Hans-Christian Ströbele im Gespräch über Jamaika und »Postideologie« bei den Grünen

»Jamaika ist die schlechteste Variante«

Hans-Christian Ströbele gehört zu jenen Grünen, die nicht recht in eine Jamaika-Koalition passen. Den Bundestagsabgeordneten des Berliner Wahlkreises Kreuzberg-Friedrichshain sieht man in Berlin immer und überall auf seinem Fahrrad herumfahren, wo auch nur drei Demonstranten ein Plakat hochhalten. Dafür wird er gerne als »Kiez-Ayatollah« oder »Öko-Messias vom Kreuzberg« verspottet. Aber bei der Bundestagswahl erhielt er 46,8 Prozent der Stimmen.

Herr Ströbele, sterben die Ströbeles in Ihrer Partei jetzt endgültig aus?

Nein, wieso?

Im Saarland hat sich Ihre Partei für eine Koalition mit CDU und FDP entschieden. Triumphiert die FAZ nicht zu Recht, mit einer Jamaika-Koalition sei die Wiedervereinigung des bürgerlichen Lagers perfekt?

Die Meinung der FAZ ist nicht meine. Das ist natürlich daneben. Das Saarland ist nicht die Bundesrepublik, sondern ein kleines Bundesland, in dem die Grünen Entscheidungen getroffen haben, die ich nicht getroffen hätte und die ich auch bundespolitisch für ganz falsch halte.

Das Saarland mag klein sein, aber ein Einzelfall ist es ja nicht. Auch in Hamburg regieren die Grünen mit der CDU, da gab es keinen Aufschrei, und auch an die Jamaika-Koalition werden sich die Grünen schnell gewöhnen.

Wir haben das Prinzip der Autonomie der Landesverbände, das halte ich nach wie vor hoch, auch wenn ich mich zuweilen ärgere und die Entscheidung im Saarland für hoch problematisch halte, für ein ganz falsches Signal für die Bundespolitik.

Der saarländische Fraktionsvorsitzende der Grünen, Hubert Ulrich, hat für seine Entscheidung zugunsten der Jamaika-Koalition aber auch Zustimmung bekommen. Sind nicht längst Leute wie Ulrich die wahren Grünen und nicht mehr Leute wie Sie?

Nein, das sehe ich gar nicht so. Der Bundesvorstand und der Vorstand der Bundestagsfraktion machen doch kein Hehl daraus, dass sie etwas anderes lieber gesehen hätten, nämlich eine rot-rot-grüne Koalition im Saarland.

Der Parteienforscher Franz Walter hat die Grünenwähler schon oft als zutiefst bürgerliches Milieu skizziert. Jetzt geben die Grünen im Saarland den Thesen von der Bürgerlichkeit der Grünen doch recht. Oder sind nur die saarländischen Grünen zutiefst bürgerlich?

Das kann ich nicht beurteilen, und ich will mich auch nicht einmischen, weil ich mich im Saarland nicht auskenne. Ich höre sehr unterschiedliche Gerüchte. So soll die Entscheidung zu einer Jamaika-Koalition schon seit einiger Zeit intern beworben worden sein, nach außen wurde aber immer noch gesagt, man halte die andere Option für mindestens genauso wahrscheinlich. Aber das müssen die Saarländer unter sich klar machen. Dazu gibt es von dem verehrten Kollegen Cohn-Bendit ja sehr rabiate Vorwürfe, vielleicht kennt er sich im Saarland ja besser aus.

Daniel Cohn-Bendit sagte, Hubert Ulrich sei ein Mafioso. Was meint er damit?

Das müssen Sie ihn fragen. Ich habe Ulrich hier einige Jahre als Bundestagskollegen erlebt und kann das nicht bestätigen. Aber ich weiß von vielen Gerüchten aus dem Saarland.

Was für Gerüchte denn?

Dass dort persönliche, familiäre Querelen entscheidenden Einfluss auf die Politik, auch auf die Politik der Grünen, haben sollen.

