Über das iranische Atomprogramm

Schuhe, Schmuggler und Schiiten

Bei den Verhandlungen über das Atomprogramm präsentiert sich der Iran als aufsteigende Weltmacht, doch innenpolitisch ist das Regime geschwächt.

Stimmt der Iran zu? Stimmt er nicht zu? Oder stimmt er zu, um später einer eigenwilligen Interpretation des Abkommens mit der Internationalen Atombehörde IAEA den Vorzug zu geben? Am Freitag voriger Woche sollten jedenfalls alle Beteiligten ihre Entscheidung zum ausgehandelten Abkommen über die weitere Anreicherung des iranischen Urans in Russland und Frankreich bekannt geben. Der Iran jedoch verkündete, er wolle sich womöglich ein paar Tage später entscheiden.
Plötzlich war wieder die Rede davon, das für einen alten Forschungsreaktor bestimmte Uran sollte dem Iran geliefert werden, der Vorrat an eigenem niedrig angereicherten Uran dagegen, anders als von den Verhandlungspartnern gefordert, nicht außer Landes gebracht werden. Am Montag wurde angedeutet, man könne sich womöglich doch zeitweise von einem Teil der Uranvorräte trennen. Wenn das iranische Regime irgendwo kompetent ist, dann beim Verschleppen von Verhandlungen.
Eindeutig ist bisher nur, dass der Iran sich schlicht weigert, seine Urananreicherung einzustellen, wie es die Resolution des UN-Sicherheitsrats aus dem Jahr 2006 verlangt. Insofern wäre es durchaus ein Sieg des iranischen Regimes, wenn das seit 2006 illegal schwach angereicherte Uran durch ein Abkommen gewissermaßen offiziell legitimiert würde. Allerdings um den Preis, dass der größte Teil davon für eine gewisse Zeit außer Landes gebracht werden müsste. Damit verlöre das Regime aber einen entscheidenden Teil seines Drohpotenzials.
Für die westlichen Mächte beinhaltet die mit dem angebotenen Abkommen de facto gegebene Anerkennung der Urananreicherung jedenfalls das Eingeständnis, dass die bisherige Position, der Iran müsse seinen internationalen Verpflichtungen vollständig genügen, aufgegeben wird. Von weiteren Sanktionen ist nicht die Rede, denn der Iran ist – hypothetisch – gesprächsbereit.
Eine vorläufige Entschärfung des Konflikts kann als vorzeigbarer Erfolg der demonstrativ bekundeten Dialogbereitschaft des Friedensnobelpreisträgers Barack Obama dargestellt werden. Das eigentliche Problem, die Urananreicherung, wäre damit zwar nicht gelöst, aber für die kommenden zwölf bis 18 Monate würde das dem Iran zur Verfügung stehende Material nicht zum Bau einer Bombe ausreichen. Solange bräuchte der Iran wohl, um das nach Russland und Frankreich gebrachte schwach angereicherte Uran zu ersetzen. Womit man dann wieder am Anfang wäre. Aber bis dahin hätte man ja viel Zeit zum Verhandeln gehabt.
Allerdings hat das iranische Regime an einer temporären Entschärfung des Konfliktes kein Interesse. Sanktionen gilt es zwar unbedingt zu verhindern, aber aus den Schlagzeilen möchte man wohl kaum verschwinden. Es steckt ein Zwang dahinter, wenn Funktionäre wie Innenminister Mostafa Mohammed Najar verkünden, Länder, die bisher mit Sanktionen oder militärischem Eingreifen gedroht hätten, »haben sich dem Iran nun ergeben«. Die Prahlerei über die eigene Macht und Unbesiegbarkeit soll die Brüchigkeit des Systems der »Islamischen Republik« notdürftig überdecken.
Intern geht nämlich nichts voran. Das Regime erscheint wie gelähmt. Massenaufmärsche für die Regierung Mahmoud Ahmadinejads gibt es schlicht nicht mehr. Selbst Fußballspiele werden zu einem Risiko, dem man mit der Stationierung von Schnellrichtern und Tausenden Milizionären in den Stadien begegnet. Soweit es geht, wurden seit dem Sommer Jahrstage und Veranstaltungen, die große öffentliche Auftritte bedingen, abgesagt. Der berüchtigte al-Quds-Tag im September konnte aus ideologischen Gründen nicht ignoriert werden, das Ergebnis war, trotz der Präsenz der Sicherheitskräfte und Schlägertruppen des Regimes, ein Massenprotest der Opposition.

