Vattenfall klagt gegen Deutschland

Da jammert der Konzern

Die Klage des Energiekonzerns Vattenfall gegen Deutschland empört Umweltverbände und Politiker.

Der ideelle Gesamtkapitalist sitzt auf dem Podium und schweigt. Auch die Kapitalfraktion Energie in Form des Konzerns Vattenfall sagt kein Wort, verzieht keine Miene. Der Mann im Anzug spielt eine stumme Doppelrolle. Er symbolisierte auf der Informationsveranstaltung »Goliath gegen Goliath«, die Mitte September in Hamburg stattfand, die Bundesregierung, genauer gesagt das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWI), und den florierenden Konzern Vattenfall, der in Hamburg-Moorburg ein Steinkohlekraftwerk baut. Trotz großer Bemühungen der Veranstalter, darunter der BUND, Greenpeace und Weed, wollte weder das BMWI noch das schwedische Energieunternehmen einen Vertreter auf die Bühne schicken, um über das internationale Schiedsgerichtsverfahren Vattenfall gegen die Bundesrepublik Deutschland zu informieren.

Vattenfall klagt derzeit nicht nur vor dem Oberverwaltungsgericht gegen die Stadt Hamburg. Der Energiekonzern hat im April 2009 das Washingtoner Schiedsgericht für Investitionsstreitigkeiten (ICSID) angerufen und gegen die Umweltauflagen für das Kohlekraftwerk Moorburg geklagt.
Die Sache wird weitestgehend geheim gehalten. Ivo Banek, Sprecher von Vattenfall in Hamburg, bestätigt nicht einmal die kursierende Schadensersatzsumme von 1,4 Milliarden Euro – übrigens etwa die Hälfte des gesamten Investitionsvolumens: »Wir haben diesen Betrag nie öffentlich gemacht.« Über Umwege gelangte das 27seitige Dokument »Request for Arbitration« an die Öffentlichkeit. Der schwedische Konzern beschwert sich, dass er als ausländischer Investor nicht »fair und gerecht« behandelt werde, so wie es die Internationale Energiecharta vorsehe. Er führt an, dass die zuständige Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt (BSU) das wasserrechtliche ­Genehmigungsverfahren »politisch motiviert« in die Länge gezogen habe und die Auflagen für das Kühlwasser aus der Elbe zu streng seien. Deshalb könne das Kraftwerk nicht mehr profitabel laufen.
Im Herbst 2007 hatte der damalige CDU-Senat Vattenfall eine vorläufige Baugenehmigung für das Kraftwerk erteilt, trotz der Kritik, dass die Anlage große Mengen CO2 und Feinstaub freisetzen würde. Nach der Bürgerschaftswahl, die zu einer Koalition von CDU und Grünen geführt hatte, folg­te im September 2008 die endgültige Genehmigung, allerdings mit wasserrechtlichen Auflagen. In Wahlkampfzeiten wollten die Grünen den Bau des Kohlekraftwerks Moorburg noch aus klimapolitischen Gründen verhindern.
Politiker, Medien und Umweltverbände empören sich über das Vorgehen des Konzerns. Die ­Financial Times Deutschland findet es »peinlich«, dass Deutschland angeklagt wird: »Burundi, Kirgisistan, Simbabwe – und jetzt auch Deutschland. Auf der Anklagebank des Investitions-Schiedsgerichts in Washington finden sich zumeist Bananenrepubliken wieder, die sich am ­Eigentum westlicher Investoren vergriffen haben sollen.«

