Portale zur Bewertung von Lehrkräften

Eine Lektion in Willkür

Auch wenn es Lehrern und Dozenten nicht gefällt: Sie dürfen weiterhin von Schülern und Studenten in Internetportalen bewertet werden. Ein besserer Unterricht ist dadurch nicht zu erwarten.

Sie heißen »Mein Prof« oder »Spick mich«. Die Diskussion um diese vermeintlichen »Internet-Pranger«, die Schülern und Studenten eine anonyme Benotung ihrer Lehrer ermöglichen, wird schon seit Anfang vergangenen Jahres geführt. Für Aufsehen sorgte damals die Klage einer nordrhein-westfälischen Lehrerin, die wegen ihrer negativen Bewertung auf »Spick mich« – sie hatte gerade mal ein knappes »ausreichend« bekommen – ihre Persönlichkeitsrechte beeinträchtigt sah.
Nachdem bereits das Landesgericht und das Oberlandesgericht Köln die Klage abgewiesen und dem Recht der Schüler auf freie Meinungsäußerung ein größeres Gewicht als den Persönlichkeitsrechten der Lehrer beigemessen hatten, ist diese Einschätzung nun Ende Juni in einem Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) größtenteils bestätigt worden. Die Richter haben zweierlei unmissverständlich festgehalten: Zum einen dürfen Portale die Bewertung von Lehrkräften an Schulen und Universitäten prinzipiell ohne vorherige Einwilligung der Betroffenen verbreiten, sofern Gegenstand und Form der Bewertung dies berechtigt erscheinen lassen. Wichtigste Kriterien hierfür sind die Berufsbezogenheit der Bewertung und eine angemessene Zugangsbeschränkung zu den jeweiligen Seiten. Von Schülern und Studenten genutzte Evaluationsseiten müssen also der Beurteilung fachlicher Leistungen dienen, und es muss sichergestellt sein, dass sie nur von entsprechenden »Konsumenten« genutzt werden. Zum anderen müssen die Betreiber solcher Seiten das Bundesdatenschutzgesetz berücksichtigen, woraus zum Beispiel folgt, dass den Bewerteten die Möglichkeit gegeben sein muss, ihre Evaluationsprofile einzusehen.

Seiten wie »Spick mich« entsprechen zumindest formal den vom BGH festgelegten Kriterien. So deklariert »Spick mich« sich als kompetente Ratgeberseite für Schüler und Lehrer, die den Eltern »Entscheidungshilfe« bei der Auswahl der richtigen Schule und den Lehrern »Denkanstöße« für die Verbesserung ihres Unterrichts biete. Anmelde- und Login-Regeln sollen einen Missbrauch verhindern, Lehrer dürfen sich über ein »Info-Login« Zugang zu ihren Bewertungen verschaffen. »Mein Prof« stellt neben individuellen Bewertungen auch Universitäten- und Dozenten-Rankings zur Verfügung, damit Studenten sich die am besten geeignete Universität mit den besten »Köpfen« aussuchen können. Außerdem geben alle seriösen Seiten die Anzahl der vorgenommenen Bewertungen an, die einen wichtigen Hinweis darauf liefern soll, wie repräsentativ die jeweilige Note ist. Je höher die Zahl der Wertungen, so wird in Anlehnung an Restaurant- und Café-Rankings im Internet argumentiert, desto verbindlicher sei das damit einhergehende Urteil.
Angesichts solch offensiv propagierter »Transparenz« und »Kundenorientierung« sind die Vertreter der Lehrerlobby, die seit dem Urteil des BGH immer stärker vor »virtuellen Prangern« warnen, selbstverständlich im Nachteil. Zu sehr liegt der Einwand auf der Hand, hier wolle sich eine Berufsgruppe, die sich rigide gegen Kontrollen wehrt und bislang meist unbehelligt von Marktkriterien schalten und walten konnte, ihre bedrohten Privilegien sichern. Die Überheblichkeit, mit der nicht nur einzelne Lehrer, sondern auch Vertreter des Philologenverbands den Schülern von vornherein das Recht absprechen, ihre Erzieher zu bewerten, scheint diese Einschätzung zu bestätigen.
Ein genauerer Blick auf die Form solcher »Rankings« und »Evaluationen« vermittelt jedoch ein anderes Bild. So ist es schon für sich genommen problematisch, wenn Lehrer oder Dozenten derselben »Daumen-hoch, Daumen-runter«-Logik unterworfen werden wie Diskotheken oder Restaurants. Vollends fragwürdig wird die marktliberale Illusion, mit der einschlägige Anbieter locken, durch die Bewertungskriterien: Zu diesen zählen bei »Spick mich« neben diskutablen Kategorien wie Kommunikativität und Unterrichtsvorbereitung etwa auch die Bekleidung des Lehrers oder die von ihm im Klassenzimmer erzeugte »Stimmung«.

