Besetzung einer Autofabrik in Südkorea

Schrauben pflastern ihren Weg

Seit dem 21. Mai besetzen 800 Arbeiter eine Autofabrik im südkoreanischen Pyeongtaek, weil sie ihre Entlassung nicht akzeptieren wollen. Polizei und Management haben eine Blockade verhängt, die Verhandlungen sind gescheitert.

Die Belagerung dauert an. Noch immer haben sich etwa 800 Arbeiter auf dem Gelände einer Fabrik in Pyeongtaek verschanzt, die dem Autohersteller Ssangyong gehört. Am 20. Juli stürmte die Polizei das Gelände. Den Besetzern wurde das Wasser abgestellt, die Polizei verhindert, dass sie Nahrungsmittel und medizinische Hilfe erhalten. Alle besetzten Gebäude zu räumen, wagte die Polizei bislang jedoch nicht, Ende Juli begannen neue Verhandlungen.
Dass Manager für einige Stunden in ihren Büros eingesperrt werden, erboste Arbeiter eine Fabrik besetzen oder durch die Straßen ziehen und hier und da Barrikaden anzünden, kommt auch anderswo vor. Doch die Härte und Ausdauer der Besetzer in Pyeongtaek ist ungewöhnlich, insbesondere für die Autoindustrie.
Ssangyong ist Südkoreas fünftgrößter Autohersteller und damit der kleinste des Landes. Die chinesische Shanghai Automotive Industry Corp. (SAIC) ist seit 2004 zu 51 Prozent an Ssangyong beteiligt. Der Umsatz des Unternehmens ist in der ersten Hälfte 2009 im Vergleich zum vergangenen Jahr um 74 Prozent eingebrochen. Ssang­yong stellt hauptsächlich Geländewagen und Nobel­karossen her und hat daher ein ähnliches Problem wie General Motors. Nicht nur die Folgen der Weltwirtschaftskrise, auch steigende Spritpreise und ein wachsendes Umweltbewusstsein minderten den Absatz. Ssangyong hat bereits im Januar Insolvenz angemeldet, konnte jedoch unter richterlicher Aufsicht im Februar den Betrieb wieder aufnehmen. Der »Rettungsplan« sieht die Entlassung von 2 646 Beschäftigten vor.
Der koreanische Gewerkschaftsverband KCTU erklärte, dass »von den 2 646 Entlassenen 1 800 freiwillig ihren Job aufgegeben« hätten, und fordert, »die verbleibenden 800« Arbeiter nicht zu entlassen. Dies sei »mittels Schichtarbeit« möglich. Seit dem 21. Mai haben diese 800 Arbeiter das Fabrikgelände besetzt. Ein Sprecher der Gewerkschaft, Lee Chan-kun, kündigte an, dass sie auch »im Angesicht des Todes« nicht aufgeben würden.
Die Besetzung verursachte Produktionseinbußen, die Ssangyong bereits 183 Millionen US-Dollar kosteten. Anfang Juli befand ein Gericht die Besetzung für illegal. Die Polizei wurde vor zwei Wochen beauftragt, das Gelände zu räumen. 3 000 Polizisten drangen vor, unterstützt von Wasserwerfern und zwei Polizeihubschraubern. Die Beamten setzten Schlagstöcke, Gummigeschosse und Elektroschockpistolen ein, es ­gelang ihnen, die meisten Gebäude zu erobern.