In vielen Zeitungen hieß es, die Ankündigung Oskar Lafontaines, sich wieder im Saarland engagieren zu wollen, sei ausschlaggebend für die Entscheidung der Grünen gewesen, nicht mit der Partei »Die Linke« zu koalieren. Ist das nicht eine Ausrede?

Auch das weiß ich nicht. Die Begründung würde ja nicht passen, wenn die Richtung Jamaika schon vor Oskar Lafontaines Erklärung in Berlin feststand. Aber sei es, wie es sei, solche persönlichen Animositäten dürfen eigentlich nicht der Maßstab für politisches Handeln sein. So wichtig Oskar Lafontaine scheint, er ist auch nicht das Maß aller Dinge. Wenn die Inhalte der Grünen in der linken Koalition besser durchzusetzen waren, gerade auch in den sozialen Fragen, dann darf nicht eine persönliche Abneigung zu einer falschen Entscheidung führen.

Verdankt sich Jamaika im Saarland wirklich persönlichen Gründen, oder will man die politischen Gründe nicht zugeben?

Ich vermute mal, dass es zumindest auch persönliche Gründe waren – ich kritisiere das. Inhaltlich sind die großen Vorteile der Jamaika-Koalition verglichen mit einer Koalition mit SPD und Linken jedenfalls nicht zu mir durchgedrungen.

Auf dem Berliner Parteitag im Mai sah es noch so aus, als rückten die Grünen nach links. Haben die Grünen vor den Wahlen links geblinkt, um nach den Wahlen rechts abzubiegen?

Ich hoffe, dass die Orientierung nach links sich auf dem kommenden Parteitag fortsetzt. Die Entscheidung gegen Jamaika auf dem Parteitag galt für die Bundespolitik, da sehe ich auch keine Abstriche. Dabei geht es nicht nur um die Einhaltung von Beschlüssen, mit jenen oder diesen nicht zu koalieren. Das Entscheidende sind die inhaltlichen Positionen. Ich kämpfe seit langem für substanzielle Veränderungen bei Hartz IV, genauso wie ich und viele andere, auch grüne Bundestagsabgeordnete sich für die Beendigung des Krieges in Afghanistan in verantwortbarer Weise einsetzen.

Man könnte auch sagen, die Jamaika-Koalition sei im Fünf-Parteien-System absolut rational, da man nun mal mehr Optionen brauche als Rot-Grün, wenn man auch mal regieren wolle.

Nein, Jamaika halte ich für die schlechteste Variante. Im Saarland werden die Grünen mit drei Abgeordneten nur sehr begrenzt in der Lage sein, die Landespolitik grün zu gestalten.

Das schwarz-grün-gelbe Bündnis im Saarland dient auch dazu, den Preis der Grünen in künftigen rot-grünen Koalitionsgesprächen in die Höhe zu treiben. Ist Jamaika nicht zumindest aus strategischer Perspektive richtig, schon um sich in Zukunft nicht mehr von der SPD die Bedingungen diktieren lassen zu müssen?

Kritik aus der SPD an solchen Bündnissen akzeptiere ich überhaupt nicht. Die schmusen schon immer in Koalitionen mit CDU und FDP, wo sie nur können. Sicher ist es richtig, die Eigenständigkeit der Grünen zu betonen. Unsere Rolle war nie die des Juniorpartners der SPD. Inzwischen geht es doch darum, wer den Kopf vorne hat – wir oder die SPD. Da brauchen wir keine strategischen Spielchen. Uns trennen nur noch wenige Prozent, in meinem Wahlkreis sind wir stärkste Partei.

Manche Grüne frohlocken über das Jamaika-Bündnis und propagieren den Abschied vom »Rechts-Links-Schema« und den »linken Ideologien«. Sind die Grünen »postideologisch« ?

