Der mysteriöse Tod eines Asylbewerbers in Möhlau

Ratten im Bett

Unter mysteriösen Umständen starb ein Flüchtling in Sachsen-Anhalt an Brandverletzungen. Die anderen in Möhlau lebenden Flüchtlinge trauern und protestieren gegen ihre Behandlung.

Azad Hayi ist tot. Der 28jährige Kurde aus dem Flüchtlingsheim Möhlau in Sachsen-Anhalt ist Mitte Juli an seinen Brandverletzungen gestorben. Wie und wo er sich diese zugezogen hat, ist einen Monat nach dem Vorfall immer noch unklar. Schwer verbrannt kehrte Hayi am 30. Juni um zwei Uhr nachts in das Heim zurück, wo seine Frau seit Stunden auf ihn gewartet hatte. »Ich wollte gerade ins Bett gehen, als ich ein starkes Klopfen hörte. Ich habe aufgemacht und sein ganzes Gesicht war voller Blut. Er ist schnell in die Dusche gegangen und hat gesagt: ›Mach das kalte Wasser auf mich, ich brenne!‹ Fast am ganzen Körper hatte er keine Haut mehr«, sagt seine Frau der Jungle World. Als sie ihn fragte, wer ihm das angetan habe, antwortete er ihr, Nazis hätten ihn »fertiggemacht«.
»Ich will nur die Wahrheit wissen«, sagte die erschöpft wirkende Frau vergangene Woche auf einer Demonstration in Wittenberg. Die Wahrheit ist aber schwer herauszufinden. An der Dönerbude eines mit Hayi befreundeten Syrers im 20 Kilometer von Möhlau entfernt liegenden Roßlau fand die Polizei DNA-Spuren des Kurden. Eine Stunde bevor er in fremder Kleidung ins Flüchtlingsheim zurückkehrte, hatte sich nach Polizeiangaben eine von einem Brandbeschleuniger hervorgerufene Explosion in dem Lokal ereignet. Wer den Brand gelegt hat, ist bisher ungeklärt. Ein rassistischer Hintergrund ist der Polizei zufolge nicht auszuschließen.
Die Angst der Flüchtlinge in Möhlau vor rassistischen Übergriffen ist seit Hayis Tod gewachsen. In dem Heim leben sie völlig ungeschützt und isoliert: Es befindet sich hoch oben im Wald in einer baufälligen, ehemaligen Kaserne, drei Kilometer entfernt vom Ort Raguhn. 200 Menschen leben auf engstem Raum, zwischen verrotteten, alten Möbeln, Kakerlaken und Ratten. »Wir leben nicht wirklich wie Menschen. 80 Prozent der Bewohner, die seit mehreren Jahren hier leben, haben psychische Probleme. Vor kurzem habe ich zwei Ratten auf meinem Bett gefunden«, schildert ein Flüchtling aus Niger die Lage. Die nächstgelegene Einkaufsmöglichkeit gibt es in Dessau, 20 Kilometer entfernt, eine Strecke, die die Bewohner des Lagers meist zu Fuß zurücklegen, da der Bus nur zwei Mal am Tag fährt.
Eine Genehmigung, den Landkreis zu verlassen, erteilt die Ausländerbehörde so gut wie nie. Die Flüchtlinge erzählen, sie erlebten die Behörden als »absolut strikt« in diesem Punkt. »Es ist ganz deutlich das Zusammenwirken von Unterkunfts- und Residenzpflichtauflage zu beobachten, wodurch die Betroffenen ausgegrenzt werden sollen«, sagt Sebastian Cramer von der Gruppe »No Lager« aus Halle, die das Flüchtlingsheim wöchentlich besucht. Für das zweimalige Verlassen des Landkreises wurde kürzlich eine Geldstrafe von 900 Euro gegen einen Flüchtling aus Möhlau verhängt.
Im April hatten die Bewohnerinnen und Bewohner einen offenen Brief an den Landrat in Wittenberg geschickt, in dem sie die Lebens­verhältnisse im Heim zur Sprache brachten und soziale Sicherheit und Wohnungen forderten. »Wir werden zur Zielscheibe rechtsextremer Übergriffe«, schrieben sie. Der Landrat sah keine Notwendigkeit, mit den Flüchtlingen zu sprechen.
Drei Tage nach dem Tod von Hayi erhielt die auch im Heim lebende Familie Nezhdet eine ­Benachrichtigung von der Ausländerbehörde; sie soll innerhalb eines Monats abgeschoben werden. Der Anwalt der Familie hat eine Klage und einen Eilantrag gegen den Bescheid eingereicht. Sefaj Nezhdet lebt mit seiner Frau und acht Kindern in zwei Zimmern, seit acht Jahren ist er in Deutschland und hat keine Kontakte mehr in den Kosovo. Er würde lieber aus dem Fenster springen, als abgeschoben zu werden, sagt er der Jungle World. »Wir leben hier, ohne dass wir uns einen Tag ausruhen können. Wenn wir morgens aufwachen, können wir froh sein, dass wir noch nicht zur Abschiebung abgeholt worden sind«, sagt ein Flüchtling, der seinen Schilderungen zufolge aus Niger ist und in dem Land mit dem Tod bedroht wird.
Der 17jährige Milan*, Sohn eines im Jugoslawien-Krieg umgekommenen Mannes aus Montenegro, lebt mit seiner Mutter schon seit neun Jahren in Flüchtlingsheimen, einige Jahre davon in Möhlau. Die beiden sind geduldet, haben aber keine Arbeitserlaubnis. In der Schule ist der Junge jahrelang von rassistischen Mitschülern schikaniert worden. »Du Türke, du musst rausgehen aus meiner Heimat! Was willst du nur hier, woher hast du deine Klamotten, bist du Drogendealer oder was machst du hier? Verpiss’ dich in deine Heimat!« – solche Sätze bekam Milan nach eigener Aussage zu hören.

Aus Trauer um Azad Hayi und aus Protest gegen die Zustände in Möhlau rief die Flüchtlingsorganisation »Togoactionplus« in der vergangenen Woche zu einer Demonstration auf, die vor der Ausländerbehörde in Wittenberg endete. Etwa 150 Menschen, Flüchtlinge und ihre Kinder und Mitglieder und Mitstreiter von Togoactionplus, forderten die Schließung des Heims in Möhlau, einen sofortigen Abschiebestopp und die Aufhebung der Residenzpflicht. Vor der Behörde kam es dann zu einem Streitgespräch zwischen deren Leiter und einem afrikanischen Flüchtling. »Die Innenministerkonferenz hat gesagt, nach sechs Jahren sollte man eine Aufenthaltsbewilligung bekommen. Aber die Ausländerbehörde hier sagt nein. Ich bin seit elf Jahren in Möhlau, ich habe gar nichts gekriegt, nur Gutscheine und fertig. Und ich bin krank«, rief der Flüchtling.
Komi Edzro, Vizesprecher der Flüchtlingsinitiative Togoactionplus, war zufrieden mit der Demonstration: »Die Kinder sind direkt in die Ausländerbehörde hineingelaufen. Sie schrieen: ›Ihr behandelt uns wie Tiere. Lager Möhlau muss weg. Abschiebungsstopp! Freiheit! Freiheit!‹ Sie konnten ihre Wut am Mikrofon herauslassen.«

* Name von der Redaktion geändert