Notfallplan für Quelle

Humanitäre Hilfe

Nach dem endgültigen Aus für das insolvente Versandhaus Quelle gibt es einen Notfallplan; um Wirtschaftspolitik geht es dabei nicht.

Ein wichtiges deutsches Unternehmen ist pleite gegangen. Es hat den schönen Namen Quelle, beim derzeitigen Stand war es irgendwo zwischen Old und New Economy angesiedelt und 82 Jahre lang Bestandteil des deutschen Kapitalismus.
10 000 Menschen werden nun auf der Straße stehen. Wie immer hat das Management Mist gebaut, wie sich alle Zeitungen beeilt haben zu betonen – die auch mal einen Blick auf die Manager in ihren Verlagen werfen könnten.
Dabei hatte das Unternehmen, das von dem Kurzwaren- und Wollhändler Gustav Schickedanz 1927 gegründet wurde, schon ganz schwierige Phasen des Wirtschaftens mit Leichtigkeit überstanden. Die »dunklen Jahre« unter Adolf Hitler bewältigte Schickedanz, indem er in dessen Par­tei eintrat. Wenn sich auch die Historikerzunft über Schickedanz’ Parteitreue etwas uneinig ist: In einem Entnazifizierungsverfahren wurde der Unternehmer beschuldigt, dass sieben von neun Millionen Mark seines Vermögens aus jüdischem, zu seinen Gunsten »arisiertem« Besitz stammten. Ludwig Erhard, damals bayrischer Wirtschaftsminister, hat den Mann 1949 rehabilitiert; als »Mitläufer« wurde Schickedanz zu einer – in ihrer Höhe garantiert angemessenen – Geldstrafe von 2 000 Mark verurteilt. Den ladenbasierten Einzelhandel wird das übrigens auch gefreut haben.
Solche Unternehmer aus schönem Schrot und Korn scheinen die Deutschen nicht mehr zu haben. Und die Finanzkrise gibt ihren Besitztümern den Rest. Der Fall Quelle zeigt immerhin, woher der deutsche Reichtum bisweilen stammt.
Nun gehen unserer Oberschicht langsam die Unternehmen aus, Reichtumsakkumulation per Versandhandel ist jedenfalls nicht mehr das, wo einer Geld reinsteckt. Im Gegensatz zu mancher Bank scheint die Waschmaschinenzustellung nicht systemrelevant.
Wenigstens das Krisenmanagement setzt neue Maßstäbe: Die Regionaldirektion der Bundesagen­tur für Arbeit (BA) stellt einen regionalen »Notfallplan« auf und entsendet eine Eingreif­truppe zum Firmensitz nach Nürnberg – die Stadt, in der die BA-Oberdirektion, wie schön, jeden Monat die deutschen Arbeitslosenzahlen verkündet.
Das städtische Klinikum wird bei der ausgelaufenen Quelle ganz wie bei Naturkatastrophen eine psychologische Krisenambulanz einrichten. »Humanitäre Hilfe« heißt so was – woanders ein Fall fürs Militär. Aber das kommt erst beim Kriegskeynesianismus zum Einsatz.
Das Ziel des deutschen Wirtschaftens scheint Arbeitslosigkeit zu heißen. Am besten, man entlässt mehr Menschen, als je im Unternehmen gearbeitet haben.
Geben wir mal den Volksökonomen: Um solchen Szenarien etwas entgegenzusetzen, müsste die Politik wieder das Primat über die Ökonomie erlangen. Es müsste überhaupt erst mal wieder eine Wirtschaftspolitik geben. Dazu gehört eine neue Kredit- und Bankenpolitik wie auch die Beendigung des ruinösen Lohndumpings in Deutschland. Nicht von ungefähr trifft es eine Warenhauskette: Die Leute haben kein Geld in der Tasche, die Binnennachfrage stagniert. Die Lohnzuwächse im übrigen Europa sind von anderer Qualität als in Deutschland. In den zahlreichen Quelle-Call-Centern soll die Firma selbst ihren Mitarbeitern nur sechs Euro Stundenlohn gezahlt haben.
Der Leidensdruck dürfte sich bald erhöhen. Denn Quelle gehört zum Arcandor-Konzern, und mit des­sen Filialen könnte demnächst das nächste Wohlstandssymbol des alten Nachkriegs-Westdeutschland fallen: Karstadt. Da wird es dann in den Innenstädten viel Platz für Grabbeltische geben.