Zypern. Postkommunistisch regiertes Steuerparadies

Oase im Meer

Die zyprische Wirtschaft besteht vor allem aus drei Bereichen, die besonders stark von den Entwicklungen in anderen Ländern abhängig sind: Tourismus, Banken und Schifffahrt. Es ist nicht zuletzt Zyperns Rolle als Steueroase, die dem Land trotz weltweiter Wirtschaftskrise immer noch ein Wachstum beschert.

Die zyprische Wirtschaft hatte in den vergangenen Jahrzehnten erstaunlich konstante Wachstumsraten zu verzeichnen. Dieses wirtschaftliche Wachstum, das überwiegend auf dem Tourismus und der Rolle Zyperns als Steueroase beruht, hat sich vor dem Hintergrund einer unsicheren Weltwirtschaftslage, steigender Ölpreise und eines verschärften Wettbewerbs im Tourismuswesen in den vergangenen Jahren verlangsamt, lag aber 2008 mit 3,7 Prozent immer noch weit über dem EU-Durchschnitt. Mit einer Arbeitslosenquote von 3,3 Prozent im zweiten Halbjahr 2008 herrschte noch bis vor kurzem gleichsam Vollbeschäftigung. Die Tourismusindustrie musste in den vergangenen Jahren allerdings erhebliche Einbußen hinnehmen, was zum einen sichtbar mit dem Schock des 11. September 2001 und seinen generellen Auswirkungen auf die internationale Tourismusbranche begann, sich aber wegen der erheblichen Preissteigerungen in den vergangenen Jahren noch fortsetzte. Da durchschnittlich über 50 Prozent der Touristinnen und Touristen auf Zypern sonnenhungrige Briten sind, sind es darüber hinaus vor allem die Auswirkungen der Wirtschaftskrise auf den Lebensstandard der britischen Bevölkerung, die sich recht deutlich auf die Tourismusindustrie Zyperns niederschlagen.

Neben dem Tourismus spielt jedoch vor allem der Bankensektor eine wesentliche Rolle. Schon seit den achtziger Jahren sind auf der Insel viele libanesische Banken ansässig, was zu einem großen Zustrom von Geldern geführt hat. Zypern ist einer der größten Investoren in Russland. Viele Gelder werden über Zypern in Russland reinvestiert, was vor allem durch niedrige Steuern (In keinem anderen Land der Europäischen Union zahlen Unternehmen weniger Steuern als auf Zypern, die effektive Steuerbelastung beträgt durchschnittlich 9,7 Prozent) und durch die unkomplizierte Gründungsmöglichkeiten für Offshoreholder-Gesellschaften zu erklären ist. Und gerade das Offshore-Geschäft blüht ungebrochen, wobei russische Unternehmer hierbei eine besonders große Rolle spielen. Die Investitionen formell zyprischer Firmen in Russlands Wirtschaft beliefen sich nach Angaben der russischen Statistikbehörde Rosstat Ende 2007 Jahres auf 49,6 Milliarden Dollar, 35,4 davon waren direkte Investitionen. Allein im ersten Halbjahr 2008 kamen Investitionen in Höhe von zehn Milliarden Dollar in Russland aus Zypern, 2,5 Milliarden davon waren Direktinvestitionen.
Neu ist dieses Phänomen nicht, bereits 2002 avancierten Unternehmen aus dem winzigkleinen Zypern zeitweilig zum größten ausländischen Investor in Russland. Vor einem Jahr schließlich reichte es der russischen Regierung. Sie setzte Zypern auf eine Schwarze Liste nicht kooperierender Staaten, gemeinsam mit Luxemburg und der Schweiz. Ende April 2009 unterzeichnete die Regierung Zyperns ein neues Doppelbesteuerungsabkommen mit Russland, das eine deutlich verbesserte Kooperation bei steuerrelevantem Informationsaustausch vorsieht. Prompt wurde Zypern von der Schwarzen Liste wieder gestrichen, die steuerlichen Vorteile des bisherigen Doppelbesteuerungsabkommens blieben jedoch bestehen. So zahlt eine russische Gesellschaft nur fünf Prozent Quellensteuer auf Dividenden, die an ihre zypri­sche Gesellschafterin ausgeschüttet werden – im Gegensatz zum in Russland üblichen Quellensteuersatz von 15 Prozent. Offenbar hat die russische Regierung nicht ernsthaft die Absicht, Steuerflucht ihrer Neureichen nach Zypern zu verhindern, solange die ihre Profite dann brav wieder in Russland reinvestieren. Sie will nur Bescheid wissen und die Kontrolle behalten, so könnte das auf russischen Druck hin neuverhandelte Abkommen interpretiert werden.

