Kupferinsel – Silicon Valley des Mittelmeers

Das Silicon Valley der Antike

Kupfer, das »Erz Zyperns«, war bereits vor Jahrtausenden ein begehrter Exportartikel der Insel. Zyprische Metallurgen waren damals möglicherweise führend in antiker Hochtechnologie.

Götter arbeiten nicht, allenfalls erschaffen sie etwas oder jemanden. Doch es gibt eine Ausnahme, den griechischen Gott Hephaistos. Nach der Geburt von seiner Mutter Hera aus dem Olymp geworfen, musste er sich seinen Platz im Himmel allerdings erst erkämpfen. Er schmiedete einen goldenen Thron für Hera, als diese darauf Platz genommen hatte, konnte sie nicht wieder aufstehen. Hephaistos ließ sich eine Weile bitten, kehrte dann aber in den Olymp zurück, befreite seine Mutter und nahm seinen Platz unter den Göttern ein. Er war der Gott der Schmiede.
Handarbeit galt in der Antike als eine Angelegenheit, die eines freien Mannes und erst recht eines Gottes unwürdig ist. Dass für die Schmiedekunst eine Ausnahme gemacht wurde, verweist auf die außerordentliche Bedeutung der Metallbearbeitung. Wer Waffen und Werkzeuge aus Metall herstellen konnte, hatte, wie man heute sagen würde, einen Standortvorteil, und aus Metallen gegossene Statuen verschafften kulturelles Prestige. Doch während sich die nötigen Rohstoffe etwa für die Keramik fast überall finden, konnten Erze nur an wenigen Orten abgebaut werden.
Einer dieser Orte war Zypern. Dass die Bezeichnungen für Kupfer in europäischen Sprachen tatsächlich von Kypros, dem griechischen Namen für Zypern abgeleitet wurden, ist nicht eindeutig erwiesen. Sicher ist jedoch, dass die Römer das Kupfer aes cyprium, Erz Zyperns, nannten. Denn die bedeutendsten Fundstätten der mediterranen Welt lagen auf dieser Insel.

Kupfer war das erste Metall, das Menschen bearbeiteten. Doch es ist relativ weich und daher für den Totschlag und die Materialbearbeitung nicht besser geeignet als härtere Steinarten wie Obsidian. Erst durch die Beimischung von Zinn, die um 3300 v. Chr. erstmals nachweisbar ist, entsteht Bronze, eine wesentlich härtere Legierung. Rund 1 600 Jahre später setzte die Epoche der Eisenverarbeitung ein. Das Kupfer verlor seine militärische Bedeutung, blieb aber eine begehrte Handelsware, die unter anderem für die Herstellung von Statuen und Schmuck, aber auch als Beimischung für Tinte verwendet wurde.
Der Kupferhandel förderte das Wachstum zy­prischer Städte, der Bergbau trug allerdings auch maßgeblich dazu bei, dass weite Gebiete der Insel recht karg aussehen. Die Spuren sind fast überall auf Zypern zu sehen. Etwa 20 Kilometer südlich von Nikosia liegen die Ruinen und Königsgräber von Tamassos. In der Nähe gibt es einen kleinen Staudamm, die Vegetation ist in dieser Region etwas üppiger, und nicht jeder Baum muss bewässert werden. Doch wie in der gesamten Mittelmeerregion hat der Holzeinschlag auch auf Zypern viele kahle Berge hinterlassen. Es wird geschätzt, dass für die Kupferproduktion 1,2 Milliarden Kubikmeter Holz benötigt wurden.
Derzeit bemüht man sich in Zypern um Wieder­aufforstung. Doch das war nicht immer so. Der etwa 20 n. Chr. geschriebene Bericht des griechischen Geografen und Historikers Strabo über ­Tamassos lässt darauf schließen, dass die Beseitigung des lästigen Waldes in der Antike als Segen empfunden wurde. »Erasthenes sagt, dass die Ebenen in alten Zeiten dicht bewaldet waren (…) und nicht kultiviert wurden. Die Minen halfen dagegen ein wenig, denn die Menschen fällten die Bäume, um Kupfer und Silber zu schmelzen.«
Doch Strabo unterrichtet uns nicht nur darüber, dass der Wald damals als Bedrohung der Zivilisation galt. Weil Berg- und Schiffbau nicht ausreichten, um der Ausbreitung der Wälder Einhalt zu gebieten, »erlaubten sie jedem, der es wollte und konnte, Holz zu schlagen und das so gereinigte Land als sein Eigentum zu behalten, ohne Steuern zu zahlen«. Möglicherweise war damit auch die Erlaubnis verbunden, auf eigene Rechnung Kupfer zu produzieren. Dass viele Minen recht klein waren, stützt diese These.

