Über den Film »Birdwatchers«

Spiel mir das Lied vom Dschungel

Der Film »Birdwatchers« schildert eindrucksvoll den Überlebenskampf der Ureinwohner Brasiliens.

An den Rändern des Regenwaldes im brasilianischen Bundesstaat Mato Grosso do Sul gibt es keine schöne Landschaft mehr. Es ist, wie es der Regisseur Marco Bechis in seinem Film »Birdwatchers« zeigt, eine Todeszone für die Ureinwohner, deren Lebensareal täglich verkleinert wird. Denn der Wald wird gerodet, um immer mehr Ackerfläche zu gewinnen. Die Weltbevölkerung wird zusehends größer, und so lässt sich mit dem An­bau gentechnisch veränderter Pflanzen viel Geld verdienen.
Für den Gegensatz zwischen Regenwald-Indianern und weißen Großgrundbesitzern am Rande – oder vielmehr im Zentrum der Globalisierung – findet Bechis gleich zu Beginn seines Films sehr starke Bilder: Die weißen Jugendlichen hängen am Pool herum und schlürfen kalte Limonade. Die roten Jugendlichen hängen am nächsten Baum, mit einem Strick um den Hals. Aus lauter Perspektivlosigkeit haben sie Selbstmord begangen.
Immer wieder lässt der Regisseur konkrete Tatsachen aufeinanderprallen und versieht alles in diesem Film mit einem »Ja, aber«. Die titelgebenden Vogelbeobachter etwa sind Touristen, die kommen, um auf »Birdwatching«-Touren die bunten Vögel des Amazonas zu suchen. Die Ureinwohner zählen sich, ganz wörtlich, eher zu den »bunten Vögeln« als zu den Menschen in den Booten. So probieren sie einfach mal aus, ob man die Besucher mit Pfeil und Bogen erlegen kann.
Vom Regenwald leben können die Indianer immer weniger. Man hat sie in Reservate wegsortiert, wo man sie – nicht mal immer mit böser Absicht – zu ordentlichen Staatsbürgern machen will. Die Indianer sollen die Geschäfte nicht stören und ein billiges Reservoir von Putz­kräften und Erntearbeitern darstellen. Die einfachen Polizisten wirken ratlos, wenn sie vor Ort Konflikte schlichten sollen.
»Birdwatchers« erzählt die Geschichte einer Indianerfamilie, die vom Leben im Reservat genug hat und versucht, wieder frei zu leben. Gemeinsam besetzen die Familienmitglieder eine Ackerfläche des Grundbesitzers. Die Indianer reklamieren ein Areal für sich, das ihnen Jahrhun­derte lang gehört hatte. Die Bauern nehmen ebenso das Recht für sich in Anspruch, dass dies nun ihr Grund ist. »Wir stellen die Nahrungsversorgung in den Ballungszentren sicher. Soll man die Leute hungern lassen? Wir leben schon seit 60 Jahren hier«, ruft einer der Grundbesitzer den Indianern zu. »Und wir schon 500«, rufen sie zurück.
Der Landbesitzer reagiert beinahe hilflos: Er lässt einen Wohnwagen auf das Feld stellen und darin einen Wachposten zurück. Zwar ist dieser Wächter bewaffnet, aber auch nicht der hellste. Mit der ältesten Kriegswaffe der Welt, der Aussicht auf Sex, wird er überlistet. Bald gehört sei­ne Knarre den Indianern.
Der Übertölpelte nimmt es nicht mal krumm. Da er nun seine Tage mit den Indianern verbringt, sogar auf sie angewiesen ist, was Kontakte und Wasser angeht, erscheinen sie ihm immer weniger unfreundlich.
Diese Zusammentreffen lässt Bechis ebenso kommentarlos stehen wie die Gruppendynamik unter den Indianern. Bei diesen geht es um Fragen wie: Soll man sich als Hilfskraft andienen oder nicht? Diese Frage spaltet die Jungen und die Alten. Wenigstens kann man sich für den Lohn etwas zu essen kaufen. Hier prallt die globalisierte Kultur mit ihren Markenturnschuhen und Kommunikationstechniken auf eine prä-agrarische Bevölkerung.
