Das französische Gesetz gegen Raubkopierer

Tatort Internet

Die französische Regierung versucht seit einigen Monaten, ein Gesetz gegen Urheberrechtsverletzungen im Internet durchzusetzen. Der Entwurf sieht für so genannte Raubkopierer Internetsperren vor, die Verfassungsrichter sehen darin die Verletzung des Grundrechts auf Informationsfreiheit.

Auf Hadopi I folgt jetzt Hadopi II – und demnächst Hadopi III. Die Rede ist hier nicht von einer neuen Grafikdesign-Software, sondern von den wiederholten Versuchen der französischen Regierung, ein Gesetz zur »Regulierung des Internet« und gegen so genanntes Raubkopieren durchzusetzen.
Anfang April war die damals geplante Verabschiedung von Hadopi I daran gescheitert, dass die erforderliche Mindestanzahl von Abgeordneten der Nationalversammlung nicht zusammengebracht werden konnte. Die Abgeordneten der oppositionellen Sozialdemokraten hatten die Sitzung boykottiert, und zahlreiche Mitglieder der konservativ-liberalen Mehrheitsfraktionen wollten sich gern darum drücken, zu dem Gesetzentwurf Position zu beziehen. Denn auch im bürgerlichen Lager herrschten Bedenken gegen das Vorhaben. Von der »Zensur des Internets«, der »Verletzung von Grundrechten« und »handwerklichem Pfusch des Gesetzgebers« war damals die Rede.
Am 12. Mai war es dann doch soweit: Die erste Fassung des Hadopi-Gesetzes wurde verabschiedet. Aber das Glück der Regierenden hielt nur für kurze Zeit an. Am 10. Juni kassierte das französische Verfassungsgericht, das von der Opposition eingeschaltet worden war, den Entwurf. Es sah eine Verletzung von Grundrechten, nämlich der juristischen Unschuldsvermutung sowie der »Kommunikationsfreiheit«. Der Entwurf sieht die Schaffung einer Internet-Kontrollbehörde vor, die im Alleingang, also ohne gerichtliches Urteil, längerfristige Internetsperren für Nutzerinnen und Nutzer vornehmen soll. Dadurch sahen die Richter Bürgerrechte auf gravierende Weise verletzt.
Dabei ließen sich die französischen Verfassungsrichter auch von einer Resolution des Europäischen Parlaments inspirieren, die kurz zuvor verabschiedet worden war. Darin wird der Zugang zum Internet für alle europäischen Bürger als ein grundlegendes Recht definiert, welches nicht beliebig eingeschränkt werden dürfe.
Nun soll anlässlich der Sondersitzung des Parlaments am 18. September der Neuentwurf Hadopi II debattiert und verabschiedet werden. Aber eine neue Anrufung des Verfassungsgerichts ist von den Oppositionsparteien, vor allem der Sozialdemokratie, bereits angekündigt worden. Und dann wird, neben dem politischen Streit, auch der Rechtsstreit in eine neue Runde gehen. Noch ist völlig unsicher, wie die neun Richter dieses Mal entscheiden werden, die Regierung kann nicht davon ausgehen, dass die Neufassung des Gesetzes einfach durchgewinkt wird, da es nur in Teilen geändert worden ist. Unterdessen kündigte der seit Frühsommer amtierende neue Kulturminister Frédéric Mitterrand bereits die Ausarbeitung eines weiterführenden Textes, Hadopi III, für die nahe Zukunft an.

