Über den Einstieg von Investoren in Bundesligaclubs

Der Totengräber und sein Sargnagel

Der Geschäftsführer von Hannover 96, Martin Kind, will Investoren den Einstieg in Bundesligaclubs erleichtern.

Bislang hat es Martin Kind, anders als Bayern-Manager Uli Hoeneß, nur für Fußball-Insider zum Feindbild gebracht. Unter denen zieht der Unternehmer und Geschäftsführer von Hannover 96 aber ein gehöriges Maß an Verachtung auf sich, seitdem er darauf drängt, die so genannte 50-plus-1-Regel abzuschaffen. Kind sei der »Totengräber des deutschen Profi-Fußballs« heißt es im Leserforum der Zeit; sein Vorschlag sei ein »Sargnagel für den Fußballsport«, schrieb man im Forum von Eintracht Frankfurt, die weitere Kommerzialisierung der Liga drohe. Mitte Oktober sprühten bundesweit Fußballfans in einer offenbar koordinierten Aktion »50+1 bleibt« auf 24 Filialen von Kinds Unternehmen, das Hörgeräte verkauft.
»50 plus 1« ist, vereinfacht gesagt, das, was den deutschen Ligafußball bislang vom englischen unterscheidet. Während in England Geschäftsleute aus Russland, den USA oder den Arabischen Emiraten reihenweise Clubs als Prestigeobjekt oder Anlagemodell einkaufen und so die Liga im vergangenen Jahrzehnt zur stärksten Europas gemacht haben, dürfen in Deutschland Investoren höchstens 49 Prozent der Anteile eines Clubs erwerben.
Seit zwei Jahren diskutiert die Deutsche Fußball-Liga (DFL) nun auf Drängen Kinds, ob die Regel abgeschafft werden soll. Sein Verein, argumentiert Kind, sei sonst im deutschen Fußball nicht wettbewerbsfähig: »Wir werden permanent irgendwo zwischen Platz zehn und 15 spielen und irgendwann auch wieder absteigen.« Unterstützung findet Kind etwa bei Bayern-Vorstand Karl-Heinz Rummenigge, der DFL-Vorstand hat sich bislang dagegen ausgesprochen. Am 10. November soll nun die DFL-Mitgliederversammlung über einen Antrag Kinds entscheiden, die Regel abzuschaffen. Für den Fall einer Ablehnung droht Kind mit dem Gang vor die Gerichte. Dort dürften seine Chancen nicht schlecht stehen. Die DFL hat derzeit zwei Ausnahmen von der 50-plus-1-Regel erlaubt: bei den so genannten Werkclubs VfL Wolfsburg (im Besitz der VW AG) und Bayer Leverkusen. Gerichte könnten diese Ausnahmen als Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot werten.
Hannover 96 findet sich derzeit in einer ähn­lichen Lage wie etwa die Traditionsvereine Eintracht Frankfurt oder 1. FC Köln. Als in den neunziger Jahren aufgrund der neu geschaffenen Champions League und der teuer verkauften Senderechte für Bundesligafernsehen das große Geld zu den Clubs strömte, hatten Köln und die Eintracht ihre beste Zeit gerade hinter sich. Das Champions-League-Geld floss an ihnen vorbei; von den Einnahmen für die Senderechte erhielten sie nur einen geringen Anteil, weil die Einnahmen proportional zum Tabellenstand verteilt werden. In der Liga entstand so eine Mehrklassengesellschaft, zu deren prominentesten Kritikern Frankfurts Manager Heribert Bruchhagen gehört: »Der Wettbewerb hat zementartige Züge angenommen. Die Großen bleiben groß, die Mittleren bleiben mittel und die Kleinen bleiben klein«, meinte Bruchhagen in einem Interview mit der Fußballzeitschrift 11 Freunde im Oktober 2007.
Sein Vorschlag, durch die Aufstockung der beiden ersten Ligen auf 20 Clubs mehr Geld in die Kassen der mittleren und kleinen Vereine zu bekommen, konnte in der DFL jedoch keine Mehrheit gewinnen. Die in der Champions League und dem Uefa-Cup beschäftigten deutschen Vereine fürchteten noch mehr englische Wochen und damit eine Doppelbelastung, die ihre Chancen in den internationalen Wettbewerben gefährdet hätten.