Der nächste gefährliche Termin ist der 4. November, der 30. Jahrestag der Besetzung der US-amerikanischen Botschaft. Das Regime wird sich genau überlegen müssen, ob es den Sieg über den »großen Satan« nicht doch lieber im kleinen Saal feiert. Die Opposition mobilisiert jedenfalls für die Teilnahme an der staatstragenden Veranstaltung unter dem Motto: »Ein Tag gegen Despotismus und Terror«.
Ahmadinejad hat bisher keinen einzigen der eigentlich obligatorischen Antrittsbesuche in der Provinz absolviert. Auftritte von Funktionären an den Universitäten sind besonders brisant. So flog Mohammed-Hossein Saffar-Harandi, dem früheren Kulturminister, an der Teheraner Universität in Folge einer sich offensichtlich langsam einbürgenden nahöstlichen Tradition ein Schuh entgegen. Als es zu laut wurde, musste er gehen.
Das Regime regiert mit Repression und Drohungen. Immer wieder werden Zeitungen geschlossen und Oppositionelle verhaftet. Gegen drei angebliche Monarchisten, die als Repräsentanten der Opposition gelten sollen, wurden sogar Todesurteile verhängt, allerdings noch nicht vollstreckt. Da im Iran häufig irgendjemand für irgendetwas hingerichtet wird, dürfte der Aufschub weniger auf das Berufungsverfahren als vielmehr auf die Befürchtung des Regimes zurückzuführen sein, Exekutionen könnten neue Proteste auslösen. Auch die ständigen Forderungen von regierungstreuen Parlamentariern, Mir Hussein Moussavi und Mehdi Karroubi gerichtlich zu belangen, haben bisher zu keinem Verfahren geführt. Es wird gedroht, aber das Regime hat nur eine beschränkte Bewegungsfreiheit und muss wie seine Gegner taktieren.
Zumal die Probleme auch auf anderer Ebene zunehmen. Der Selbstmordattentäter, der am 18. Oktober mehrere Korpskommandeure, den Befehlshaber der Revolutionsgarden in der Unruheprovinz Belutschistan sowie den stellvertretenden Kommandeur der Bodentruppen, General Nur-Ali Shushtari, einen alten Freund des religiösen Führers Ali Khamenei, bei einem Treffen mit örtlichen Notabeln in die Luft gesprengt hat, zielte ins Zentrum des Regimes.

