch Angehörige der Guerillagruppe Farc. Todesdrohungen gegen investigative Journalisten, staatliche Drogenfahnder und Menschenrechtsaktivisten gehören zum Alltag.

Das Geschäft mit dem Kokain variierte und verfestigte ein Herrschaftssystem, das nahezu ausschließlich auf Renten, also Einkommen aus unproduktiven Geschäften, beruht. Die große Mehrheit der Guineer sieht von den Kokadollars oder anderen Einnahmen allerdings nichts. Die wenigen sozialen Dienste zum Beispiel in der Gesundheitsversorgung übernehmen internationale Organisationen. »Abgesehen von sehr wenigen, die in diesem neopatrimonialen System profitieren, also den Klienten der militärisch-politischen Gruppe, die den Zugang zu Ressourcen kontrolliert, erwartet man in Guinea-Bissau wenig vom Staat«, kommentiert Patrick Chabal, Afrika-Experte am King’s College London und seit drei Jahrzehnten mit dem Land vertraut. »Den meisten Menschen ist klar, dass sich nicht viel ändern wird. In den ländlichen Gebieten ignorieren die Leute den Staat und die Politiker einfach komplett, soweit das möglich ist.«
Koumba Yala, mit 29,42 Prozent der Zweitplatzierte des ersten Wahlganges, ist den meisten Guineern noch wegen seiner Amtszeit zwischen 2000 und 2003 in düsterer Erinnerung. Bevor auch er vom Militär zu Fall gebracht wurde, zeichnete sich seine Regierung durch die Veruntreuung öffentlicher Gelder, die Verfolgung von Oppositionellen und eine ethnische Klientelwirtschaft aus. Allerdings genießt der ehemalige Philosophie­professor große Unterstützung unter den Balanta, die mit rund 30 Prozent die größte Bevölkerungsgruppe des Landes und den Kern der Armee bilden.
Positiver bewerten Beobachter die Reputation und Vergangenheit des Gewinners der ersten Runde, Malam Bacai Sanha, der 39,59 Prozent der Stimmen erhielt. Bereits zweimal scheiterte der langjährige Politiker in den Stichwahlen zur Prä­sidentschaft. Der in der DDR ausgebildete Politikwissenschaftler genießt zwar die Unterstützung der ehemaligen Unabhängigkeitsbewegung PAIGC, die mit 67 von 100 Sitzen auch das Parlament kontrolliert. Doch jeder Politiker muss sich eines Rückhaltes in der Armee versichern. Es ist fraglich, ob Sanhas möglicher Sieg von den einflussreichsten Fraktionen im Militär, die Yala während seiner Amtszeit erfolgreich balantisiert hat, akzeptiert würde.

Fernab von der oligarchischen Politik verbringen die Jugendlichen, speziell junge Männer, ihre Zeit mit meist vergeblichen Versuchen, Zutritt zu den einflussreichen Kreisen zu erhalten, die die Ressourcen verteilen, erläutert Henrik Vigh, der 2006 eine Studie mit dem Titel »Navigating Terrains of War« zu einer guineischen Jugendmiliz veröffentlichte. »Ausgebeutet zu werden, ist etwas, das die Jugendlichen anstreben, weil es zumindest die Möglichkeit zukünftiger Einkünfte eröffnet.« Darüber hinaus sei die katastrophale Situation in Guinea-Bissau nicht zu verstehen ohne eine Berücksichtigung der regionalen Konflikte sowie der marginalisierten Position des Landes in der Weltwirtschaft.
Am Beispiel Guinea-Bissaus zeigt sich auch, dass afrikanische Machthaber oft nicht die willenlosen Opfer westlicher Interventionen sind. Das US-Außenministerium spricht von »exzellenten bilateralen Beziehungen«, Guinea-Bissau erhält Militärhilfe, doch konnte dies die Entstehung eines Narko-Staates nicht verhindern. Die Europä­ische Union und ihre Mitgliedsstaaten wiederum bemühen sich seit Jahren vergeblich um eine Reform des Militärs.
Mittlerweile dürften nicht wenige Offiziere von den ausländischen Experten bereits mehrmals über die Vorzüge eines Parlaments und die Aufgaben der Armee in einer Demokratie belehrt worden sein. Doch an den Gegebenheiten in Guinea-Bissau, die den Zuständen auf Sizilien in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in einigen Punkten verblüffend ähnlich sind, wird ein reiner Ideologieexport wenig ändern.

Geändert: 17. Juli 2009