Das Saarland und sein Oskar

»Mit’m Oskar ging’s uns gudd«

Es spricht wenig dafür, das Oskar Lafon­taine erneut Ministerpräsident des Saarlands wird.

Oskar Lafontaine gibt alles. Kurzatmig und mit hoch­rotem Kopf schimpft er über die Wirtschaftspolitik des amtierenden Ministerpräsidenten ­Peter Müller (CDU), der das vorzeitige Ende des Bergbaus im Saarland zu verantworten habe. Er ärgert sich über »neoliberale Professoren« und for­dert die Abschaffung von Hartz IV, Studien­gebühren und des Abiturs nach acht Jahren Gym­na­sium. Das Publikum jubelt frenetisch. Unter »Oskar«-Sprechchören steigt Lafontaine von der Bühne und lässt sich von seinen Anhängern feiern.

Ob er wirklich Ministerpräsident werden will, weiß keiner so genau. Verleiht er dem Wahlkampf etwa nur ein Gesicht, wie viele vermuten? Fest steht: Die Situation ist skurril. Es ist das erste Mal in der deutschen Geschichte, dass sich ein ehemaliger Ministerpräsident, der bereits 13 Jahre die Regierung geführt hat, nach zehnjähriger Pause mit einer neuen Partei zurückmeldet. Ganz zu schwei­gen vom psychologischen Effekt, den diese Entwicklung hervorruft: »Mit’m Oskar ging’s uns gudd«, sagen viele überzeugte Anhänger und erhoffen sich mit dem Kreuzchen an der richtigen Stelle nichts Geringeres als die strukturelle Wieder­herstellung der achtziger Jahre.
Die Abgehängten sind die Klientel Lafontaines. Die sukzessive Abkehr vom ökologisch und ökonomisch desaströsen Steinkohlebergbau, der bis zum vermutlich endgültigen Ende der Subven­tionen im Jahr 2018 jährlich mit 1,54 Milliarden Euro vom Bund gefördert wird, trifft das Land hart. Der Ausstieg des Saarlands ist für das Jahr 2012 geplant. Doch derzeit gibt es noch fast 10 000 vom Bergbau abhängige Beschäftigte, was ihn zu einem der Schlüsselthemen dieses Wahlkampfs macht. Und das weiß Lafontaine zu nutzen: Während die SPD sich eher zaghaft für den Ausstieg ausspricht, ist seine deutliche Forderung, den Berg­bau zu erhalten.
Daneben sind es vor allem bildungspolitische Themen, mit denen die »Linke« versucht, Stimmen zu gewinnen. Doch was die Ablehnung von Studiengebühren und der verkürzten Schullaufbahn sowie der Forderung nach einem längeren gemeinsamen Unterricht (»Gymnasium für alle«) angeht, gibt es viele Gemeinsamkeiten mit der SPD und den Grünen. Lafontaine den bildungspolitischen Vorkämpfer abzunehmen, fällt ohnehin nicht leicht, gehörte es doch zu seiner Bil­dungs­politik als Ministerpräsident des Landes, 1 000 Stellen für Lehrer zu streichen.

Die »Linke« liegt nach der jüngsten Schätzung bei etwa 16 Prozent. Das bedeutet im Vergleich zum April einen Verlust von sechs Prozentpunkten. Die SPD unter Heiko Maas, mit der Lafontaine am liebsten koalieren möchte, liegt bei etwa 26 Prozent, die CDU bei 36, die FDP bei neun. In dieser Konstellation, die, abgesehen von einer großen Koalition, Dreierbündnisse für eine stabile Regierung erfordern würde, käme den Grünen, die bei rund sechs Prozent liegen, entscheidendes Gewicht zu.
Aus Angst, seine Wähler zu verprellen, spricht sich der grüne Spitzenkandidat Hubert Ulrich zwar weder gegen eine Koalition mit SPD und Linkspartei noch gegen eine mit CDU und FDP aus. Doch eine Präferenz hat der Realo: lieber FDP als »Linke«. »Die Bergbaupläne der Linken sind katastrophal, weshalb wir für eine Ampelkoalition eintreten«, sagt Ulrich. Als weiteres Koalitions­hindernis nennt er die äußerst reaktionär anmutenden Vorstellungen von Christa Müller, Lafontaines Ehefrau und familienpolitische Sprecherin der saarländischen »Linken«, die etwa in der Vergangenheit gesagt hat, die »Reproduktion des asozialen Milieus« solle begrenzt werden.
Ulrichs Kampfansage blieb nicht unbeantwortet: »Wer grün wählt, wird sich schwarz ärgern«, poltert Lafontaine bei jeder Gelegenheit und verweist damit auf die angeblich bereits hinter den Kulissen ausgehandelte »Jamaika-Koalition«. »Eine faustdicke Lüge«, kontert wiederum Ulrich. Lafontaines Wahlkampf richtet sich neben dem klas­sisch bürgerlichen Block also hauptsächlich gegen die Grünen, die er »aus dem Landtag kegeln« will. Attacken gegen die SPD vermeidet er hingegen strikt.

