Neues von der Hypo Real Estate

Die Arglosen im Ausschuss

Die Pleite der Hypo Real Estate kam aus heiterem Himmel. Und aus Amerika. Die Bundesregierung wusste zwar von nichts, hat aber alles richtig gemacht. Das hat der Untersuchungsausschuss des Bundestags herausgefunden.

Am letzten Tag der großen Krisenshow darf niemand fehlen. Zunächst tritt die deutsche Sektion von Attac vor dem Untersuchungsausschuss des Bundestags zur staatlichen Rettung der Hypo Real Estate (HRE) auf. Vier Mitglieder skandieren im Sitzungssaal 3.101 des Elisabeth-Lüders-Hauses »Banken zur Kasse!« und entrollen Transparente mit der gleichen Aufschrift. So bekommen auch die staatlichen Sicherheitsorgane an diesem Tag etwas zu tun und befördern die Störer hinaus. Der von allen Seiten als demokratisches Instrument gefeierte Untersuchungsausschuss bleibt wie vor­gesehen nur den »Repräsentanten des Volkes« vorbehalten.

Nach Monaten mit Sitzungen und der Durchsicht des Aktenbestands von rund 175 000 Seiten dürfen die »Repräsentanten« endlich den letzten Zeugen vernehmen: Finanzminister Peer Steinbrück (SPD). Hans-Ulrich Krüger, Freund der SPD und im Nebenjob zur Neutralität verpflichteter Ausschussvorsitzender, lässt Steinbrück kurz skiz­zieren, wie die HRE »gerettet« wurde. Eines ist klar: Schuld daran, dass es überhaupt Probleme gab, waren die Amerikaner. Obwohl die Bankenaufsicht Bafin die Übernahme der auf Hedgefonds spezialisierten Depfa bei einem Routinetreffen in der HRE-Zentrale in München als hochriskant eingeschätzt und weitere kleinere Warnungen in den immerhin acht Berichten zwischen Januar und August 2008 ausgesprochen hatte, sei letztlich dennoch entwarnt worden. Einen totalen Liquiditätsverlust der HRE werde es nicht geben.
An diesem Punkt kann sich Steinbrück die Spitze gegen den Präsidenten der Bafin, Jochen Sanio, der die HRE zuvor als »Todeszone« und »Saustall« bezeichnet hatte, nicht verkneifen. Weder vor der »Rettung« noch in den beiden Krisenrunden davor habe Sanio ihm gegenüber diese Einschätzung jemals geäußert, sagte Steinbrück. Erst die Pleite von Lehman Brothers am 15. September 2008 habe die HRE in existenzielle Schwierigkeiten geraten lassen und die Bundesregierung letztlich zur Übernahme der maroden Bank gezwungen. Damit das nicht in Vergessenheit gerät, springt Krüger nochmal ein und fragt: »Hat tatsächlich die Lehman-Pleite die HRE in Schwierigkeiten gebracht, oder hatte sie schon vorher Schlag­seite?« Die Antwort lautet: Sämtliche Zeugen hätten ausgesagt, dass die »Lehman-Pleite der Ausgangspunkt für die Schwierigkeiten der HRE« war. Na, dann ist ja alles klar.