Da bin ich ganz anderer Meinung als viele bei den Grünen. Die Positionsbestimmungen links und rechts sind und bleiben eine wichtige Grundorientierung für die Wählerinnen und Wähler. Denen, die das bestreiten, passt häufig in Wahrheit die inhaltliche Orientierung auf linke Inhalte nicht. Deshalb setze ich mich dafür ein, für die nächste Bundestagswahl ganz klar Position im Parteienspektrum zu beziehen. Für mich und auch viele unserer Wähler sind doch die soziale Gerechtigkeit und eine ökologisch nachhaltige Umverteilung von oben nach unten wesentliche Punkte für ihr politisches Engagement und ihr Wahlverhalten.

Auf die FDP haben sich die Grünen besonders eingeschossen. Manchmal erweckt das den Eindruck, dies diene vor allem zur Legitimierung von Bündnissen mit der CDU.

Nein. Wenn man Herrn Westerwelle hört, muss man doch einfach immer wieder sagen, dass der Weg der FDP nun der allerfalscheste ist.

Müssen sich die Grünen nicht umso mehr von der FDP abgrenzen, je ähnlicher sie ihr werden?

Nein. Mit der FDP gibt es die wenigsten politischen Schnittmengen. Nach dem, was sie vor der Wahl propagiert hat und für welche Interessen sie jetzt weiter steht, ist eine Zusammenarbeit nicht vorstellbar. In Untersuchungsausschüssen war Kooperation richtig und unumgänglich. Aber in den entscheidenden politischen Fragen, etwa der Atompolitik und der sozialen Gerechtigkeit, passt nichts zusammen.

Ist soziale Gerechtigkeit denn wirklich ein wichtiges Thema für die Grünen? Oder machen sich die Grünen da etwas vor?

Für mich ist dies der Grund, warum ich immer noch Politik mache. Und bei den Grünen sehen das sehr viele so – und zwar unabhängig von ihrem Bildungsstand und ihrem Einkommen. Grüne Wählerinnen und Wähler unterscheiden sich von denen der FDP vor allem darin, dass für sie die soziale Gerechtigkeit, das Streben nach einer sozialeren Welt wichtig ist.

Wenn das so ist – befürchten Sie, dass sich solche Wähler jetzt von den Grünen abwenden?

Ich wurde gleich am Sonntag nach der Entscheidung im Saarland von irritierten Wählerinnen und Wählern angesprochen mit der Frage: »Was macht ihr denn da, seid ihr verrückt?«

Und dann sagen Sie, die Grünen im Saarland ticken eben anders?

Nein, ich sage den Leuten dann einfach: »Sie haben recht mit ihrer Kritik.«

Werden Sie dann nicht gefragt, ob Sie in der falschen Partei sind?

Das höre ich immer wieder. Ich erkläre dann, dass und warum alle solchen Spekulationen keine reale Grundlage haben.

In Ihrer Partei denken wohl auch viele, dass Sie in der falschen Partei sind. Sie haben das Direktmandat in Friedrichshain-Kreuzberg wieder sehr deutlich gewonnen. Was hat angesichts dessen bei Ihren durchschnittsgrünen Parteifreunden denn überwogen – die Freude über Ihr Wahlergebnis und das grünes Direktmandat oder der Ärger, dass Ströbele es noch einmal geschafft hat?

Der Jubel am Wahlabend über das noch mal verbesserte Wahlergebnis war eigentlich allgemein und eindeutig, ich kann aber nicht in die Leute hineinsehen. Die riesige Mehrheit der Stimmen kam nur zustande, weil ich weit über das grüne Spektrum hinaus gewählt wurde. Ungefähr 40 Prozent meiner Wähler haben mit der Zweitstimme eine andere Partei gewählt. Darunter waren auch CDU- und FDP-Wähler.

Wählen die Konservativen Ströbele, weil Sie das Sinnbild Kreuzbergs sind?

Nein. Das stimmt schon deshalb nicht, weil 60 Prozent dieser Wähler gar nicht in Kreuzberg wohnen, sondern in Friedrichshain und Prenzlauer Berg Ost.