Zypern hat sich auch zu einem internationalen Schifffahrtszentrum für maritime Aktivitäten und Dienstleistungen rund um den Schiffsverkehr entwickelt. Die Insel liegt auf Rang 5 der führenden Billigflaggen, knapp hinter Panama, Liberia, Malta und den Bahamas. Darüber hinaus ist Zypern eines der größten Schiffsmanage­ment­zentren der Welt. Mehr als 150 internationale Gesellschaften aus dieser Branche sind heute mit Büros auf der Insel vertreten. Die meisten davon stehen unter britischer, deutscher, griechischer oder skandinavischer Führung und nutzen die Büros in Zypern dazu, eine große Anzahl an Schiffen unter zyprischer oder fremder Flagge zu führen. Der Begriff »ausflaggen«, also unter einer Billigflagge zu fahren, bezieht sich mittlerweile jedoch nicht nur auf die Handelsschifffahrt, auch Speditionsunternehmen aus etlichen EU-Ländern haben inzwischen nach Zypern »ausgeflaggt«, um Steuern und Lohnkosten zu sparen, und wer im Internet sucht, findet schnell eine große Zahl mehr oder weniger dubioser Agenturen, die die Eintragung eines zyprischen Transportunternehmens zum Pauschalpreis ab 2 990 Euro anbieten. Und seit der G20-Gipfel im April 2009 Zypern ausdrücklich auf die »Weiße Liste« derjenigen Staaten gesetzt hat, die die internationalen Bankauskunftsstandards einhalten, gilt es bei den entsprechenden Offshore-Finanzunternehmen nun als »eine der sichersten Steueroasen der Welt«. Und daran ändert sich auch unter der von der postkommunistischen Akel geführten Koalitionsregierung nichts.
Zwei Fragen drängen sich auf: erstens die nach dem Einfluss des jüngsten Wahlerfolgs der kommunistischen Partei Akel auf die Wirtschaftspolitik und die ökonomische Struktur der geteilten Insel. Und zweitens die nach den Auswirkungen der weltweiten Wirtschaftskrise auf die ökonomische Entwicklung in einem Land, dessen wichtigsten Industrien stark von externen Schwankungen und Entwicklungen abhängig sind.
Seit dem Wahlsieg des Akel-Vorsitzenden bei der Präsidentschaftswahl im Februar 2008 kann kaum von wesentlichen Veränderungen der kapitalistischen Grundstruktur der Ökonomie gesprochen werden. Die Akel, deren politische Basis trotz eines formell kommunistischen Programms weit in bürgerliche Kreise hineinreicht, betreibt de facto eher eine moderat sozialdemokratische Politik der sozialen Integration – nichts anderes hatte Dimitris Christofias allerdings auch versprochen. Einer der Schwerpunkte seines Wahlkampfes und des Regierungsprogramms lag darin, die soziale Situation der etwa 75 000 Menschen zu verbessern, die unterhalb der offiziellen Armutsgrenze von monatlich 419 Euro leben – angesichts eines durchschnittlichen Pro-Kopf-Einkommens der Bevölkerung von jährlich 19 868 Euro eine aufschlussreiche Zahl. So stiegen im Finanzhaushalt der Regierung für 2009 die Sozialausgaben um 26 Prozent. Grundlegende ökonomische Strukturveränderungen sind jedoch nicht vorgesehen.

Die internationale Finanz- und Wirtschaftskrise erreicht Zypern mit Verzögerung. In den vergangenen Monaten mussten die Wachstumsprognosen sukzessive zurückgeschraubt werden. Die EU geht für 2009 jetzt noch von einem realen Wachstum von 1,1 Prozent aus. Obwohl dies die niedrigste Wachstumsrate seit 1993 wäre, sind solche Zahlen, verglichen mit den Rückgängen anderer EU-Staaten, noch relativ solide. Präsident Christofias räumte ein, dass der zyprische Haushalt 2009 voraussichtlich keine schwarzen Zahlen mehr schreiben wird, schloss Steuererhöhungen aber aus. Ein im Frühjahr verabschiedetes Konjunkturpaket in Höhe von 300 Millionen Euro für die Tourismusindustrie und die Baubranche belastet nach Aussagen von Finanzminister Charilaos Stavrakis das diesjährige Budget zusätzlich mit 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Die Haushaltsansätze fußen allerdings noch auf der Annahme, dass das BIP 2009 um 2,1 Prozent wächst. Fällt das Wachstum nur halb so hoch aus, steigt das Hauhaltsdefizit wohl eher auf drei Prozent.
Von darüber hinausgehenden größeren Turbulenzen infolge der Krise wurde bisher nichts bekannt, wobei womöglich mancher clevere Steuerflüchtling, dessen Namen wegen des Bankgeheimnisses diskret verschwiegen wird, in den vergangenen zwölf Monaten vom Milliardär zum Multimillionär geschrumpft sein könnte. Aber die Sorgen der zyprischen Regierung hätte derzeit sicher so mancher andere Wirtschafts- und Finanzminister gerne.