Über die Ergebnisse des G20-Gipfels in Pittsburgh

Am Ende gewinnt immer die Bank

Beim G20-Gipfel in Pittsburgh verhinderten die unterschiedlichen Interessen der Regierungen, die vornehmlich je ihre Finanzbranche begünstigen wollen, relevante Beschlüsse.

Für die Publicity des wenig glamourösen Treffens sorgte wieder einmal, obwohl gar nicht mit dabei, Mahmoud Ahmadinejad. Ohne die Ankündigung weiterer Raketentests seitens der iranischen Regierung und die Enthüllungen über eine zweite Anlage zur Urananreicherung, die sie jahrelang vor den Inspektoren verstecken konnte, wäre das Treffen medial noch weniger präsent gewesen. Ob das den Herren und der Dame Recht gewesen wäre oder ob die Empörung, die US-Präsident Barack Obama, Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy und der britische Premierminister Gordon Brown souverän inszenierten, der Aufwertung des Gipfels dienen sollte, darüber wird mit Sicherheit auf unzähligen Web­sites spekuliert werden.
Dass das iranische Atomprogramm ein Hauptthema auf dem als »wichtigsten Wirtschaftsgipfel« der vergangenen Jahrzehnte angekündigten Treffen werden konnte, verdeutlicht jedenfalls die völlig untergeordnete Bedeutung der Beschlüsse über die Regulierung der Finanzbranche. So rief der Spiegel auch das »Veranstaltungsformat« zum größten »Sieger« der am Freitag voriger Woche beendeten Beratungen in Pittsburgh aus.
Die G8-Treffen sind endgültig Geschichte. Zukünftig gesellen sich zu den traditionellen imperialen Führungsmächten dauerhaft so genannte Schwellenländer wie Brasilien, Indien, China, Südkorea oder Südafrika. Nach der endgültigen Beendigung der Ära des Kolonialismus und des Kalten Krieges hat die Herstellung eines kapitalistischen Weltmarkts mit seinen diversen nationalstaatlichen Akteuren immerhin zur Inte­gration weiterer Regierungen geführt. Allerdings beansprucht weiterhin eine Oligarchie der ökonomisch Mächtigen die politische Führung.
Der Übergang von der G8 zur G20 sei eine »notwendige Reaktion auf die weltwirtschaftlichen Realitäten«, sagte John Lipsky, der Vizedirektor des Internationalen Währungsfonds. Ob damit endlich auch die Proteste eine weniger antiimperialistische denn antikapitalistische Ausrichtung annehmen werden, ist noch unklar. Die Zahl der Demonstranten blieb relativ gering, und die Battle for Pittsburgh war recht einseitig. Mit Gummigeschossen und Reizgas verhinderte die Polizei die Proteste der etwa 1 000 Demonstranten bereits im Ansatz.

Nicht die größere Zahl der teilnehmenden Regierungen war dafür verantwortlich, dass die beschlossene Agenda dürftig ausfiel. Die Differenzen zwischen den alten Führungsnationen der Weltwirtschaft verhinderten konkrete Maßnahmen. So wird der Klimaschutz im Abschlussdokument sehr kurz abgehandelt. Die neue US-Regierung will sich vorerst nicht auf konkrete Zusagen für eine Reduzierung der Emissionen verpflichten. Selbst Delegierte gestanden ein, die Beschlüsse seien so unverbindlich gehalten, »dass man sie auch weglassen könnte«.
Doch auch was die wirtschaftlichen Mittel zur »Krisenbewältigung« und der »Reorganisation der Weltwirtschaft« betrifft, konnte offensichtlich kaum Einigkeit hergestellt werden. Allen beschlossenen Vorgaben sollen in den nächsten Jahren nationalstaatliche Regelungen folgen, die voneinander abweichen können. Von einer neuen weltweiten Finanzmarktverfassung, die Angela Merkel, wie sie gegenüber der ARD betonte, mitgeschaffen haben will, ist also weit und breit nichts zu sehen.
Das gilt etwa für der Europäer liebstes Thema, die Begrenzung der Boni für Banker. Eine von Deutschland und Frankreich ins Gespräch gebrachte Obergrenze scheiterte letztlich am Veto der USA und Großbritanniens, an deren Bankplätzen die höchsten Zahlungen erfolgen. Lediglich über die Vorgabe von »angemessenen und langfristigen Bonuszahlungen« wurden sich die Regierungen einig. Sich öffentlich über die Boni zu empören, kann unschätzbare Dienste zur Beruhigung der Öffentlichkeit leisten, sei es im Wahlkampf wie in Deutschland oder zur Eindämmung sozialer Proteste in Zeiten schwindender Legitimation wie in Frankreich. Eine schärfere Regelung hätte eher Alibicharakter gehabt, denn sie mag manche Banker etwas vorsichtiger agieren lassen, ändert aber nichts an der Profitabilität der Finanzgeschäfte, die die Krise auslösten.

