Noch schlechter als Bob Dylan

Berlin Beatet Bestes, Folge 4. Kutte: Du stehst an einer Straße.

Fast das Wichtigste am Trödelplattensammeln ist mir, dass niemand dabei ist, um mich anzuleiten. Keine Wer­bung, kein Fachmagazin und kein Fachverkäufer begleiten mich, wenn ich die staubigen Kisten durchwühle. Flohmärkte und Trödelläden sind trendfreie Räume. Keine Marktstrategen steuern mein Kaufverhalten, weil das Material bedeutungslos ist. Es hat als Trend entweder schon ausgedient oder war nie einer. Ich muss also meine eigenen Entscheidungen fällen.
Als ich Mitte der neunziger Jahre die zwei »In­credibly Strange Music«-Bücher des Re/Search-Verlags fand, war das eine Offenbarung. Es gab noch mehr Leute wie mich, die Platten nur wegen des Covers sammelten oder weil sie noch nie etwas von den Interpreten gehört hatten. Nicht zufällig sind viele der in diesen Büchern vor­gestellten Plattensammler ehemalige Punks wie Jello Biafra. Der Begriff »unheimlich merkwürdige Musik« trifft schließlich auch auf die Mehrzahl aller Punkplatten zu. Nicht allerdings auf die Hits: Die sind oft nur schnell gespielte Pop-Musik. Punks hegen vielleicht noch das gründlichste Misstrauen gegen das akademisierte Popmusikverständnis der Feuilletons.Eine gute Voraussetzung, wenn es um das Sammeln von schlechter Musik geht.
In den neunziger Jahren begann ich, osteuropäischen Beat zu sammeln. Irgendwann hatte sich auch der letzte ehemalige DDR-Bürger seiner musikalischen Vergangenheit entledigt, auf den Trödelmärkten fehlte es bald an Nachschub, und ich fand kaum mehr was. Viele dieser osteuropäischen Platten, die ich vor zehn Jahren für eine Mark oder 50 Pfennig gekauft habe, werden mittlerweile bei Ebay für 20 bis 50 Euro gehandelt. Auch in der Sam­mler­szene gibt es also Trends.
Eine der vielen Sparten, die der Markt bisher noch nicht erschlossen hat, sind Privatpressungen. Veröffentlichungen von Amateuren, die einfach nur eine Spur von sich hinterlassen wollten. Wie die vorliegende Single von Kutte, mit bürgerlichem Namen Kurt Wodicka. Abgesehen von dieser Information auf dem Label konn­te ich nichts über ihn herausfinden. Die Plat­te selbst fand ich auf dem Flohmarkt. Ein Plattenverkäufer meinte, Kutte käme aus Gropiusstadt, der berüchtigten Hochhaussiedlung, aus der auch Christiane F. stammt. Mit schroffer Stimme trägt Kutte zu Gitarre und Mundharmonika zwei selbst geschriebene Titel vor. Eins über die traurige Arbeit an der Werkbank und eins über das Trampen:
Du stehst an einer Straße, der Regen hört nicht auf. / Aus der Ferne naht ein Auto, du achtest nicht mehr drauf. / Dir schmerzen deine Füße, deine Hände sind eiskalt. / Du hältst die Augen auf, mit all deiner Gewalt. / Doch plötzlich stoppt das Auto, du bist sehr überrascht, / denn die anderen Fahrer vor dir, ja die ham dich ausgelacht. / Du gehst nun zu dem Fahrzeug, und denkst, nun kommst du mit. / Die Wagentür geht auf, du machst noch einen Schritt. / Mein Freund, so wie du aussiehst, du bist mir zu durchnässt. / Ich denk an meine Polster und an mein Freudenfest.
Natürlich ist das keine gute Musik. Aber kann Bob Dylan gut singen? Kutte klingt wie ein Berliner Bob Dylan in den siebziger Jahren. Der Text ist vielleicht nicht originell, aber authentisch und ehrlich. Ich kann mich zumindest noch genau daran erinnern, wie trostlos es manchmal war, in den Achtzigern zu trampen. Offensichtlich ist Kutte selbst getrampt und hat an der Werkbank gestanden. Und auf irgendeine subtile Weise färbt das diese Musik und macht sie glaubhafter als alle Maffays, Lindenbergs und Westernhagens zusammen.