Über den italo-französischen Schauspieler Lino Ventura

Im Schatten schwerer Lider

Er prägte die große Ära des französischen Thrillers: Am 14. Juli wäre Lino Ventura 90 Jahre alt geworden.
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Er gehörte zu der Kategorie Schauspie­ler »Einmal gesehen, nie vergessen«: Lino Ventura, der Mann mit dem kantigen Kinn, der offenbar schon des Öfteren ramponierten Nase und den ebenso stur wie melancholisch blickenden Augen, die stets im Schatten schwerer Lider lagen. Er war der Dunkelste aus dem Dreigestirn »hässlicher Franzosen« (wie sie in Italien halb spöttisch, halb bewundernd genannt wurden), die die große Ära des französischen Thrillers in den sechziger Jahren prägten: Dabei konnten die anderen zwei auch gern mal den lustigen August geben, Jean-Paul Belmondo mit jungenhaftem Womanizer-Charme, Michel Constantine mit Slapstick-Dackelblick und exorbitanten Segelohren. Der Dritte im Bunde hin­gegen, Lino Ventura, der am 14. Juli 90 Jahre alt geworden wäre, blieb immer Lino Ventura – egal ob als wortkarger Kommissar im Trenchcoat, als ebenso trocken agierender Gangster mit Pistole unter dem Jackett oder sogar als Detektiv im Priester-Ornat – wie in dem in mancher Filmografie verschwiegenen und doch äußerst sehenswerten »Dampfhammer Gottes« von Duc­cio Tessari (1974). Und wenn der Mann mit dem vom Leben und von Schlägen gezeichneten Gesicht dann mal Humor zeigte, fiel der subtil, spröde und gallig aus, wie in den schwarzen Ko­mödien »Nimm’s leicht, nimm Dynamit« (1965) oder »Die Filzlaus« (1973).
Auch Venturas heller und leichter angelegte Charaktere passten nahtlos ins Bild unbeugsamer Entschlossenheit, mit der seine Kommissare – und auch Gangster – Verrat und Korruption verfolgten. Vorzugsweise übrigens in den eigenen Reihen, im eigenen Milieu, einzig und allein einer fast schon altmodisch wirkenden Mo­ral verpflichtet: dabei nachsichtig mit Schwächeren, schonungslos aber gegen sich selbst, was nicht selten dazu führte, dass Venturas Filmfigu­ren den Abspann nicht lebend erreichten und als zwar nicht isolierte, aber doch einsame Strei­ter starben. Lino Ventura zeigte dabei die Intelligenz und Humanität der von ihm dargestell­ten Kämpfernaturen nie durch große Posen und schon gar nicht mit langen Reden, sondern deutete sie durch kleine Gesten oder kurze Bewegungen der ansonsten strichgeraden Lippen an.
Um diesen Typus glaubwürdig zu geben, muss­te sich Angiolino Giuseppe Pasquale Borrini, wie der im italienischen Parma geborene und im Alter von zehn Jahren nach Frankreich gekommene Ventura eigentlich hieß, nicht verstel­len: Sein privater Wertekodex glich dem seiner Filmfiguren. Er galt als äußerst loyal gegenüber seinen Freunden und auch gegenüber seiner Frau Odette, mit der er über vierzig Jahre verhei­ratet war, ohne dass die Ehe je irgendwelchen Stoff für Klatschgeschichten geliefert hätte. Politisch war Ventura das, was man später einen Neocon genannt hätte: Klar pro-westlich und klar antifaschistisch eingestellt, brachte er seine Überzeugungen auch in mancher Rolle direkt auf die Leinwand: als Profi-Killer, der eine süd­amerikanische Revolution als bloßen Theaterdonner eines Militärputsches entlarvt (»Im Dreck verreckt«, 1968), als Résistance-Kämpfer, der einen Wehrmachts-Kollaborateur in den eigenen Reihen enttarnt (»Armee im Schatten«, 1969) oder als unbestechlicher Kommissar Rogas, der sterben muss, weil er auf eine neofaschistische Verschwörung im italienischen Staatsapparat stößt (»Die Macht und ihr Preis«, 1976).
Und auch die private Vorgeschichte des späte­ren Schauspielers hätte gut und gerne die einer seiner typischen Filmfiguren sein können: die des Wüsten-LKW-Fahrers Hervé beispielsweise, dem Ventura im Film »100 000 Dollar in der Sonne« (1963) sein Gesicht gab. Denn er war kein Absolvent einer Schauspielerakademie, sondern verdiente sein Geld als Show-Catcher, bevor er 1953 seine erste Filmrolle bekam. Ventura absol­vierte ohne vorherige Schauspiel­erfahrung einen Auftritt als schweigsamer Unterweltler im Krimidrama »Wenn es Nacht wird in Paris« mit Jean Gabin und Jeanne Moreau. Gabin, der ein Faible für Boxer und Dickköpfe hatte, förderte Ventura in den nächsten Jahren. Schnell zeigte sich, dass gerade die sparsamen schauspielerischen Mittel Venturas besonders wir­kungs­voll waren: Regisseure wie Jean-Pierre Mel­ville, Henry Verneuil, Louis Malle oder Francesco Rosi rissen sich schließlich darum, mit dem kantigen Italo-Franzosen Ventura zu drehen. Der avancierte im Laufe seiner Karriere zum vielleicht beliebtesten Schauspieler Frankreichs, zu einer nationalen Ikone gleich seinem alten Förderer Jean Gabin. Als der 68jährige Lino Ventura schließlich 1987 an den Folgen eines Herzanfalls starb, folgten Tausende dem Trauerzug durch die Straßen von Paris.
Eine Hommage zum 90. läuft im Sommerkino bei Arte. Leider steht auf der ansonsten gut zusammengestellten Sendeliste nicht Venturas in Deutschlands Kinos erfolgreichster Film. Dessen Titel »Adieu, Bulle« (1975) aber würde am besten zum Gefühl der Wehmut passen, das einen beschleicht, weil für einen wie Ventura im zeitgenössischen Kino wohl keine rechte Verwendung mehr wäre: zu stur, zu unprätentiös, zu altmodisch. Genau das aber macht auch heute noch den Reiz Lino Venturas aus: Er ist ein großartiges Erbstück aus einer anderen Zeit.