Bei den diversen Hadopi-Entwürfen handelt es sich um ein Gesetz zur Bekämpfung des »Raubkopierens«, das die Nutzung des Internet »regulieren« soll. Es sieht in seinen unterschiedlichen Fassungen jeweils vor, dass ein Regelverstoß mit dem Sperren des Internetzugangs sanktioniert werden kann. Eine kleine, aber tückische Zusatzbestimmung schreibt ferner vor, dass die solcherart bestrafte Person dennoch für die Dauer eines Jahres weiterhin ihren – gesperrten – Internetzugang bezahlen muss, also nicht etwa kostenlos vom Internet abgeschnitten wird. Ermöglicht hat dies der Druck der Internetprovider, die sich weniger an den Sperren als am drohenden Verdienstausfall zu stören schienen. Eine Doppelbestrafung? Nein, sogar eine dreifache: Denn auch die Kosten für die technischen Vorrichtungen, die zur Sperrung eines Internet-Zugangs notwendig sind, sollen dem User aufgehalst werden, der sich einer Regelverletzung schuldig gemacht haben soll.
»Soll«, denn bestraft wird die Userin oder der User nicht für nachgewiesenes eigenes Verhalten, sondern für mutmaßliches »Nichtbeherrschen der Schaffung eines sicheren Internetzugangs«. Das bedeutet: Wenn eine Person einen Zugang unterhält und ihr Computer auch von anderen Personen – etwa heranwachsenden Kindern, Lebensgefährten oder auch Freunden und Bekannten – genutzt wird, dann ist der Anmelder haftungspflichtig, sofern festgestellt wird, dass von seinem Internetzugang aus gegen Urheberrechte verstoßen wurde.
Zuständig dafür war, nach dem ersten Entwurf, zunächst allein die Aufsichtsbehörde Hadopi. Diese Bestimmung wurde nun von den Verfassungsrichtern kassiert, denn sie verletzt nach ihrer Auffassung die Unschuldsvermutung und das Recht auf richterliches Gehör, das einer Sanktion vorausgehen müsse. Zumal die Sanktion, bis zu einem Jahr lang vom Internet ausgeschlossen zu werden, einen doch ziemlich gravierenden Charakter habe, da sie eben in ein Grundrecht eingreife. Die Neufassung des Gesetzeswerks wurde an diesem Punkt nur oberflächlich geändert. Die Hadopi muss demnach künftig eine Eilklage bei einem Strafrichter erheben und eine einstweilige Verfügung erwirken, um die Internetzugänge möglicher Übeltäter sperren zu können. Dabei wird jedoch deren »Schuld« noch gar nicht geklärt sein, denn eine einstweilige Verfügung ist eine vorläufige Maßnahme, die bis zu einer Klärung des Sachverhalts erlassen wird.
Die Behörde Hadopi wird dann aktiv werden, wenn sie von den Eigentümern privater Urheberrechte angerufen wird. Das kann zum Beispiel im Namen von Künstlern oder auch ihren Erben, aber auch von Plattenfirmen oder Filmgesellschaften geschehen. Dabei ist es höchst unwahrscheinlich, dass die prekäre Künstlerin, die sich in ihren Werken selbst verwirklicht und nur mit Mühe von ihrem Schaffen leben kann, ins Spiel kommt, um ihre Urheberrechte geltend zu machen. Antragsberechtigt bei der Hadopi sind nämlich private Verfolgungsgesellschaften, eine Art Internetdetekteien, die das technische Know-how dazu haben, der Verletzung von Urheberrechten im Internet nachzuspüren. Die nötigen Mittel, um solche Agenturen tätig werden zu lassen, besitzen aber eher die großen Konzerne als die jetzt in diesem Zusammenhang viel beschworenen kleinen Künstlerinnen, freien Journalisten und andere digitale Bohémiens ohne finanzielle Mittel. Die Hadopi-Behörde kann sich dabei zunutze machen, dass seit dem im Jahr 2005 verabschiedeten Antiterrorismus-Gesetz alle Internetprovider gesetzlich dazu verpflichtet sind, zwölf Monate lang sämtliche Zugangsdaten aufzubewahren. Dies können die Verfolger der »missbräuchlichen Internetnutzung« sich nun ihrerseits, zu ganz anderen Zwecken als den ursprünglich vorgesehenen der Terrorismusbekämpfung, zunutze machen – und dadurch die Vorratsdatenspeicherung nochmals neu legitimieren.