Doch die Arbeiter hatten Schleudern auf den ­Dächern installiert und beschossen die anrückenden Polizisten mit Schrauben und Bolzen. Während die Beamten Netze aufhängten, um sich vor dem Beschuss zu schützen, verschanzten die Arbeiter sich in der Lackiererei, wo 10 000 Liter leichtentzündlicher Lack und Verdünner lagern. Das Gebäude ist mit Transparenten verziert, auf einem ist zu lesen: »Bringt uns doch alle um.«
Im Januar starben bei der Räumung eines Hauses in Seoul vier Besetzer und ein Polizist, im Gebäude war ein Feuer ausgebrochen, vermutlich durch einen Brandsatz ausgelöst. Ein Feuer in der Lackiererei hätte weit verheerendere Folgen, der Polizeichef Kang Hee-rak betonte, dass er »den richtigen Zeitpunkt für den Einsatz abwägen« werde. Die Belagerung soll die Besetzer zum Aufgeben zwingen, von Helikoptern aus wurden sogar Chemikalien, unter anderem Tränengas in hoher Konzentration, gesprüht. Bislang gab es auf beiden Seiten insgesamt mehr als 110 Verletzte.
Einige Juristen hatten versucht, den Besetzern 3 000 Wasserflaschen und Erste-Hilfe-Kästen zukommen zu lassen, die Polizei verhinderte die Übergabe jedoch. Inzwischen hat sich die Human Rights Commission zu Wort gemeldet, das brutale Vorgehen der Polizei kritisiert und gefordert, den Arbeitern den Zugang zu Wasser und medizinischer Versorgung zu gestatten. Auch die International Trade Union Confederation, der größte Gewerkschaftsverband der Welt, kritisierte den Polizeieinsatz. Doch Beschwerden dieser Art beeindrucken den konservativen Präsidenten Lee Myung-bak offenbar nicht.
Arbeitskämpfe in Südkorea werden oft mit großer Härte geführt. Die Erbitterung verstärkt hat in diesem Fall, dass die Frau eines Gewerkschafters aus Verzweiflung Selbstmord beging, als die Polizei zur Räumung anrückte. Ihr waren nach Angaben der Gewerkschaft zuvor gerichtliche Vorladungen und ein Haftbefehl für ihren Mann zugegangen. Die KCTU gibt der Regierung und dem Management die Schuld an ihrem Tod. Denn »bereits die Entlassungen« kämen Mord gleich.
Den Gewerkschaften gelang es seit der Demokratisierung Ende der achtziger Jahre, eine Reihe von Verbesserungen zu erkämpfen, unter anderem eine Reduzierung der Wochenarbeitszeit von mehr als 55 auf 40 Stunden und einen Kündigungsschutz, der Entlassungen nur bei »dringlichen« Notlagen gestattet. Geschützt werden jedoch nur regulär Beschäftigte. Seit der so genannten Asien-Krise 1997/1998 stellen die Unternehmen in Südkorea deshalb verstärkt Zeitarbeiter ein, ihre Zahl wird derzeit auf 5,4 Millionen geschätzt.
Im Jahr 2007 verabschiedete die Regierung ein Gesetz, das eigentlich die Zeitarbeiter schützen sollte. Es schreibt den Unternehmen vor, Zeitarbeiter, die bereits zwei Jahre angestellt sind, permanent unter Vertrag zu nehmen. Deshalb haben viele Unternehmen am 1. Juli beschlossen, Zeitarbeiter zu entlassen, die fast zwei Jahre beschäftigt wurden. Der Ökonom Kwon Hyuk-cheol befindet, dass Manager die »unregelmäßig Beschäftigten als Prellbock halten«, um »Auseinandersetzungen mit Gewerkschaften aus dem Weg« gehen zu können. Denn nur 3,4 Prozent der Zeitarbeiter sind Gewerkschaftsmitglieder, während 17,4 Prozent der regulären Arbeitskräfte gewerkschaftlich organisiert sind. Kritiker werfen aber auch den Gewerkschaften vor, sich nicht ausreichend für die Zeitarbeiter einzusetzen.