Auch Politiker nehmen gerne das abwertende Wort »Bananenrepublik« in den Mund, wenn sie über Länder reden, die ebenfalls vor dem Schiedsgericht angeklagt sind. Beispielsweise Gabun, Argentinien, Kongo, die Slowakei oder Island. Der Hamburger Bürgerschaftsabgeordnete Heiko Hecht von der CDU spricht von einem »exotischen Vorgehen« und betont, dass die Behörden einwandfrei gehandelt hätten. Monika Schaal, Umweltexpertin der SPD, bedauert die »wirtschaft­liche Machtarroganz gegenüber der Politik«.
Felix Probst, Sprecher des BMWI, sagt, die Bundesregierung strebe eine gütliche Einigung mit Vattenfall an, denn »es wäre auch etwas peinlich, wenn das große Exportland verklagt werden würde«. Die Frage, ob die Klage möglicherweise zurückgezogen wird, findet er »spekulativ« und möchte dazu keine Stellungnahme abgeben. Er versichert: »Deutschland gilt nach wie vor als ­sicherer Investitionsstandort.« Auch Vattenfall sei stets daran gelegen, sich mit der Stadt Hamburg zu einigen, betont Ivo Banek.
Umweltverbände machen sich gar Sorgen grundsätzlicher Art. In einem offenem Brief an Vattenfall schreibt Greenpeace: »Sind Sie sich der Gefahr bewusst, mit dieser Klage die Souveränität des deutschen Rechtssystems zu unterlaufen?« Warum sich Greenpeace ausgerechnet um den Staat sorgt (Slogan: »Atomtechnologie schadet Deutschland«), sei dahingestellt.
Was an anderen Orten Usus ist – nämlich dass Unternehmen in armen Ländern am nationalen Recht vorbei Öl fördern lassen, Fabriken in ökologisch zu schützende Gegenden hineinbauen oder die Regierungen anklagen, wenn sie ihre Investitionen verpulvert sehen –, wird nun zum Politikum. Dass Deutschland angeklagt wird, ist eine Ironie der Geschichte, man könnte es aber auch einen Betriebsunfall nennen. Deutschland ist Vorreiter in Sachen Investitionsschutzabkommen, bereits 1959 vereinbarte es mit Pakistan ein Abkommen. Mittlerweile hat Deutschland zahlreiche Verträge geschlossen und führte vor knapp 30 Jahren auch Klagerechte für die Investoren ein.

Im Rahmen der Energiecharta etwa klagen derzeit die Deutsche Bank gegen Sri Lanka, Siemens und Hochtief AG gegen Argentinien oder die Fraport AG Frankfurt gegen die Philippinen.
Umwelt- und Entwicklungsverbände sehen mit der Klage und den deutschen Investitionsverträgen die künftige Klimapolitik und andere Maßnahmen der »Umwelt- und Ressourcengerechtigkeit« bedroht. »Der Vattenfall-Prozess bei der Weltbank zeigt auf drastische Weise, wie verantwortungslos es ist, transnationalen Konzernen Klagerechte außerhalb der nationalen staatlichen Rechtsprechung zu geben«, sagt Peter Fuchs, Experte der NGO Weed für Handels- und Investitionspolitik. »Dieser Prozess ist die Quittung für eine konzernfreundliche internationale Investitionspolitik, bei der die deutsche Bundesregierung leider weltweit führend ist.«
Aber es ist fraglich, ob Konzerne es nun leichter haben Umweltrichtlinien zu umgehen. Zwar bieten die Bestimmungen in den Abkommen einen breiten Interpretationsraum, doch wenn die Po­litik bei umstrittenen Projekten gegenüber den Investoren deutlich macht, dass alle Auflagen, EU-Richtlinien und rechtlichen Möglichkeiten bis zur letzten Konsequenz ausgeschöpft werden, dann dürften kaum Klagen über »ungerechte und unfaire« Behandlung laut werden. Vor Gericht ziehen werden Unternehmen möglicherweise trotzdem.
Offenbar sorgt man sich bei BUND und Co., ob der Staat beziehungsweise die Stadt Hamburg – obwohl selbst angeklagt – auch gründlich genug gegen Vattenfall vorgeht. Kein Wunder angesichts der demonstrativen Innigkeit, die Hamburg und der Energiekonzern bei gemeinsam veranstalteten Radrennen und »Klimatagen« in der Vergangenheit zeigten. Die Umweltverbände holten sich 2007 in einer »Ausleihaktion« die unter Verschluss gehaltenen Planungsordner aus der Behörde, sammelten Belege und Beweise, sichteten Gutachten und sagen nun: »Vattenfall lügt.«

Bei der Investitionsklage mag Vattenfall der Devise »Ist der Ruf erst ruiniert« folgen. Eine ganz andere Branche ist ebenfalls auf der Suche nach neuen Einnahmequellen. Immer häufiger bieten Rechtsanwälte – etwa in Anzeigen der Wirtschaftblätter – ihre Dienste in Sachen Schutz von Auslandsinvestitionen und Nutzbarmachung der Klagerechte an. Auch der Hamburger Ableger der Kanzlei Luther, der Vattenfall vertritt, ist Spezialist für Schiedsverfahren nach dem Energiechartavertrag.
Sollte sich Vattenfall im Rechtsstreit gegen Deutschland durchsetzen, dürfte es auf der Länderebene teuer werden. Felix Probst zufolge ist es bei Verletzung von EU-Richtlinien die Regel, dass die Strafkosten vom Bund an die verantwortlichen Länder geleitet werden. Die Entscheidung darüber wird aber noch viele Monate dauern.