Auch Rufe nach einer gerechteren Verteilung des Geldes werden nicht gehört; ebenso die Forderung nach Gehaltsobergrenzen, einem so genannten salary cap, wie er in US-Profisportligen schon seit langem praktiziert wird. Schalkes Manager Peter Peters hat nun für die DFL-Sitzung am 10. November einen Gegenantrag zu 50 plus 1 eingereicht, wonach Spielergehälter und Transfersummen in Zukunft auf 70 Prozent der Einnahmen aus den Bereichen TV, Sponsoring, Ticketverkauf und Werbung beschränkt werden sollen.
Peters erntete damit heftigen Protest unter Fußballmanagern. Hoffenheims Jan Schindelmeiser konterte, die Bundesliga stehe vor einer gefährlichen Entwicklung, sollte sie dem Antrag zustimmen. »Der Status quo der Clubs in den Metropolen wird zementiert, weil sie große Stadien haben und so viel größere Umsätze generieren können.« Für Ärger sorgte vor allem der Zeitpunkt des Schalker Antrags: Die DFL ermittelt gerade in einem Nachlizenzierungsverfahren gegen den Verein, der unter anderem wegen hoher Gehälter für Spieler und Trainer in die Verschuldung gerutscht ist. Kritiker argwöhnen, jetzt, wo Schalke im Wettbewerb um hohe Spielergehälter nicht mehr konkurrenzfähig sei, wolle man andere Clubs mittels salary cap am Vorbeiziehen hindern. Möglich, dass Peters’ Abwehrmanöver gegen Kinds Antrag daher nur die – allerdings bislang wenigen – Unterstützer des Hannoveraners stärkt.
Was stünde den Bundesligen mit der Abschaffung von 50 plus 1 bevor? Bruchhagen, der für die Beibehaltung der Regel plädiert, gab sich in dem zwei Jahre alten 11Freunde-Interview gelassen: »Strukturell würde sich nichts ändern.« Große Investoren wären vor allem an den großen Clubs interessiert, nicht an Hannover 96 oder Eintracht Frankfurt. Mittlerweile gibt es in der englischen Premier League aber zumindest ein Gegenbeispiel: 2008 übernahm die Investorengruppe eines Scheichs aus Abu Dhabi Manchester City, den kleinen Lokalrivalen von Manchester United. Nach einer durchwachsenen ersten Saison, in der zahlreiche Stars die Kaufofferten von City ablehnten, hat der Verein zur aktuellen Saison noch einmal groß aufgerüstet und könnte seit fünf Jahren der erste Club sein, der in die Phalanx der großen Vier (Arsenal, Chelsea, Liverpool, Manchester United) einbricht.
Kind, der nach eigenen Angaben bereits mit nicht näher benannten Investoren über einen Einstieg bei Hannover 96 verhandelt, hofft jedoch nicht auf einen arabischen Märchenprinzen, den es zufällig nach Niedersachsen verschlägt. Er setzt auf eine Regelung, die er als Kompromiss im Streit um 50 plus 1 verkauft, tatsächlich aber für seinen Verein maßgeschneidert sein könnte. Der Investor muss sich demnach bereits mehrere Jahre im Verein engagiert haben. Bei Hannover 96 träfe dies etwa auf den Finanzdienstleister AWD zu.
Übernahmen wie die von Manchester City oder Chelsea (durch den russischen Milliardär Roman Abramowitsch) wären somit in Deutschland weiterhin ausgeschlossen; ebenso ein Fall wie der Einstieg der Unternehmensgruppe Schwarzer bei 1860 München zu Beginn dieses Jahres, der mit einer sofortigen Einflussnahme auf die Personalpolitik des Vereins verbunden war und deshalb von der DFL verhindert wurde.
Profitieren könnte dagegen eines Tages Bayern München. Dort steigt gerade Audi als zweiter Investor nach Adidas mit einem zehnprozentigen Anteil in die Bayern AG ein. Der Manager Hoeneß glaubt zwar, dass bei seinem Verein niemals ein Investor die Mehrheit der Anteile besitzen wird, weil die Mitglieder der dafür notwendigen Satzungsänderung nicht zustimmen würden. Die Münchner hatten allerdings 2007 schon ihre bis dato zurückhaltende Ausgabenpolitik aufgegeben, nachdem sie in der Champions League seit Jahren nicht mehr über das Viertelfinale hinausgekommen waren. Teure Stars wie Luca Toni und Franck Ribery wurden geholt, doch der erwünschte Erfolg ist bislang ausgeblieben.