Während die Vertreter der Koalitionsparteien sich, wie in den anderen Fragerunden zuvor auch, bedingungslos hinter die Bundesregierung stellen, dürfen die Oppositionsparteien in der Folge ein wenig Wahlkampf betreiben. Als erster darf der FDP-Finanzexperte Volker Wissing ran. Sein Spezialgebiet ist das Versagen der Bankenaufsicht. Immer wieder will er wissen, wie viele Informationen das Finanzministerium vor der Pleite von Leh­man Brothers über die Liquiditätsprobleme der deutschen Banken im Allgemeinen und der HRE im Besonderen von der staatlichen Bankenaufsicht erhalten habe. Als er dem Finanzminister das Bekenntnis zur völligen Unkenntnis endlich entlocken kann, ist sein Job erledigt.
Axel Troost von der »Linken« tritt auf. Wie schon bei der Vernehmung des Finanzstaatssekretärs Jörg Asmussen, der sich sowohl unter der Regierung Schröder als auch unter der Großen Koalition insbesondere durch die Zulassung und Förderung von Hedgefonds einen Namen gemacht hat, will Troost wissen, ob »Finanzspekulanten nicht Tür und Tor« geöffnet worden sei. Das darf der Minister nicht so stehen lassen: Es sei darum gegangen, dass Deutschland den Anschluss an die großen Finanzzentren nicht verliert. Immerhin gibt Steinbrück aber noch zu, man habe sich einem deregulierten Finanzmarkt »zu lange und zu unkritisch ergeben«. Nachdem sich beide noch der gegenseitigen Antipathie versichert haben, hat auch Troost seine Aufgabe zur vollsten Zufriedenheit erfüllt.
Im Gegensatz zu den Vertretern der FDP und der Linkspartei, die sich ein eindeutiges wirt­schafts­politisches Profil zu geben trachten, geht es Gerhard Schick von den Grünen offensichtlich vor allem darum zu beweisen, dass er selbst über allerhand Insider-Wissen verfügt. Ob das der ganz besonders großen Inhaltslosigkeit seiner Partei, der Absicht, sich alle möglichen Koalitionen nach der Bundestagswahl offen zu halten, oder aber ein­fach persönlichen Ambitionen auf einen der demnächst zu vergebenden Jobs im Finanzministerium oder bei der Bankenaufsicht geschuldet ist, verrät er natürlich nicht. Jedenfalls wird das Unterfangen jäh gestoppt. Das Zitieren eines geheimen Quartalsberichts der Bafin vom März 2008, die bereits zu diesem Zeitpunkt ein »negatives Liquiditätssaldo« bei der HRE festgestellt hatte, macht wenig Eindruck. Der Finanzminister belehrt Schick, so etwas komme tagtäglich bei vielen Banken vor. Daraufhin weiß der grüne Finanzexperte nichts mehr entgegenzusetzen. Sogar sein Exemplar des geheimen Berichts muss der Parlamentarier noch abgeben.

Dagegen kann sich Peer Steinbrück als Sieger des Tages fühlen. Eklatante Mängel beim Krisenmanagement will der Ausschuss dem Finanzminister bzw. der Bundesregierung nicht unterstellen. Die Süddeutsche Zeitung bescheinigt ihm gar, »cool« geblieben zu sein. Und die DPA gibt in den Ticker ein, dass die Opposition den Finanzminister nicht ernsthaft in Bedrängnis bringen konnte. Nichts geahnt, aber alles richtig gemacht, lautet das Fazit des Untersuchungsausschusses über die Bundesregierung am letzten Verhandlungstag.
Ein wenig wird noch über die Zukunft der Bafin diskutiert werden. Die Ahnungslosigkeit, die Steinbrück erfolgreich für sich in Anspruch nehmen konnte, wirft ein recht ungünstiges Licht auf die Bankenaufsicht. Insofern ist es nicht unwahrscheinlich, dass nach einem neuen Bankenregulierungsgesetz künftig auch Geschäftsmodelle geprüft und eventuell Käufe verhindert werden könnten. Über die Erhöhung der Eigenkapitalquoten – die deutschen Banken konnten vor der Krise ein Verhältnis des eigenen gegenüber dem Fremdkapital von 1:52 vorweisen – wird bereits seit längerem diskutiert. Egal, wie schon bei den kürzlich erlassenen Regeln gegen die Vergütungen des Risikomanagements wird das kaum kontrollierbar bleiben.
Nicht umstritten ist, das immerhin hat die Arbeit des Untersuchungsausschusses gezeigt, die überragende Bedeutung des Finanzsektors für das allgemeine Wohl des Staats und der Gesellschaft. Die mittlerweile 87 Milliarden Euro an Bürgschaften, die der Bund sukzessive seit September 2008 der HRE gegeben hat, sind wegen der »Systemrelevanz« der Bank also mehr als gerechtfertigt. »Wir haben weiterreichenden Schaden von unserem Land, unseren Bürgern abwenden können«, diktiert Steinbrück in seinem Schlusswort den Reportern an diesem 20. August in die Mikrophone. Vorhang zu – bis zum Platzen der nächsten Blase.