Überdies drohen weitere Firmenpleiten und Massenentlassungen. Da der Exportanteil 40 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausmacht, ist die südkoreanische Wirtschaft sehr stark von der Entwicklung des Welthandels abhängig und somit von der Wirtschaftskrise härter betroffen als andere Länder. Im Jahr 2008 betrug das Gesamthandelsvolumen 857,2 Milliarden US-Dollar, Ausfuhrgüter sind vor allem Autos, Schiffe, elektronische Erzeugnisse, Stahl und Chemikalien, alles Waren, bei denen ein Rückgang der Nachfrage prognostiziert wird oder bereits eingetreten ist. Das Wirtschaftswachstum lag im vergangenen Jahr bei 2,5 Prozent, in diesem Jahr erwartet der Internationale Währungsfonds einen Rückgang um vier Prozent. Wegen des Handelseinbruchs ist auch die Arbeitslosenquote im Juni 2009 auf offiziell 3,9 Prozent angestiegen, im vergangenen Jahr lag sie durchschnittlich bei 3,3 Prozent.
Auch in Südkorea gibt es Konjunkturprogramme, im Januar wurde der »Green New Deal« beschlossen. Über 30 Milliarden Euro werden bereitgestellt, um Arbeitsplätze zu sichern, die In­frastruktur auszubauen und eine »grüne« Wirtschaftspolitik zu ermöglichen. Von einem »Green New Deal«, einer Umstellung auf umweltverträglichere Produkte wie Kleinwagen, wie General Motors sie plant, ist bei Ssangyong jedoch nicht die Rede. Anders als die Regierungen der USA und Deutschlands, die »ihre« Autokonzerne erhalten wollen, zu Hilfszahlungen bereit sind und sich in die Übernahmeverhandlungen einmischen, scheint die politische Führung Südkoreas zu Unterstützungsmaßnahmen nicht bereit zu sein. Die KCTU wiederum ist im Vergleich zu deutschen und amerikanischen Gewerkschaftsverbänden weniger kompromissbereit.

Präsident Lee Myung-bak will »politische Gewerkschaften, Hardliner-Gewerkschaften und illegale Streiks loswerden«. Er propagiert eine koreanische Version der Sozialpartnerschaft, im Februar rief er Unternehmerverbände, Gewerkschaften und NGO zu einem »Emergency Meeting« zusammen, das Maßnahmen gegen die Krisenfolgen beschließen sollte. Die KCTU, die immerhin etwa 40 Prozent der gewerkschaftlich Organisierten repräsentiert, wurde gar nicht erst eingeladen und kritisierte nach dem Treffen, dass der konkurrierende Verband FKTU Lohnkürzungen und einem Streikverzicht zugestimmt habe.
Die KCTU organisiert Solidaritätsstreiks und Demonstrationen zur Unterstützung der Besetzer von Ssangyong, bei einem Sitzstreik vor dem Parlament in Seoul ließen sich Gewerkschafter als Zeichen des Protests den Kopf kahlrasieren. Der Verband misst dem Streik große Bedeutung zu: »Diese Julischlacht wird das Schicksal der Arbeiter entscheiden.« Tatsächlich dürften, nicht nur in Südkorea, viele Lohnabhängige aufmerksam beobachten, ob es möglich ist, sich in Krisenzeiten erfolgreich gegen Entlassungen zu wehren. Gut erscheinen die Erfolgsaussichten allerdings nicht.
»Wir haben alle Verhandlungen beendet«, sagte der Ssangyong-Manager Lee Yoo-il am Sonntag. Die erst wenige Tage zuvor begonnenen Gespräche wurden abgebrochen, Lee zufolge lehnt die Gewerkschaft das Angebot ab, einen Teil der Arbeiter weiter zu beschäftigen, und besteht auf der Rücknahme aller Entlassungen. Die Unternehmensführung droht, nun die gesamte Produktion einzustellen, und die konservative Regierung sieht weiterhin keinen Anlass zur Intervention. Die KCTU fordert eine Aufhebung der Blockade und weist darauf hin, dass zahlreiche Arbeiter in der Fabrik zum Teil schwer verletzt seien. Am Wochenende trafen 1 000 weitere Polizisten in Pyeong­taek ein. Am Dienstagmorgen setzte die Polizei zur Erstürmung der noch besetzten Teile der Fabrik an, es kam zu schweren Auseinandersetzungen.