Die Wahlergebnisse in Uruguay

Pepe fährt lieber Moped

Der ehemalige Guerillero Mujica, Kandidat des linken Bündnisses Frente Amplio, erhielt bei den Wahlen in Uruguay die meisten Stimmen, muss sich jedoch einer Stichwahl stellen.

Zum bestgekleideten Politiker der Welt wird José »Pepe« Mujica sicher nicht gewählt werden. Der Kandidat des linken Bündnisses Frente Amplio (Breite Front) zieht den Rucksack der Aktentasche vor, er trägt meist eine zerknitterte Hose und eine Strickjacke, auf der manchmal ein paar Wein­flecken zu sehen sind. Doch er hat gute Chancen, zum Präsidenten Uruguays gewählt zu werden. Im ersten Wahlgang am vorvergangenen Sonntag erhielt er 48 Prozent der Stimmen, mehr als seine beiden staatsmännischer gekleideten konservativen Gegenkandidaten zusammen.
Dennoch herrschte nach Bekanntgabe der ersten Hochrechnungen in der Zentrale des Frente Amplio angespannte Stimmung, statt Siegesrufen waren besorgte Kommentare zu hören. Weit besserer Laune waren die Konservativen. Pedro Bordaberry, dessen Vater in den ersten drei Jahren der Militärdiktatur, die von 1973 bis 1985 andauerte, Präsident war, hatte als Kandidat der rechten Colorados soeben mit 17 Prozent das zweit­schlechteste Ergebnis in der Geschichte seiner erfolgsverwöhnten Partei eingefahren, die seit der Unabhängigkeit Uruguays mit nur wenigen Unterbrechungen den Präsidenten stellte. Seine Anhänger feierten ihn dennoch euphorisch.
Luis Alberto Lacalle, Kandidat der konservativen Blancos, der als Präsident in den frühen neunziger Jahren vor allem mit Korruptionsskandalen aufgefallen war, stellte sich mit einer Geste des Triumphs der Presse, nachdem er erfahren hatte, dass er mit 29 Prozent abgeschlagen auf dem zweiten Platz gelandet war.
Das politische System Uruguays wurde im 20. Jahr­hundert von den Colorados und den Blancos beherrscht. Erst im Jahr 1971 entstand mit der Gründung des Frente Amplio, eines in Lateinamerika einmaligen Zusammenschlusses verschiedenster linker Organisationen, von den Kom­munisten bis zu den Sozialdemokraten, eine politische Alternative. Zwei Jahre später verboten, wurde der Frente 1984 wieder legalisiert. Colorados und Blancos sahen ihre Vorherrschaft immer stärker bedroht und führten 1997 ein Stichwahlsystem ein. Fortan konnten sie einander in der zweiten Runde unterstützen.
So stimmten die Blancos 1999 für Jorge Batlle von den Colorados und verhinderten eine Präsidentschaft des Frente-Kandidaten Tabaré Vázquez. Fünf Jahre später allerdings erzielten Vázquez und der Frente Amplio gleich im ersten Durchgang mit über 50 Prozent einen historischen Sieg, Uruguay konnte sich unter die linksregierten Staaten Lateinamerikas einreihen.

