Über das Scheitern eines Antidiskriminierungsgesetzes in Italien

Verkehrte Welt

Berlusconis Probleme mit der Justiz dominieren die Medien und die Politik. Die Italiener beschäftigen sich aber auch mit den realen Problemen in der Gesellschaft.

Die Ablehnung des Homophobie-Gesetzes durch das italienische Parlament vergangene Woche kam überraschend. Besonders gay-friendly war Italien noch nie, dennoch hatte es das Wort Homophobie in der letzten Zeit in die Medien und sogar in den politischen Diskurs geschafft. Nach mehreren brutalen Übergriffen in Rom und andere italienischen Städten gegen Schwule, Lesben und Transgenders im Sommer brachte eine erfolgreiche Kampagne zunächst die so genannte Zivilgesellschaft, dann die LGBT-Bewegung auf die Straßen von Rom. Gleichzeitig wollte die demokratische Abgeordnete Anna Paola Concia auf der Gesetzesebene eine konkrete Maßnahme durchsetzen, eine Änderung im Strafgesetzbuch, die homo- und transphobe Hassverbrechen als solche anerkennt und bestraft. Es wäre eine minimale Änderung gewesen. Allerdings eine, über die in einer säkularen Demokratie mitten in Europa ein parteiübergreifender Konsens eigentlich eine Selbverständlichkeit sein sollte.
Doch wir befinden uns in der verkehrten Welt Italiens, einer Welt, in der eine Abgeordnete der Oppositionspartei, unterstützt von einer Ministerin der Mitte-Rechts-Koalition, ein Jahr lang an ­einem Gesetzesprojekt arbeitet, das Diskriminierung »aufgrund der sexuellen Orientierung und der Geschlechtsidentität« als erschwerenden Umstand bei »Delikten gegen die Person« betrachtet und einen Zusatz zu einem bereits existierenden Gesetz vorsieht, das rassistische, ethnische und religiöse Gewalt und Diskriminierung bestraft. In dieser Welt kann es passieren, dass nicht wenige konservative Abgeordnete im Parlament für das Gesetz stimmen, während ausgerechnet ein Teil der Oppositionspartei das Vorhaben zum Scheitern bringt.

Im Parlament wurde über die Verfassungsmäßigkeit des Zusatzes abgestimmt. Und ausgerechnet die katholische Komponente der linksdemokratischen Opposition stimmte mit der konservativen Mehrheit gegen die Verfassungsmäßigkeit. Denn, so lautet der Einwand der Moralhüter im italienischen Parlament, der Bezug auf die »sexuelle Orientierung« würde dazu führen, dass auch Gewalttäter, die »abweichende sexuelle Praktiken wie Pädophilie oder sogar Zoophilie und Nekrophilie« praktizierten, geschützt würden.
Alles soll bleiben, wie es ist, und gegen die zunehmende homophobe Gewalt in Italien sollen friedliche Fackelzüge für »mehr Toleranz« und Demonstrationen für »mehr Rechte« reichen. Daran, dass Lesben, Schwule und Transgenders in vielen italienischen Städten in Angst leben und sich verstecken müssen, hätte der Zusatz ohnehin wenig geändert, die Signalwirkung der Ablehnung des Gesetzes ist allerdings klar: Die Mehrheit im italienischen Parlament argumentiert mit homophoben Vorurteilen, und Schwulen- und Lesbenhasser dürfen weiter mit Straffreiheit rechnen.
»Wenn das Gesetz uns nicht schützen kann, dann sollten wir es selbst tun«, kommentierte ein bekannter schwuler TV-Moderator in der Tageszeitung Corriere della Sera und schlug die Einführung von schwul-lesbischen Bürgerwehren vor. Das war eine provokative Antwort auf das vorherrschende Klima der Gewalt in der italienischen Gesellschaft, in der Bürgermilizen gegen »kriminelle Ausländer« legalisiert wurden.
Der rechtskonservative Konsens scheint im Parlament kaum zu brechen zu sein, doch in der Gesellschaft artikuliert sich Kritik in verschiedenen Formen. Der Umgang von Ministerpräsident Silvio Berlusconi mit Medien, die seit Monaten über die Verbindungen zwischen seinem Sex­leben, Macht, Geld und Politik berichten, allen voran die linksliberale Tageszeitung La Repubblica, führte Anfang Oktober zu einer großen Demons­tration für die Pressefreiheit mit über 100 000 Teilnehmern. Auf kritische Berichterstattung über seine Person regierte Berlusconi in den vergangenen Monaten rabiat mit einer Serie von Klagen gegen italienischen Zeitungen sowie gegen die spanische El Pais und den französischen Nouvel Observateur. Von Anfang an betonten italienienische kritische Medien wie La Repubblica und L’Unità die politische Dimension der Sexskandale um Berlusconi, die keineswegs nur sein Privat­leben beträfen, sondern ein korruptes System aus Politik, Sex und Macht offenbarten.

Selbst im Macho-Land Italien wird nun auch in den Polit-Talkshows die zutiefst sexistische ­Natur dieses Systems diskutiert. In öffentlichen Veranstaltungen und Diskussionsreihen versuchen bekannte Feministinnen, Publizistinnen, Akademikerinnen und Filmemacherinnen zu intervenieren. Jenseits der moralischen Entrüstung über die Machenschaften des Regierungschefs wird dabei der Sexismus in der italienischen Politik und Gesellschaft thematisiert, und zwar aus einer weiblichen Perspektive, die sich der chauvinistischen Inszenierung der politischen und medialen Macht entziehen will.