Die Revolutionswächter sind längst mehr als eine Militärstreitmacht. Ihnen, beziehungsweise ihrer Führungsriege, gehört ein undurchschaubares Geflecht von wichtigen Firmen. Hier sitzen die Nutznießer der »Privatisierung« des Staatssektors. Der Vorsitzende einer damit befassten Parlamentskommission hat öffentlich bekannt gemacht, dass von Aktien im Wert von 13 Milliarden Dollar, die an die Teheraner Börse gebracht worden sind, weniger als 13 Prozent vom »wirklichen privaten Sektor« gekauft worden seien.
Im August ging die größte Blei- und Kupfermine des Landes an Firmen, die den Basij-Milizen nahestehen, welche wiederum den Revolutionswächtern unterstehen. Im September übernahm ein Firmenkonglomerat der Revolutionswächter die Mehrheit am bisher staatlichen Telekommunikationskonzern. Viele Iraner glauben, der Anschlag stehe im Zusammenhang mit Streitigkeiten über die Führung dieser mafiösen Netzwerke, denn Shushtari galt nicht nur als Anwärter auf das Amt des Oberkommandierenden der Revolutionswächter, er hat Ahmadinejad nach den »Wahlen« nur sehr zögerlich gratuliert.
Zu dem Anschlag bekannt hat sich die Jundullah, die Brigade Gottes, eine Gruppe sunnitischer Belutschen. Das Stammesgebiet der Belutschen erstreckt sich über Teile Pakistans, Afghanistans und des Irans. Es ist ein zu großen Teilen unkon­trolliertes Gebiet, durch das der Heroinhandel mit den entsprechenden Geld- und Waffenströmen läuft. Der Kleinkrieg mit den Schmugglern soll in den vergangenen 20 Jahren 3 000 iranische Grenzwachen das Leben gekostet haben.
Auch wenn Abdul Malik Rigi, der Anführer der Jundullah, für das »Recht des belutschischen Volks« zu kämpfen behauptet, dem im Iran ein Genozid drohe, steht die Organisation in der Tradition jihadistischer sunnitischer Terrorgruppen. Da wurden für Videos auch schon mal Köpfe abgeschnitten – nur diesmal nicht von westlichen Geiseln, sondern von iranischen Grenzpolizisten. Der verqueren Frontstellung entsprach die erstaunte Erkenntnis der Gruppe, dass Israel seine Feinde besser behandele als die iranische Regierung die ihrigen. Das war im Juni, nach der Hinrichtung von 13 ihrer angeblichen Mitglieder.

Die Jundullah hat einiges an mörderischem Potenzial vorzuweisen. Im Juni verübte sie einen Anschlag auf eine schiitische Moschee mit 25 Toten. Ihre größten Aktionen waren davor im Jahr 2008 ein Anschlag auf eine Moschee in Shiraz mit 14 Toten, 2007 ein Anschlag auf einen Bus voller Revolutionswächter mit 13 Toten, die Entführung von 16 Grenzpolizisten nach Pakistan, die ermordet wurden, und ein Hinterhalt, gelegt für ein Vorauskommando Ahmadinejads, als dieser 2005 die Provinz besuchen wollte.
Wer genau mit welchen Zielen hinter der Gruppe steht, ist unklar. Vielleicht weiß es die Jundullah selber nicht. Der Iran benannte natürlich umgehend die USA und Großbritannien als Drahtzieher, dann brachte man schnell Pakistan ins Spiel. Saudi-Arabien zu erwähnen, hatte man in der Eile wohl vergessen, von den Taliban ganz zu schweigen. Ein Kenner der Region, der pakistanische Publizist Ahmed Rashid, schätzt die Jundullah als »Söldner« ein. Niemand wisse genau, an was die Gruppe glaube. Sie sei zu diesem und jenem Zeitpunkt von nahezu jedem Akteur in der Region schon einmal benutzt worden.
Womöglich kann man in diesen neuesten Anschlägen in Belutschistan auch eine Antwort auf den schwelenden Bürgerkrieg im Jemen sehen, den zu schüren sich das iranische Regime vermutlich mit Hilfe von Ausbildern der Hizbollah kräftig bemüht hat. Dass dieser Aufstand von Schiiten auch noch so nah an der Grenze zu Saudi-Arabien stattfindet, wird die sunnitischen Glaubenswächter dort wohl kaum erfreut haben.
Möglicherweise fällt die Unterstützung ausländischer Terrorgruppen nun auf das Regime zurück. Auch im kurdischen Teil des Westiran gab es jüngst eine Anschlagsserie gegen regimetreue Kleriker. Angeblich sind Terroristen von al-Qaida verantwortlich, deren prominentestes Opfer der Repräsentant der Provinz Kurdistan im Expertenrat war. Weder kurdische Organisationen noch die notorischen Volksmujaheddin haben sich bekannt. Doch ob es sich um einen Terrorkrieg handelt oder um Abrechnungen innerhalb der Oligarchie, die Anschläge tragen zu einer weiteren Destabilisierung bei.