Ähnlich erfolglos blieb Peer Steinbrück mit seiner Forderung nach einer Finanzmarkttransaktionssteuer, für die man zwar »viel Zustimmung« erfahren habe, die aber ebenfalls bei Briten und Amerikanern wenig Unterstützung fand. Die nationale Einführung einer Börsenumsatzsteuer, die die SPD als Vorbereitung auf ihre Oppositionsrolle zuletzt ins Gespräch gebracht hatte, wurde von Angela Merkel als »Wettbewerbsnachteil« für den Finanzstandort Deutschland abgelehnt.
Dennoch gelang es der Bundesregierung mit diesen beiden gescheiterten Vorschlägen, sich zumindest in Deutschland als gutwilliger Regulierer zu präsentieren, der letztlich nur dem herzlosen atlantischen Kapital unterlegen sei. Ein genauerer Blick auf die Eigenkapitaldeckung als »Schlüssel zu einem stabileren Finanzsektor«, so der Finanzexperte der Zeit, Mark Schieritz, lässt aber erkennen, dass die Bundesregierung gerade in den Bereichen strengere Regelungen propagiert hat, die für ihren Finanzsektor von untergeordneter Bedeutung sind.
Die langfristig bedeutendste finanzpolitische Forderung nach einer Erhöhung des Eigenkapitals der Banken wird vor allem von deutscher Seite abgelehnt. Denn eine verbindliche Erhöhung von den bisher üblichen vier Prozent auf sechs bis sieben Prozent würde die deutschen Banken hart treffen, die bereits vor der Krise auf unter zwei Prozent gerutscht waren. Vor allem aber haben es amerikanische Banken wegen günstigeren Aktienausgabekriterien relativ leichter, »hartes Geld«, also Aktien oder einbehaltene Gewinne, in der Hand zu behalten als deutsche Finanzinstitute. Hinter Merkels Forderung, die Eigenkapitalquote als national zu regelnde Angelegenheit zu betrachten, ließen sich so unschwer die Interessen der deutschen Finanzwirtschaft erkennen. Vor dem Gipfeltreffen hatte bereits Andreas Schmitz, der Präsident des Bundesverbandes deutscher Banken, vor einem zu hohen Tempo bei der Änderung der Eigenkapitalvorgaben gewarnt.
Aber noch in einem weiteren, für die Klasse der Lohnabhängigen bzw. Ausgesonderten zentralen Punkt wird deutlich, dass in Pittsburgh keineswegs eine soziale deutsche Regierung unbelehrbaren Angloamerikanern gegenüberstand. Die US-Regierung kritisierte in den vergangenen Wochen immer wieder das Ungleichgewicht in der Weltwirtschaft zwischen den Überschüsse erwirtschaftenden Exportstaaten wie Deutschland und China und den defizitären Nationalökonomien, vor allem den USA. Doch eine Erhöhung der Binnennachfrage, also eine Förderung des Konsums vor allem der ärmeren Bevölkerungsschichten, lehnt die Bundesregierung ab. Das von den USA beklagte Ungleichgewicht wurde jedenfalls von der deutschen Delegation nicht als entscheidendes Problem wahrgenommen.

»Zu glauben, dass 80 Millionen Deutsche die gesamten globalen Ungleichgewichte ausgleichen können, ist wohl eher Wunschdenken«, hieß es in einer öffentlichen Stellungnahme. Dabei geht es keineswegs darum, dass plötzlich jeder Deutsche einen Flachbildschirm kaufen müsste, damit die Krise beendet wird. Vielmehr haben vor allem Deutschland und China die Lohnstückkosten erheblich gesenkt, das Lohndumping senkt die Warenpreise, erleichtert den Export und verschafft beiden Staaten Wettbewerbsvorteile. Die bereits vor der Krise immens verschuldeten USA haben weitaus mehr Geld für die Krisenbewältigung ausgegeben. Doch Merkel verbat sich den Vergleich mit China und befand, es gebe hier keinen Handlungsbedarf.
Unterstützung bekam sie dabei von unerwarteter Seite. Der DGB-Vorsitzende Michael Sommer sagte der Leipziger Volkszeitung, die Bundesregierung habe einen »prima Eindruck« in Pittsburgh gemacht. »Wenn man auf internationaler Bühne als deutscher Gewerkschafter auf Merkel und Steinbrück verweisen kann«, so Sommer weiter, »sieht man immer sehr gut aus.« Auch wenn der Reallohn weiter sinkt.