Die US-amerikanische Band Flipper

Hang zum Rammdösigen

Die Platten der 1979 gegründeten US-amerikanischen Punk-Band Flipper sind jetzt wieder veröffentlicht worden.

Es gibt Alben, die sind kanonisiert und gelten als wegweisend, bahnbrechend, eine Epoche begründend. Wenn man sich ihnen aus gegenwärtiger Perspektive nähert, stellt sich aber nicht selten Ernüchterung ein: Das soll es gewesen sein? Die Musik klingt ja so brav. Der Fall Flipper ist aber etwas anders gelagert: Brav und verhalten ist nichts an diesen Punks aus San Francisco, aus einer anderen Zeit kommt ihre Musik trotzdem.
In der letzten starken Rocksaison, 1992/93, erschienen drei Alben, die man als Kommentar zur Ästhetik Flippers, als Aktualisierung ihres Sounds verstehen kann:
»Lysol« von den Melvins – extrem verlangsamter und reduzierter Metal, allein das Intro beansprucht eine ganze Plattenseite.
»Du bist nicht mein Bruder« von Mutter – zerquälter, mit allen Abscheu- und Ekel-Gefühlen dieser Welt aufgeladener SloMo-Punk.
Schließlich »In Utero« von Nirvana – ein großartiges Hass-Album, der Befreiungsschlag, der für Kurt Cobain – auf den Booklet-Fotos zum Album übrigens im Shirt mit Flipper-Bandmo­tiv zu sehen – zwei Jahre zu spät kam.
Der zeitliche Abstand dieser Alben zu denen von Flipper ist gering, gerade mal zehn Jahre. Aber was für ein Unterschied! Wer sich nach diesen Alben daran machte, die Band zu begutachten, auf die sich Cobain, Melvins-Mastermind King Buzzo und Mutter-Sänger Max Müller sowie Henry Rollins, Moby und der Produzentenmogul Rick Rubin einigen konnten, musste sich auf eine herbe Überraschung gefasst machen: Flipper, das ist erst mal ausgeleierter Punk, nachträglich zusammengehalten von zähem Pattexkleber. Der Schlagzeuger, Steve DePace, ist nie ganz im Takt (und simuliert mit irgendwelchem Getrommel große Rockshow), der Gitarrist, Ted Falconi, macht nur Lärm, schrabbelt vor sich hin, kann sich im unausgegorenen Mix kaum entfalten, sorgt für diffuse Soundschlieren ohne Dynamik und Richtung. Tragendes Element der Songs ist der sehr aufdringlich nach vorne gemischte Bass (Bruce Loose, auch Gesang), der nur leider so richtig stumpf-einfältige Minimalläufe spielt. Und der Sänger? Will Shattner (auch Bass) nölt, faucht, lamentiert, alles irgendwie unbeholfen.
Es gibt bei Flipper einen Hang zum Rammdösigen, zum verzweifelt Rausgekotzten, zum Hospitalismus: stumpfer Widerholungszwang, ein tapsiges Taumeln durch die Songs. Das 1979 in der Bay-Area in Kalifornien gegründete Quartett zerbrach nach dem Drogentod Shattners 1987. Zwar hat sich die Band nie wirklich auf­gelöst, konnte aber auch nie wieder an den von Shattner angezettelten Wahnsinn anknüpfen.Wie lautete gleich ihr Motto? »To be bad in ways that no band had ever been bad before.« Passt hundertprozentig.
Das ist also die Mutter aller Noisebands, das sind die Wurzeln von Doom- und Sludge-Rock, die Band, die Berliner Hardcore-Existentialisten ebenso beeindruckt hat wie Hippiepunks aus den Wäldern Washingtons? In diesen Tagen wird ihr Gesamtwerk neu veröffentlicht, ihre beiden Studioalben, die irrsinnige Live-Revue »Public Flipper Ltd.« (John Lydons Public Image Ltd. hatte sehr offensichtlich das Coverkonzept ihrer ersten, schlicht »Album« betitelten LP ­geklaut; sie revanchierten sich), die Singles-Compilation »Sex Bomb Baby«. Will da jemand Geld verbrennen?