Zwischen den Konfliktlinien wartet Bechis un­vermittelt mit einer Romeo-und-Julia-Geschichte auf. Der junge Indianer Osvaldo (Abrísio da Silva Pedro) fasziniert die Tochter des Farmers Lia (Alicélia Batista Cabreira). Osvaldo fackelt nicht lange, sich die Moderne anzueignen. Alsbald fährt er mit Lias Motorrad durch die Gegend. Eine Liebe mit wenig Zukunft, das ist sicher. Aber eine Annäherung ist sie allemal wert.
Trotzdem kommt es nicht zu so etwas wie einer friedlichen Koexistenz zwischen Bauern und Indianern. Alsbald geht es um den Kampf zwischen beiden Lagern, der brutal, hinterlistig und mörderisch ausgetragen wird.
Der Regisseur lässt sich bei der Darstellung der gewalttätigen Übergriffe jedoch nicht dazu verleiten, einseitig und plakativ Position zu beziehen. Vielmehr versucht er abzubilden, was sich in den Sonderwirtschaftszonen abspielt und welche Bedrohungen hier gegeneinander stehen. Das Schicksal der Farmer ist ihm dabei nicht egal. Aber er stellt klar, das allein schon ih­re Lebensweise das Ende der Kultur der Indianer bedeutet.
Regisseur Marco Bechis wurde 1955 in Santiago de Chile als Sohn einer Chilenin und eines Italieners geboren. Er wuchs in Buenos Aires auf. Als linker Aktivist und Grundschullehrer geriet er während der Militärdiktatur in ein Folterlager und Gefängnis. Nach seiner Freilassung emigrierte er zunächst nach Italien.
In New York arbeitete er als Fotograf und Video-Künstler und entwarf 1982 in Zusammenarbeit mit Amnesty International die Video-Installation »Desaparecidos« (»Die Verschwundenen«), in der er sich mit der argentinischen Militärdiktatur und seinen eigenen Erlebnissen beschäftigt.
Das Thema Ungerechtigkeit ließ ihn dabei immer wieder absurde Konstellationen entwerfen, um die Fronten verschiedener Konflikte darzustellen. Diese können auch durchaus mal mitten durch ein und dieselbe Person verlaufen. So zum Beispiel in dem 1999 produzierten auto­biografischen Spielfilm »Junta«, in dem eine junge Studentin zu Zeiten der argentinischen Mi­litärdiktatur von der Geheimpolizei ver­schleppt wird. Plötzlich sitzt sie ihrem schüchternen und in sie verliebten Mitbewohner gegen­über – er arbeitet als Verhör-Spezialist.
Die Grenzen des wahnhaft Absurden lotet Bechis auch in »Birdwatchers« aus. Für eine realistische Darstellung der Konflikte arbeitete er mit den Indianern vor Ort zusammen. Auf deren Frage, wie man sich das denn vorzustellen habe mit der Schauspielerei, zeigte er ihnen Sergio Leones »Spiel mir das Lied vom Tod«. Er habe damit demonstrieren wollen, dass es weniger auf Dialoge als auf wortlose Aktion ankomme.
Mit diesem Ansatz konnten die Akteure offen­sichtlich etwas anfangen. »Birdwatchers« ist nicht weniger karg und roh in der Darstellung menschlicher Beziehungen als der legendäre Italo-Western von Sergio Leone.
Nichtsdestotrotz lässt Bechis keinen Zweifel da­­ran, wem seine Sympathien gehören: mehr den bedrohten als den genmanipulierten Le­bens­­­formen.

»Birdwatchers« (Brasilien 2008), Regie: Marco Bechis. Darsteller: Abrísio d Silva Pedro, Alicélia Batista Cabreira u.a. Start: 16. Juli