In Tamassos liegt eine Verhüttungsstätte am Rand der Ruinen, häufig wurde Kupfer in unmittelbarer Nähe von Tempeln und Palästen verarbeitet. Doch große Gebiete im Troodos-Gebirge und seiner Umgebung sind übersät mit Kratern, Stollen und Schlacke, den Überresten des Kupferabbaus vergangener Zeiten.
Die moderne Kupfermine in der Nähe von Agia Varvara am Ostrand des Troodos-Gebirges wurde stillgelegt und verschlossen. Im »Omonia«, einer Art kommunaler Trink- und Festhalle, kann man nicht ganz verstehen, dass Leute 3 000 Kilometer weit reisen, um sich ein Loch im Boden anzuschauen. Doch man erklärt uns den Weg, zum Abschied mahnt der Wirt noch: »Wenn ihr Gold findet, müsst ihr es hier abgeben.«
Zu finden sind in dem Krater allerdings vornehmlich Schlacke, rotes, kupferhaltiges Gestein und Grünspan, der nur in der Antike einen gewissen Wert hatte, weil er damals für Medikamente verwendet wurde. Gefördert wurde hier im Tagebau, man begann zu graben und arbeitete sich in Serpentinen an den Wänden entlang in die Tiefe vor. Dieser trichterförmige Krater ist etwa 60 Meter tief und hat einen Durchmesser von 400 Metern. Wieviel Kupfer wurde hier gewonnen und von wem?
Solche Fragen beschäftigen zahlreiche Archäologen, und Walter Fasnacht ist es gelungen, bei der Untersuchung der Kupferabbau- und Verhüttungsstätte Almyras, die er 1982 nahe Agia Varvara entdeckt hatte, einige zu beantworten. In Almyras fand sich eine birnenförmige Grube mit einem Volumen von etwa 20 Kubikmetern. Das Erzvorkommen, das zwischen 600 und 150 v. Chr. ausgebeutet wurde, war für die Bedürfnisse der Römer offenbar zu unbedeutend. Deshalb ist hier alles gut erhalten geblieben, die Produktionsabläufe lassen sich nachvollziehen. Fasnacht schätzt, dass hier insgesamt etwa eine Tonne Kupfer gewonnen wurde. Gearbeitet habe hier eine »Mannschaft von drei bis sechs Leuten«.
Die sozialen und politischen Verhältnisse lassen sich allein mit archäologischen Methoden nicht klären. Handelte es sich um ein unabhängiges Kleinunternehmen, das von Privilegien profitierte, wie Erasthenes sie beschreibt? Dass der zyprische Bergbau in den meisten Epochen der vorchristlichen Zeit offenbar nicht unter der direkten Kontrolle von Herrschern stand, könnte den Metallur­gen der Insel einen technologischen Vorsprung verschafft haben. James D. Muhly geht davon aus, dass »Zypern eine wichtige Rolle bei der Entwicklung der Eisenbearbeitungstechnologie spielte«, obwohl Eisen auf der Insel kaum zu finden ist. Doch die Herausforderungen bei der Bearbeitung der Erze sind ähnlich.
Muhly glaubt, dass Zypern sogar als eine Art »›proto-Silicon Valley‹ der mediterranen Welt« bezeichnet werden kann. Weit mächtigere Zivilisationen des Nahen Ostens haben bei den Zyprern abgekupfert, möglicherweise weil in den größeren Reichen Bergbau und Metallverarbeitung ein Monopol des Herrschers waren und überwiegend von Unfreien betrieben wurden, die kein Interesse an Erfindungen hatten, von denen sie nicht profitierten.

Die Bronzezeit hatte eine erste Phase der »Globalisierung« eingeleitet. Fernhandel gab es bereits in der Steinzeit, doch Zinn und Kupfer kommen nicht in den gleichen Regionen vor. Nicht anders als in unserer Zeit war diese »Globalisierung« eine zweischneidige Angelegenheit. Die weite und gefährliche Reise zu den Zinnvorkommen der britischen Inseln unternahm man in erster Linie, um seinen Mitmenschen effektiver den Schädel spalten zu können. Doch über die Handelswege verbreiteten sich auch technologische Kenntnisse, philosophische Ideen und Waren. »Made in Cyprus« könnte bereits vor 3 000 Jahren eine Marke gewesen sein, Susan Sherrat zufolge betrieben zyprische Händler sogar Marktforschung und bewarben ihre Produkte.
Über die zahlreichen ungeklärten Fragen wurde am vergangenen Wochenende bei der Konferenz »Eastern Mediterranean Metallurgy and Metalwork in the Second Millenium BC« in der Universität von Nikosia debattiert. Unterdessen untersuchen die Experten der Bergbaukonzerne, ob sich die Wiederaufnahme des Kupferbergbaus auf Zypern, der wegen des niedrigen Weltmarktpreises fast aufgegeben worden war, wieder lohnt. Denn Kupfer ist auch in der derzeitigen Phase der »Globalisierung« unentbehrlich.