Die Frage ist aber nicht, was uns Flipper heute noch zu sagen hätten, sondern umgekehrt: Wie stellt sich eigentlich unsere Welt aus der Sicht dieser Band dar? Um es kurz zu machen: in keinem guten Zustand. In den vergangenen Jahren haben wir eine beispiellose Renaissance des Achtziger-Disco- und Post-Punk erlebt. Flipper klingen wie das »Anti« zu dieser kühl-eleganten, postmodern-arroganten Glitzermusik: böse, gänzlich unverfeinert, vernarrt ins Peinliche. Absolut uncool. Logisch, dass Außensei­ter wie King Buzzo sich in Flippers Musik wieder­gefunden haben. »If you’re never in tune you can’t be out of tune«, bringt Buzzo ihr Lebenswerk auf den Punkt. Flipper muss man als Kommentar zur Achtziger-Retro-Welle verstehen: Sie haben sich vor dieser Welt wirklich geekelt, so sehr, dass sie selbst auf den Schliff ihrer Ausdrucksmittel verzichtet haben. »Can’t you hear the war cry?/It’s time to enlist/The people speak as one/The cattle, the crowd/Those too afraid to live/Demand a sacrifice/A Sacrifice«, krähen sie in »Sacrifice«, einem Stück, das die Melvins kongenial als Kriegsmarsch gecovert haben.
»Flipper did their best to inflict maximum pain and suffering (…) Even when crowds begged ’em to stop booing and throwing shit, the band took a lickin’ and kept on tickin’«, schreibt der Punk-Chronist Steven Blush in »American Hardcore«.
Von Anfang an war ihrer Musik die Selbstauslöschung eingeschrieben. Die Flipper-Alben sind beklemmende Dokumente. Mit den Gossen-Punks haben sie das Prollig-Pöbelnde gemein, aber nicht den merkwürdig lustigen 1,2,3-Rock’n’Roll. Mit den Noise-Bands ihrer Generation (Einstürzende Neubauten, Swans) verbindet sie die Heavyness, die Song-Zertrümmerung – allerdings geht ihnen dabei jede Avantgarde-Attitüde ab. Mit der Post-Punk-Disco-Szene teilen Flipper die Lust am Zynismus – nur ist es für sie kein Spiel mit Zeichen. In der ach so liberalen Welt der Popkultur verkörpern diese merkwürdigen Punks den Gegenpol. Relativierung? Unmöglich.
Das Problem für unsere Ohren ist sicherlich, dass Flipper zu den Bands gehören, die ihre Live-Präsenz nie adäquat im Studio reproduzieren konnten. Oder anders: Ihr Matschsound scheiterte an einer limitierten Aufnahmetechnologie. Man kann das ein bisschen kompensieren – indem man sie laut über Kopfhörer hört oder nicht mit dem ersten Album einsteigt, sondern mit der Live-CD, weil gerade auf den Konzertdokumenten das Weggetretene, die Gebt-uns-noch-ein-Bier-ihr-dummen-Arschlöcher-Attitüde spürbarer wird. Man wird dennoch kaum von dieser Musik »aufgesogen« werden, sie steckt nicht an – zu groß ist das Staunen über die schiere Negativität.
Henry Rollins schreibt in seinen Linernotes zum »Sex Bomb Baby«-Reissue, dass er zu den Glücklichen gehört, die Flipper-Konzerte besucht – und sie auch überlebt haben. Verglichen mit Flipper seien die anderen Bands, die mit ihnen an einem Hardcore-Abend 1983 irgendwo zwischen L.A. und San Francisco auftraten, gewöhnliche Popper. Rollins schließt sich da mit ein. Er war damals Sänger von Black Flag. Wer sich auf Youtube alte Black-Flag-Live-Videos ansieht, weiß: Wo Rollins tobt, da möchte man nicht in der Nähe sein. Black Flag strahlen in diesen Konzertmitschnitten etwas extrem Gewalttätiges aus. Ein Freund, der die Band 1984 oder 1985 irgendwo bei Bonn gesehen hat, berichtet, wie die aufgewühlten Punks nach dem Auftritt selbst die Toiletten komplett zerlegten. Und Henry Rollins sagt: Verglichen mit Flipper waren wir bloß ’ne Pop-Band.

Flipper: Sex Bomb Baby, Generic Flipper, Public Flipper Limited, Gone Fishin’ (alle Domino)