Über »Mini-Kraftwerke« in deutschen Kellern

Keller mit Lichtblick

VW und das Stromhandelsunternehmen Lichtblick wollen »Mini-Kraftwerke« in 100 000 Keller bauen. Das rechnet sich – für die Unternehmen. Mit den »virtuellen Kraftwerken« will die konventionelle Stromwirtschaft erneuerbare Energien unter ihre Kontrolle bringen.

Kurz vor der IAA in Frankfurt stellte der Autokonzern Volkswagen in Salzgitter sein neues Modell »EcoBlue« vor. Was sich anhört wie ein wasserbetriebenes Auto, ist in Wirklichkeit ein kleines Kraftwerk für den Keller mit einem modifizierten Gasmotor. Der Reiz der neuen Modellreihe besteht folglich nicht darin, Sprit sparend über die Autobahn zu flitzen, sondern in der häuslichen Produktion von Strom und Wärme.

Gemeinsam mit dem Stromhandelsunternehmen Lichtblick plant VW den Einbau von 100 000 Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen in Wohnhäusern. Im nächsten Jahr sollen die ersten mit Erdgas betriebenen Anlagen eingebaut werden. Zunächst ist das Angebot der kleinen Kraftwerke ausschließlich auf Hamburg beschränkt, wo Lichtblick seinen Unternehmenssitz hat. Danach ist der Aufbau eines Vertriebs für ganz Deutschland geplant. Lichtblick hat für diese Kraftwerke die exklusiven Vertriebsrechte. VW will die Blockheizkraftwerke »EcoBlue« – unter dem holprigen Namen »Lichtblick-Zuhausekraftwerk« vermarktet – in seinem Motorenwerk in Salzgitter herstellen lassen. Die Gesamtleistung der angepeilten 100 000 Kellerkraftwerke, insgesamt 2 000 Megawatt, könnte zwei große konventionelle Kraftwerke überflüssig machen.
Die in den »Mini-Kraftwerken« zur Anwendung kommende Technik wird Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) genannt. Die KWK hat gegenüber der konventionellen Energieumwandlung Vorteile, weil Wärme und Strom kombiniert erzeugt werden. Ein Gasmotor treibt einen Generator an, der Strom erzeugt. Die Abwärme des Verbrennungsprozesses wird in einem Wärmetauscher zur ­Erwärmung von Wasser für die Heizung und die Dusche genutzt. Während in einem konventionellen Kraftwerk die Wärme – beispielsweise in Form von aufgeheiztem Flusswasser – an die Umwelt abgegeben wird, führt die kombinierte Wärme- und Stromerzeugung dazu, dass der Energiegehalt des Brennstoffs zu einem viel größeren Teil verwertet wird. Die Kraftwerke von VW sollen nach den Angaben des Herstellers einen Wirkungsgrad von 92 Prozent erreichen.

Was die Anlagen von VW und Lichtblick interessant macht für die führenden Energiekonzerne der konventionellen Energiewirtschaft, ist die Verbindung der Mini-Kraftwerke über eine Datenleitung zu einer Zentrale, von der die dezentralen Kraftwerke gesteuert werden können. Die Idee »virtueller Kraftwerke« existiert schon seit vielen Jahren. Dies ist der Versuch, sie zu realisieren.
Offenbar sollen die besonders teuren – weil nur im Bedarfsfall angeschalteten – konventionellen Regelkraftwerke überflüssig gemacht werden. Diese werden nur in Betrieb genommen, wenn besondere Belastungen auftreten oder andere Kraftwerke ausfallen. Die dezentralen Mini-Kraftwerke werden zu dem Zweck, ihre Leistung gebündelt verkaufen zu können, von einer Zen­trale gesteuert. Wenn es an der Strombörse in Leipzig hohe Preissignale gibt, werden die kleinen Kraftwerke von der Zentrale koordiniert hochgefahren. Innerhalb von einer Minute soll die gesamte Leistung zur Verfügung stehen.
Allerdings bezahlt man für das Zocken an der Energiebörse einen energetischen Preis. KWK ist besonders effizient, wenn die Anlagen wärmegeführt sind, d.h. wenn sie laufen, um einen bestimmten Wärmebedarf zu decken. Der Strom fällt dann als Zusatznutzen ab und erhöht die Ausbeutung des genutzten Energieträgers. Die Kraftwerke von VW und Lichtblick sind demgegenüber stromgeführt, um die Stromproduktion der Unternehmensstrategie und den Preissignalen gemäß verändern zu können. Sind diese gerade besonders hoch, werden die Kraftwerke von der Zentrale angeworfen und liefern Strom und erzeugen gleichzeitig warmes Wasser – auch wenn es zu diesem Zeitpunkt gerade nicht gebraucht wird. Das warme Wasser wird zwar gespeichert, aber jeder Speicher hat energetische Verluste. Es wäre sinnvoller, wenn die KWK-Anlagen auf Nachfragesignale im jeweiligen Haus reagierten statt auf Preissignale an der Börse.

