Nur die Liebe zählt

Als am Morgen des 14. September niemand auftauchte, um ihm seinen Tee zu bringen, wurde Takdir Singh misstrauisch. Er ging zum Haus seiner Familie im Dorf Kabulpura und fand dort sieben tote Verwandte, die erdrosselt worden waren. Überlebt hatte nur seine Enkelin, die 19jährige Sonam, die er betäubt vorfand. Zunächst verdächtigte die Polizei Takdir Singh, doch mittlerweile gehen die Ermittler davon aus, dass Sonam und ihr Freund Naveen Dagar für die Tat verantwortlich sind. »Die beiden verliebten sich während des Studiums in Rohtak«, sagte der Polizeisprecher Anil Kumar Rao. »Ihre Familien waren gegen die Beziehung, deshalb haben sie sich entschlossen, das Verbrechen zu begehen.« Den Ermittlern zufolge mischte Sonam ihren Verwandten ein Betäubungsmittel in das Abendessen. Die Bewusstlosen erdrosselte sie gemeinsam mit ihrem Freund, dann nahm sie selbst eine geringere Dosis des Betäubungsmittels ein. Sie soll das Verbrechen gestanden haben.
Dass die Beziehung der beiden »verwerflich« war, bestätigt der Dorfälteste Hawa Singh. Sie gehörten derselben gotra an, einer fiktiven Abstammungslinie, die auf mythische Urväter zurückführt, und hätten daher nicht heiraten dürfen. Verstöße gegen die rigiden Regeln des Kastensystems werden nicht selten mit einem »Ehremmord« bestraft. Im Juli wurde das Thema erstmals im Parlament angesprochen. Der Polizei sind Hunderte Fälle von Gewalttaten bekannt, erst Anfang August war im Distrikt Rohtak ein Liebespaar von der Familie der Frau erschlagen worden. Grund zur Sorge hatten Sonam und Naveen allemal. Doch während bei »Ehrenmorden« die Täter häufig davonkommen, droht den beiden die Todesstrafe. Der Massenmord ist sicher nicht das ideale Mittel im Kampf gegen »Ehrenmorde«, zumal da drei der Opfer noch Kinder waren. Doch so mancher Patriarch, der seiner Tochter eine Liebesbeziehung verboten oder sie zu einer Heirat gezwungen hat, wird nun wohl etwas lustlos in seinem Essen herumstochern.   js