Die SPD ist die Partei mit den unklarsten Koalitionsaussagen. Während die Grünen sich wenigstens noch zu einer Präferenz durchringen konnten, versteckt sich Maas fortwährend hinter der Floskel »Wir sind für alles offen«. Doch dahinter verbirgt sich eine nicht zu verkennende Annäherung an die »Linke«, an der die SPD kaum vorbeikommt, schließt sie eine wahltaktisch ungünstige große Koalition aus. Eine »Ampel-Koalition« scheint derzeit nicht realisierbar zu sein und sich auch in­haltlich schwierig zu gestalten.
Hingegen sind die Gemeinsamkeiten zwischen der »Linken« und der nach wie vor von Lafontaine geprägten saarländischen SPD, etwa beim Thema Bergbau, nicht zu übersehen. Bezeichnend für den Zustand der Sozialdemokratie ist, dass Maas eine Koalition mit der Linkspartei definitiv ausschließt, sollte diese bei der Wahl besser abschneiden als die SPD. Was Umfragen zufolge vor einem knappen Jahr durchaus möglich gewesen wäre, ist heute ein unwahrscheinliches Szenario. Dennoch entlarvt diese Aussage, die als Stra­tegie gedacht ist, um die Kritiker in den ei­genen Reihen zu besänftigen, die Gleichgültigkeit der SPD gegenüber ihren Zielen. Maas stellt klar: Im Zweifelsfall entscheidet sich die SPD lieber gegen eine ungeliebte Partei als für die Realisierung gemeinsamer politischer Inhalte.
Was das Krawallmachen angeht, kann es nur ein Politiker im Saarland mit Lafontaine aufnehmen: Peter Müller. »Maas hat nicht den Mumm zuzugeben, dass er mit der ›Linken‹ koalieren will«, hört man oft von ihm, der sich im Lagerwahlkampf ver­sucht. Als stünde der Rückfall in die Barbarei kurz bevor, warnt die CDU, der zumindest der Ver­lust ihrer absoluten Mehrheit vorausgesagt wird, in ihrem Wahlprogramm vor »rot-roten Experimenten«. Es drohten »Gleichmacherei«, »Umverteilungswahn« und ein »wirtschaftsfeindliches Klima« – das alles mit dem »Strippenzieher Lafontaine im Hintergrund« und der »Regierungsmarionette Maas«. Diese Rhe­torik gegen die »vereinigten Linksparteien« lässt eine große Koalition zumindest unwahrscheinlich werden.

Alles sieht danach aus, als könnte einiges von den Grünen abhängen. »Wir werden uns den Koalitionspartner raussuchen, mit dem wir grüne Politik verwirklichen können«, derlei Phrasensalat gibt Ulrich von sich, der, wenn dies nicht möglich sein sollte, auch kein Problem damit hat, »in der Opposition zu bleiben«. Absehbar ist, dass nach der Wahl einmal mehr über den Umgang der SPD mit der »Linken« in Westdeutschland und die auf Bundes- und Landesebene noch nie da gewesene »Jamaika-Koalition« diskutiert wird.
Auch wenn die Grünen ihre sozialpolitische Selbst­aufgabe schon hinter sich haben, wäre diese Konstellation eine Überraschung. Ulrich, den seine eigene Partei auch schon mal »nervt«, »weil sie manchmal unflexibel ist«, betont jedoch, dass nichts entschieden sei. In der Tat relativiert sich die Absage an die »Linke«, sind doch viele Vorbehalte explizit an die Person Lafontaines geknüpft – und der hat seine persönliche Exit-Strategie aus diesem Wahlkampf: die Kandidatur für den Bundestag. Denn die »Linke« wird es wohl nicht schaffen, bei der Wahl besser abzuschneiden als die SPD. Und ein Minister unter Maas, seinem politischen Ziehsohn, will der Vorsitzende der Linkspartei nicht werden. Oh­ne ihn wäre eine Koalition mit den Grünen wieder möglich. Lafontaines Ambitionen könnten jedenfalls schon bald – ob sie jemals ernst gemeint waren oder nicht – vor allem eins sein: Geschichte.