Aus der Sicht der Kunden sieht das Angebot folgendermaßen aus: Für einen Pauschalpreis von 5 000 Euro reißen Techniker von VW und Lichtblick den alten Heizkessel heraus, werfen ihn weg und ersetzen ihn durch ein VW-Blockheizkraftwerk einschließlich Wärmespeicher. Die Anlage wird an das Telekommunikations- und Stromnetz angeschlossen. Innerhalb von zwei Tagen soll der gesamte Umbau über die Bühne gebracht sein. Der Kunde zahlt dann als Grundpreis 20 Euro plus den Preis der verbrauchten Wärme, der auf der Grundlage eines Gaspreisindexes vom Statistischen Bundesamt ermittelt wird. Das Kraftwerk im Keller des Kunden bleibt Eigentum von Lichtblick. Das Kraftwerksgelände von Lichtblick sind also die Keller der Kunden des Unternehmens. Der Kunde erhält monatlich fünf Euro Miete für den Keller und für jede ins Netz eingespeiste Kilowattstunde Strom 0,5 Cent. Wartung und Reparaturen sind kostenlos und werden von Lichtblick vorgenommen.
Lichtblick profitiert zunächst von der Dumping­miete für den gewerblichen K ellerraum im Privathaus. Vor allem aber wird das Unternehmen eine ganz erhebliche Marge am Strom verdienen. So kostet derzeit eine Kilowattstunde Strom an Werktagen an der Leipziger Strom­börse 4,4 Cent, also das Neunfache des von Lichtblick vergüteten Preises.
Zunächst wird das Unternehmen Lichtblick allerdings seine eigenen Kunden mit dem Strom aus den KWK-Anlagen versorgen. Die derzeit von der Firma belieferten 486 000 Haushalte müssen einen Preis von 19,99 Cent pro Kilowattstunde bezahlen. Nach eigenen Angaben bezahlt Lichtblick davon 34 Prozent für die Strombeschaffung, was einen Preis von 6,8 Cent bedeutet. Zusätzlich zahlt der Stromnetzbetreiber nach dem KWK-Gesetz einen Zuschlag von 5,11 Cent pro Kilowattstunde. Für die Stromhandelsfirma also insgesamt ein sehr lukratives Geschäft.

Das strategische Ziel von Lichtblick ist es offensichtlich, die Kunden aus ihren Verträgen mit den etablierten Stromkonzernen zu locken, um sie in eine neue Abhängigkeit vom eigenen Unternehmen zu bringen. Welche Macht das Unternehmen über seine Kunden haben wird, hat die Süddeutsche Zeitung so auf den Punkt gebracht: »Wer den Vertrag nach zwei Jahren kündigt, steht ohne Geld und ohne Heizung da.«
Dabei hat die dezentrale Energieumwandlung mit erneuerbaren Energien gerade den Vorteil, dass energetische Autonomie möglich ist. Es ist mittlerweile kein Problem mehr, Häuser oder ganze Gebäudekomplexe vollständig mit regenerativen Energien zu versorgen. Das ist die Idee von »Null-Energie-Häusern«. Die Anlagen gehören dem Investor, d.h. im Regelfall dem Hauseigentümer oder einer Hausgemeinschaft, der oder die sich so aus der Abhängigkeit von der konventionellen Energiewirtschaft befreien kann.
Mit Lichtblick probt ausgerechnet der deutsche Marktführer im Vertrieb von Ökostrom, wie neue Formen der Abhängigkeit bei dezentraler Energieerzeugung aussehen. Wenn der Vorstandsvorsitzende von Lichtblick, Christian Friege, bei der Präsentation des Projekts auch in klassischem Reklame-Blabla von einer »Revolution für den Strommarkt« spricht, sieht er sich wohl eher als Vorhut der konventionellen Energiewirtschaft.