Die Verschärfungen im österreichischen Ausländergesetz

Abschieben und verhungern lassen

Ein indischer Flüchtling starb in Wien nach mehreren Wochen Hungerstreik in der Zelle einer Abschiebehaftanstalt. Am selben Tag verschärfte die Regierung das Ausländerrecht. Abschiebungen sollen nun schneller durchgeführt werden.

Vorzeichenglauben oder Schicksalsdeutung, so weit muss man gar nicht gehen, um zu sagen, dass die Klausur der österreichischen Bundesregierung am 14. September unter einem ungünstigen Zeichen stand. Der Tag, an dem die Novelle des Ausländerrechts abgesegnet wurde, fiel mit dem Tod von Gagendeep S. zusammen, einem indischen Abschiebehäftling, der sich im Hungerstreik befand.
An diesem Tag war Gagendeep S. in seiner Zelle im Polizeianhaltezentrum am Hernalser Gürtel in Wien zusammengebrochen. Nach ergebnislosen Reanimationsversuchen wurde sein Tod festgestellt. Der 32jährige sei Sonntagvormittag das letzte Mal untersucht und für haftfähig erklärt worden. Noch weniger als zwei Stunden vor seinem Tod sei er munter und ansprechbar gewesen, berichtete der stellvertretende Chefarzt des Innenministeriums, Jochen Rausch, gegenüber der Presse. Die ersten klinischen Untersuchungen erkannten keinen Zusammenhang zwischen seinem Tod und dem Hungerstreik. Die Obduktion wurde bereits durchgeführt, ein Ergebnis steht noch aus.
Nach Polizeiangaben war der Inder 2006 illegal nach Österreich eingereist und hatte unter einer falschen Identität und mit falscher Altersangabe einen Asylantrag gestellt, der abgelehnt wurde. Seine Ausweisung stand bevor, Gagendeep S. tauchte unter. Im August wurde er schließlich aufgegriffen und landete in Abschiebehaft. Einige Tage darauf trat er in den Hungerstreik.

Das Verweigern von Nahrung ist eine häufige Protestmaßnahme unter österreichischen Abschiebehäftlingen. Im Zeitraum von Januar bis Ende August protestierten auf diese Weise 1 223 Schubhäftlinge in Österreich. Das sind rund 31 Prozent, sagen die Zahlen des Innenministeriums. Häufig wird Hungerstreik als Mittel benutzt, Haftunfähigkeit und somit eine Freilassung zu erwirken. In täglichen Kontrollen untersuche ein Amtarzt den Gesundheitszustand der Hungerstreikenden, deren körperliche Verfassung, aber auch ihre Ansprechbarkeit. Drei Mahlzeiten pro Tag würden den Inhaftierten angeboten.
Der Tod von Gagendeep S. bestärkt die Kritiker des neuen Ausländerrechts erneut in ihrer Position. Die Verschärfungen sollen, wie Innenministerin Maria Fekter von der konservativen Volkspartei erklärte, »das Ausländerrecht noch effizienter gestalten« und ein »Kampf gegen Missbrauch sein«. Umformuliert wurde der Gesetzestext trotz scharfer Kritik seitens des Flüchtlingshochkommissariats der Vereinten Nationen (UNHCR) und sogar des Menschenrechtsbeirats des Innenministeriums.
Die verschärfte Regelung sieht die Ausweitung der Abschiebehaft vor, die künftig auch so genannte Dublin-Fälle betreffen wird, also Asylbewerber, die über Drittstaaten eingereist sind und für deren Antrag ein anderes Land zuständig ist. In Zukunft ist daher mit einem Anstieg der Zahl der Abschiebehäftlinge zu rechnen.
Besonders umstritten ist die neu geschaffene Möglichkeit einer radiologischen Untersuchung der Handwurzel zur Feststellung des Alters von Asylbewerbern, die sich als minderjährig ausgeben. Ärztekammer und Gesundheitsministerium halten dies für wenig zuverlässig und ethisch bedenklich. Die Bundesjugendvertretung spricht von einem Verstoß gegen die Kinderrechtskonvention der UN.
Roland Schönbauer, Sprecher des UNHCR forderte, dass unbegleitete Minderjährige gar nicht mehr in Abschiebehaft genommen werden sollten, und verweist auf das Asylpaket der EU-Kommission, das im Mai 2009 vom Europäischen Parlament abgesegnet wurde. Bisher lehnte Österreich einen Großteil dieser Vorschläge ab.

Das Paket sieht vor, spezielle Einrichtungen für Asylbewerber zu schaffen, statt diese in Gefängnissen unterzubringen. Die Betroffenen müssten darüber informiert werden, dass ihnen kostenlose Rechtsberatung, sowie medizinische und psychische Betreuung zusteht. Als »menschenrechtswidrig« und »eines demokratischen Landes wie Österreich nicht würdig«, bezeichnete Andreas Gruber, Vorsitzender der Organisation SOS-Menschenrechte, die verschärften Asylbedingungen und die Gesetzgebung zur Abschiebehaft.
Auch die Diakonie Österreich lehnt das neue Ausländerrecht ab und verweist auf wiederholte Forderungen des Menschenrechtsbeirats, der 1999 nach dem Tod von Marcus Omofuma gegründet wurde. Der Nigerianer starb während seiner Abschiebung in dem Flugzeug, das ihn nach Bulgarien bringen sollte. Österreichische Beamte hatten ihn an Händen und Füßen gefesselt, mit Klebeband am Sitz fixiert und ihm den Mund zugeklebt. Er erstickte kurz vor der Landung.
In den vergangenen Jahren beschäftigte sich der Beirat immer wieder mit Abschiebehaft und formulierte konkrete Empfehlungen an das Innenministerium. Im Hinblick auf den Hungerstreik etwa forderte er die Aufklärung der Betroffenen über gesundheitliche Folgen einer solchen Protestform.
Die Grünen kritisieren außerdem die Monopolisierung der Rechtsberatung für Flüchtlinge seitens des Vereins Menschenrechte Österreich. Dem Verein wird seine Nähe zum Innenministerium vorgeworfen. Auf Initiative der Partei der Grünen wird es im Oktober im Parlament ein Experten-Hearing zur Novelle geben. Bis dahin ist mit einer heftigen Debatte zu rechnen. In einer Stellungnahme zum Entwurf des neuen Gesetzestextes betont der Menschenrechtsbeirat, die Abschiebehaft sei »ein Eingriff in das Grundrecht auf persönliche Freiheit, das allen Menschen in Österreich garantiert ist«.