Daher die Enttäuschung in der Linken. Weil der Frente Amplio die absolute Mehrheit knapp verfehlt hat, wird es am 29. November eine Stichwahl zwischen Mujica und Lacalle geben. Die Blancos und Colorados können noch auf eine Rückkehr an die Macht hoffen. Dafür müssten allerdings die Colorado-Wähler für Lacalle stimmen, und Mujica müsste noch einige tausend Stimmen verlieren, beides ist nicht sehr wahrscheinlich.
In den Wochen vor der Stichwahl wird die Rech­te wohl vor allem versuchen, Zweifel an der Eignung des 75jährigen Mujica für das Präsidentenamt zu säen. Der Kontrast zwischen dem bedächtigen Vázquez und seinem möglichen Nachfolger könnte kaum größer sein. Der bucklige und bis vor kurzem meist unrasierte Gärtner Mujica, der auch noch als Landwirtschaftsminister der nun scheidenden Regierung mit seinem alten Moped zur Arbeit fuhr, zieht gerne mal in derber Art und Weise vom Leder und schert sich wenig um diplomatische Konventionen.
Auch seine Biographie kann polarisieren. Mujica war einer der Anführer der Tupamaros, der Stadtguerilleros, die Ende der sechziger und Anfang der siebziger Jahre mit spektakulären Enteignungsaktionen, Geiselnahmen und Gefange­nen­befreiungen weltweites Aufsehen erregten. 1973 wurde er nach mehrmals geglückter Flucht erneut festgenommen und blieb bis zum Ende der Diktatur in Haft, wo er schwer gefoltert wurde. Er war einer von neun Anführern der Tupamaros, denen als Geiseln der Militärs die sofortige Exekution drohte, sollte ihre Organisation eine weitere Aktion durchführen. Nach 1985 schlossen sich Mujica und die Tupamaros dem Frente Am­plio an und repräsentierten sozusagen den linken Flügel der Linken. »El Pepe« wurde zu einem der populärsten Politiker des Frente und seine ehemals linksradikale Gruppierung zu einer der wichtigsten Stützen der linken Regierung.

Dass nun gerade der kauzige Mujica und nicht etwa der jüngere und für viele Angehörige der Mittelschichten weitaus attraktivere Wirtschaftsminister Danilo Astori bei den parteiinternen Vorwahlen im Juni zum Präsidentschaftskandidaten gekürt wurde, ist wohl Ausdruck eines weit verbreiteten Unbehagens in der Basis der Partei. Die linke Regierung schloss unzählige Kompromisse, die mit den programmatischen Prinzipien schwerlich in Einklang gebracht werden können. Da entschied man sich lieber für den Kandidaten mit der Biographie eines konsequenten Kämpfers der Linken, obwohl auch Mujica die meisten umstrittenen und oft autoritär durchgesetzten Entscheidungen von Präsident Tabaré Vázquez mit­getragen hat.
Die Hoffnungen auf eine Agrarreform, eine stär­kere Einbeziehung der Basis in Entscheidungsprozesse, weitreichende soziale Veränderungen und stärkere regionale Integration wurden jedenfalls alle enttäuscht. Das Wirtschaftsbündnis Mercosur wird seit Jahren von einem Streit über den Bau zweier Papierfabriken am Grenzfluss Rio Uruguay gelähmt. Die Regierung Vázquez hat das Projekt ohne Rücksicht auf ökologische Bedenken Argentiniens mit wenig diplomatischem Gespür und nationalistischer Rhetorik durchgesetzt. Dass Uruguay bei der Aufzählung der linken Regierungen Lateinamerikas oft nicht genannt wird, erscheint daher wenig verwunderlich.
Es gab am vorvergangenen Sonntag noch einen weiteren, wahrscheinlich noch bedeutenderen Grund für die Enttäuschung unter vielen Anhängern des Frente. Neben den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen standen zwei Plebiszite zur Abstimmung, die beide historische Forderungen der uruguayischen Linken beinhalteten. In einem ging es um die Einführung des Briefwahlrechts für die ungefähr 500 000 im Ausland lebenden Uruguayer, eine bedeutende Zahl bei nur drei Millionen Wahlberechtigten insgesamt. Im zweiten Referendum ging es um die Annullierung eines Amnestiegesetzes, das die zahlreichen unter der Diktatur begangenen Verbrechen des Militärs von der Strafverfolgung ausnimmt.

Für beide Initiativen stimmten weniger als 50 Pro­zent der Wähler. Die Erschütterung und Wut der Aktivisten über die Indifferenz der Mehrheit sind groß, insbesondere was die gescheiterte Aufhebung der unter dem Druck der Militärs nach dem Ende der Diktatur erlassenen Amnestie angeht, die erst kürzlich vom Obersten Gericht Uruguays für verfassungswidrig erklärt wurde. Die Angst davor, sich der Vergangenheit zu stellen, hat au­gen­scheinlich gesiegt. Während in Ländern wie Argentinien eine weit reichende Aufarbeitung die­ses düstersten Kapitels der jüngeren Geschichte Lateinamerikas stattfindet, bleibt es in Uruguay bei der Straflosigkeit, obwohl wahrscheinlich ein ehemaliger Gefangener der Junta Präsident werden wird.