Pariser Sans Papiers im Häuserkampf

Umzug der Papierlosen

Aus dem Pariser Gewerkschaftshaus der CGT wurden die illegalisierten Migranten vertrieben. Nun haben sie ein anderes Gebäude besetzt.

In vielen Räumen liegen ausgebreitete Matratzen, in anderen werden frisch bemalte Transparente zum Trocknen ausgerollt. Im Obergeschoss hat man einen schönen Blick auf die Pariser Kirche Sacré Coeur. In der zweiten Etage sitzen an fast jedem Abend mehrere Dutzend Menschen und diskutieren. Unterdessen pulsiert unten im Hof, unter dem Hangardach, das vor den Tropfen des Pariser Juliregens schützt, das Leben. Kinder hüpfen fröhlich umher, Frauen schwatzen, einige Männer fegen den Boden.
Diesen Anblick bot in der vergangenen Woche das riesige Bürogebäude im nördlichen 18. Stadtbezirk von Paris, das am 17. Juli von Sans Papiers, illegalisierten Einwanderern, besetzt wurde. Es steht wegen einer Immobilienspekulation seit einigen Jahren leer, der Eigentümer ist eine Pariser Krankenkasse, die das sechsstöckige Gebäude für 36 Millionen Euro verkaufen möchte.

Vorläufig leben hier mehrere hundert Männer und Frauen mit einigen Kindern, sie stammen aus Tunesien, Senegal, Mali oder der Côte d’Ivoire. Sie nehmen seit über einem Jahr an einer Streik-, Protest- und Besetzungsbewegung teil und fordern die Legalisierung ihres Aufenthalts in Frankreich. Seit längerem haben sie sich der »Koordination der papierlosen Einwanderer des Pariser Stadtbezirks« (CSP 75) angeschlossen. Ihr gehören derzeit rund 1 300 aktive Mitglieder an.
Unterstützt werden sie unter anderem von Mitgliedern des Gewerkschaftsverbands CGT, der Union Syndicale Solidaires, eines Zusammenschlusses mehrheitlich linker Basisgewerkschaften, Anhängern der radikalen linken Partei NPA und auch der Grünen. Allabendlich kommen zahlreiche Besucher vorbei, diskutieren über den Fortgang der Besetzung und mögliche Unterstützungsaktionen.
Diese Situation ist neu. Denn noch vor wenigen Wochen sah es so aus, als ob es statt Solidarität eher Konkurrenz gäbe. Seit Mai 2008 hatte die CSP 75 das Pariser Gewerkschaftshaus besetzt, allerdings nicht das Hauptgebäude, sondern einen Nebenbau in der Rue Charlot. Die CSP 75 warf vor allem dem Gewerkschaftsbund CGT vor, die Situation bestimmter illegalisierter Einwanderer nicht ausreichend berücksichtigt und deren Interessen nicht verteidigt zu haben.
Im April 2008 hatte ein Streik der Sans Papiers für die Legalisierung ihres Aufenthalts begonnen. Die CGT verteidigte vor allem migrantische Lohnabhängige, die in mittleren und größeren Betrieben beschäftigt waren. In der Regel waren es in jedem Betrieb mehrere Sans Papiers, daher konnte die CGT mit klassischen gewerkschaftlichen Mitteln, insbesondere der Organisierung eines Streiks, erheblichen Druck auf die Unternehmer ausüben, die sich wiederum an die Ausländer­behörden wenden sollten, um die Legalisierung des Aufenthalts der Betreffenden zu erreichen. In Kleinbetrieben war dies meist nicht möglich, weil die betroffenen Beschäftigten isoliert waren, oft gab es nur einen einzigen »Illegalen« unter dem Personal.