So sehr das Portal vielleicht tatsächlich bemüht ist, »Spaß- und Rachenoten« zu tilgen, so sehr zielen solche Kriterien selbst bereits nicht auf ein verallgemeinerbares Vernunfturteil, sondern aufs Ressentiment. Eine frühnachmittägliche Fahrt mit der U-Bahn kann jeden davon überzeugen, dass Schüler keineswegs von Natur aus toleranter sind als ihre Vormünder. Vielmehr ist das Mobben und Verprügeln von Mitschülern, die zu »Schwulen« und »Juden« erklärt worden sind, ebenso Teil des alltäglichen, pubertären Freizeitsports wie das reflexionslose Ablästern über »die Lehrer«, von denen der zu keiner Erfahrung fähige Frustschüler sich ebenso betrogen fühlt wie von der ganzen Welt.
Wer in Bewertungskatalogen mit derlei Kriterien gewinnt oder verliert, hängt also gar nicht so sehr von einer erst zu ermittelnden Leistung ab, sondern ist vom Katalog überwiegend vorgegeben: Gewünscht werden die so eloquenten wie paternalistischen Teammanager, die scheue Einzelgänger »aufmuntern«, bis ihr geistiges Potential erstickt ist, während sie den aggressiven Machos jovial-ermahnend auf die Schulter klopfen. Unerwünscht sind die Spröden und Strengen, die mit ihren Anzügen, Pullovern und veralteten Brillenmodellen dem empfindungsarmen Pennäler schon immer »irgendwie komisch« erschienen und die er nun endlich ganz offiziell niedermachen kann, was den Betroffenen als »Denkanstoß« für die »Optimierung« des Unterrichts verkauft wird. Erwünscht sind »Macher« aller Art, unerwünscht sind Lehrer mit Eigenheiten.

Nicht die bloße Möglichkeit zur Bewertung ist also das Problem, sondern der gesellschaftliche Zwangszusammenhang, in dem diese vorgenommen wird und der alles Gute beinahe von selbst in Repression verwandelt: Die »basisdemokratische« Evaluation dient, anders als ihre Propagandisten behaupten, im konkreten Fall meist eher der Exkommunikation unliebsamer Einzelgänger als der Ermittlung der »Besten«. So unsympathisch man Lehrer finden mag, die auf eine negative Beurteilung im Netz statt mit Gesprächsangeboten an ihre Schüler mit Gerichtskampagnen reagieren, so kritikwürdig ist die Ideologie der Evaluationsexperten. Die »Gegenöffentlichkeit«, die sie sich zu ihrer Legitimation zusammenphantasieren, reproduziert unter den herrschenden Bedingungen blindlings die sozialen Ausgrenzungsmechanismen, gegen die sie angeblich in Stellung gebracht werden soll. Eine »Entscheidungshilfe« oder gar einen Beitrag zur Demokratisierung des Schul- und Bildungswesens liefern die Portale nicht, wohl aber ermöglichen sie noch mehr Willkür im Alltag.