Während sich einzelne prominente Künstler aus vermeintlichem finanziellem Interesse für das neue Gesetz engagierten und die französische Sozialdemokratie für ihre Opposition gegen die Gesetzesvorlage tadelten, hagelte es von Bürgerrechtlern und auch vielen anderen Kulturschaffenden Kritik. Noch ist indessen völlig unklar, ob die Kulturschaffenden überhaupt, wie von manchen erhofft, finanzielle Vorteile von diesem Vorgehen gegen »Raubkopierer« im Internet haben werden. Denn wenn junge Leute heute im Internet Musikstücke oder Filme herunterladen und ihnen dies morgen verwehrt wird, bedeutet dies ja noch lange nicht, dass sie dann umso mehr CDs kaufen oder kostenpflichtige Downloads vornehmen werden. Sofern es ihnen am nötigen Kleingeld fehlt, werden sie schlicht und einfach weniger Zugang zur Kultur haben als bisher. Und die findigeren unter ihnen werden ohnehin schnell jene Webseiten, auf denen Downloaden unter gleichzeitiger Anonymisierung ihrer Daten möglich ist, zu nutzen wissen.
Es hätte auch Alternativen geben können, wie etwa die linke Zeitung Tout est à nous anmerkte. So hätte die Regierung oder die Parlamentsmehrheit dafür sorgen können, dass die Urheberrechte mit dem Tod des oder der Kulturschaffenden erlöschen, anstatt die Plattenfirmen, Filmgesellschaften, Buchverlage usw. dazu zu verpflichten, auch über das Ableben des Anspruchsberechtigten hinaus dessen Erbinnen und Erben (bis zum Eintritt der Verjährungsfrist) einen regelmäßigen Obolus zu überweisen. Die dadurch frei werdenden Mittel – die dann nicht mehr Leuten zukämen, die keinerlei Inhalte »geistigen Eigentums« geschaffen haben, sondern ausschließlich als Nutznießer einer Erbschaft profitieren – hätten dazu dienen können, beispielsweise einen Fonds zu alimentieren, der einen allgemeinen Zugang zu Kulturgütern garantiert und finanziert.
Eher, weitaus eher als im Interesse der Kulturschaffenden handelte die französische Regierung, als sie an die Schaffung des Hadopi-Gesetzes ging, im Auftrag der großen kulturindustriellen Konzerne, ihrer Anwältinnen und Anwälte.
Ein weiterer Aspekt wird auch in Zukunft für heftigen Streit sorgen. Das Hadopi-Gesetz sieht vor, dass die Aufsichtsbehörde ein Urteil über Internetseiten abgibt. Der Zugang zu »illegalen« Webseiten und insbesondere solchen, über die das »Raub­kopieren« von Inhalten möglich ist, soll französischen Usern verwehrt werden können. Umgekehrt soll die Hadopi-Behörde ein Label für »Qualitätsseiten« erteilen können, die nur »überprüfte« Informationen ins Netz stellen und etwa von professionellen Journalisten betrieben werden, um diese Seiten von den zahllosen Blogs unterscheiden zu können. In einem Beitrag für Le Monde gibt der Präsidentenberater und frühere Mitarbeiter des Kulturministeriums Franck Louvrier – der den Entwurf zu dem umstrittenen Gesetz mitverfasste – folgende Zielsetzung aus: Künftig müsse man das Internet schützen »vor der Manipulation durch Inhalte, die von autoritären Regierungen« ausgingen, durch ihre Agenten ausgearbeitet und ins Netz gesetzt würden. Jérémie Zimmermann, Mitbegründer der Bürgerrechts­initiative La Quadrature du Net, ist dagegen der Auffassung, genau dadurch töte man die Informationsfreiheit im Internet, die man zu schützen vorgebe.