Daraus ergab sich ein Konflikt, der alsbald zu einem erbitterten, hinter den Kulissen ausgetragenen Streit wurde. Die CGT-Sektion Paris griff mehrfach auf die Vermittlungsdienste des Conseil national des Maliens de France zurück, einer etablierten, von Honoratioren und halbfeudalen Autoritäten geführten Organisation, die Staatsbürger des westafrikanischen Mali in Frankreich repräsentiert. Doch wegen der schwierigen Ausgangslage konnte das Problem nicht gelöst werden. Während der monatelangen Verhandlungen lebten 500, zeitweise sogar 1 400 Menschen in dem besetzten Gebäude.
Schließlich beschloss ein Teil der CGT-Führung, die Besetzung zu beenden. Am 24. Juni entsandte der gewerkschaftliche Ordnerdienst einen Schlägertrupp, 60 Männer drangen vermummt oder maskiert und mit Holzknüppeln ausgestattet in das besetzte Nebengebäude des Gewerkschaftshauses ein. Zum Zeitpunkt der Räumung fand eine Demonstration der Sans Papiers statt, es hielten sich überwiegend Frauen und Kinder in dem besetzten Gebäude auf. Dass die verbleibenden Besetzer ihrer Verdrängung dennoch einigen Widerstand entgegensetzten, hatten diejenigen, die die Räumung angeordnet hatten, vielleicht nicht erwartet.
Die linksliberale Tageszeitung Libération, deren Redaktion nur wenige hundert Meter von dem besetzten Gebäude entfernt ist, übte scharfe Kritik an der Räumung. Auch andere Medien berichteten kritisch, Bilder von der Räumung kamen in Umlauf. Auch zahlreiche Gewerkschaften protestierten, unter ihnen Mitgliedsgewerkschaften der CGT, von der Nationalen Journalistengewerkschaft SNJ-CGT bis zur Lehrergewerkschaft in Bordeaux, sie schickten empörte Schreiben und Resolutionen. Am 14. Juli wurde bekannt, dass die Leitung der CGT schon Anfang des Monats ihren namentlich nicht genannten »Sicherheitsverantwortlichen« gefeuert haben soll.

Unterdessen campierten mehrere hundert Sans Papiers in der Nähe, unter freiem Himmel auf den Trottoirs eines Pariser Boulevards direkt vor den Türen zum Hauptgebäude des Gewerkschaftshauses. Am 17. Juli rief die CPS 75 dann zu einer Kundgebung auf einem zentral gelegenen Pariser Platz auf. Danach zogen die mehreren hundert Teilnehmer in den Pariser Norden, um dort im 18. Bezirk das leer stehende Krankenkassengebäude zu besetzen.
Den Tipp gab die CGT-Branchengewerkschaft im Reinigungsgewerbe, die das prächtige Gebäude entdeckt hatte. Zuvor hatten Mitglieder der CGT und zahlreiche Unterstützer die Sans Papiers zu dieser Verlagerung ihrer Besetzungsaktion ermutigt. Für die neue Besetzung gibt es sicherlich unterschiedliche Motive. Für die CGT spielt zweifellos die Erwägung eine Rolle, dass der Umzug der Besetzer im Pariser Gewerkschaftshaus wieder Normalität einkehren lässt. Doch sind im Gebäude der Krankenkasse auch die Wohnbedingungen besser, das riesige Bürohaus bietet ausreichend Platz für mehrere hundert Menschen. Überdies erleichtert es die Entschärfung des Konflikts, Mitglieder der CGT für die Unterstützung der Besetzer zu gewinnen. Allerdings beteiligt sich ein Teil der CGT nicht an den Solidaritätsaktionen, auch die KP hält sich fern.
Unzufrieden mit der nun erzielten Lösung ist vor allem die Krankenkasse, der das Gebäude gehört. Da niemand 36 Millionen Euro für ein besetztes Haus zahlt, erhob sie eine Eilklage, um eine Räumung zu ermöglichen. Am Freitag der vergangenen Woche fand die Verhandlung statt, das Urteil soll in dieser Woche gesprochen werden. Statt der CGT könnte dann die CRS, die Bereitschaftspolizei, anrücken.