Über den Film »2012« von Roland Emmerich

Achtung, Deadline!

Es steht im Kalender der Maya. Am 21. Dezember 2012 ist Weltuntergang. Roland Emmerich macht das Türchen auf und schaut nach, was passiert.

Sie macht Radau, sie schwitzt und rotzt, spuckt und wälzt sich im eigenen Dreck. Die Kruste zerbröselt, rohe Kräfte brechen durch: Mutter Erde ist krank und schnauft wie Heidi Klum im Kreißsaal. Ja, man sitzt im neuen Roland-Emmerich-Film. Wenigstens sind die Bilder besser als im letzten. Aber das ist auch kein Kunststück. Die Bilder in Emmerichs vorigem Film »10 000 B.C.« waren schauderhaft. In seinem neuen Film »2012« sind sie mit ihren gewaltigen Höhen und Tiefen wunderschön und einmalig neu. Es geht um die mythische Katastrophe des Weltuntergangs, an dem uns Emmerich teilhaben lässt.
Mit der dubiosen Jahreszahl 2012 hat es folgendes auf sich: Zu den wiederkehrenden Motiven in Roland Emmerichs Filmen gehören esoterische Theorien wie jene sympathische Vorstellung von Erich von Däniken, dass Außerirdische den Menschen die Technik und vor allem den Verstand gegeben haben sollen. In den Zeichensystemen alter Kulturen seien Abbilder von Astronauten und Raumschiffen zu finden. In esoterischen Zirkeln und der Literatur ist dies oft Gegenstand der Auseinandersetzung, und in Emmerichs Filmen sahen wir schon, wie Archäologen durch ein Wurmloch auf einen anderen Planeten reisen, um pharaonengleiche, pyramidenbauende Astronauten zu besuchen (»Star Gate«).
Für das Projekt »2012« stand der Kalender der Maya Pate. Der 21. Dezember 2012 ist mehr oder weniger präzise im Kalender dieser alten indianischen Kultur als Deadline der Erde genannt. An diesem Tag soll die Menschheit eine Dimension bergauf steigen, ihre bisherigen Hüllen benötigt sie dann nicht mehr. Weltunter­gang und Massenselbstmord liegen nahe beieinander.
Neueren esoterischen Untersuchungen zufolge geht dieser Tag einher mit einer besonderen Konstellation im Planetensystem. Infolge von Son­nenstürmen wird die Erde mit Neutrinos, kleinen Elementarteilchen, beschossen, die die Erde aufheizen wie die Mikrowelle den Hamster. Wie das Tier im Ofen würde die Erdkruste instabil. Hier setzt »2012« an, als klassischer Katas­trophenfilm mit jeder Menge Geschrei und Tränen. Und während sich die Kunden im Supermarkt noch um das Wechselgeld streiten, ist die Kasse schon zwei Kilometer tiefer gerutscht. Und mit ihr der Rest der Stadt. So sieht es auf dem gesamten Erdball aus.
Naturgemäß reagieren die Amerikaner, kleine Kinder, die sie sind, besonders aufgeregt auf derartige Probleme und legen auch diesmal jene Verhaltensweisen an den Tag, die ihnen das Kino seit Jahrzehnten für Katastrophenfälle vorbehält: mit Suff, Raubmord und Auffahrunfällen. Es gesellen sich genretypisch hinzu: Erdbeben, Erdrutsche, ein formidabler Vulkanausbruch und diverse Verschwörungstheoretiker.
Es sieht hier alles toll aus, und man ist – auch im Jahr 2012 spielt die Börse verrückt – ganz auf der Höhe der Zeit. Von der Leinwand erschallt es ganz laut: Dem Treiben des Menschen folgt das dicke Ende. Jawohl. Allerdings hat die Menschheit in »2012« das – anders als in klügeren Filmen – gar nicht in der Hand. Weil es um eine schnöde, unvermeidliche Naturkatas­trophe geht.
Nun ist es an Emmerich und seinem Ensemble, darzulegen, wie das Individuum an sich unter erschwerten Umständen performt. Der begrenzte Reigen menschlicher Reaktionsfähigkeit angesichts extremer Umstände blättert sich auf am Beispiel von Personen, die zeigen, dass der Maya-Gott recht damit hat, einige Plagen auf die Erde herunterregnen zu lassen. Da ist zum Beispiel als Zentralgestirn dieses Films der blasse Schriftsteller Jackson Curtis (John Cusack), dessen Ehe kaputt ist. Seine blasse Ehefrau (Amanda Peet) hat schon eine neue Beziehung geknüpft, und zwar zu einem Schönheitschirurgen. Der auch für die Lacher verantwortlich ist, bevor er freundlicherweise stirbt: Im Supermarkt packt er seiner Freundin von hinten an die Brüste. Die wehrt sich, aber mehr so auf die gespielte Art: »Lass das, Schatz.« Schönheitschi­rurg: »Manche Frauen bezahlen mir ein Vermögen, damit ich ihnen an die Möpse gehe.« Publikum: »Hahaha.«
Das Elend der Patchwork-Existenzen überstrahlt zuweilen das ganze Ausmaß der Zerstörung. Und dann sind die Menschen traurig, als sie erkennen, dass sie aus scheinbar nichtigen Gründen wie etwa abgrundtiefem Vater-Hass den Draht zu ihren nahen Verwandten haben abreißen lassen. Ohne Anlass wird’s aber auch nicht geschehen sein – aber dem aufgerissenen San-Andreas-Graben in Kalifornien sei Dank: Der Film verbreitet die banale Erkenntnis, dass man angesichts großer Unglücke das Bedürfnis verspürt, näher zusammenzurücken. Das verhasste Familienmitglied ist aus dem gleichen Zeug wie ich! Dafür gibt man gern sein Leben her. Und so verdammt der Film die, die schwach sind und an sich selbst denken, und lobt die, die für andere in den Tod gehen, wenn das Hochhaus in die Tiefe stürzt; wenn man noch jemandem aus dem brennenden Auto retten kann, bevor man selbst verbrennt.
Nanu, denkt man – dies ist doch ein Plädoyer für den großen Krieg. Weil die Menschen immer nur angesichts der ganz großen Krisen zu ihrer Bestimmung finden: Selbstaufgabe. Und auch die Nationalitätengrenzen, sie lassen sich überwinden, wenn es hart auf hart kommt. Mit diesem recht klebrigen wie reaktionären Helden-Design überzieht Emmerich seine Erzählung.
Da hilft nur Flucht nach vorn: Mindestens drei­mal schmeißen Männer unter Aufbietung der letzten Kräfte ihre Kinder irgendwo ans rettende Ufer, bevor sie selbst einen schrecklichen Tod erleiden. Das erhöht die Dramatik ungemein, wenn man dabei vergisst, dass dieses Heldentum der reine Selbstzweck ist. Irgendwas von mir muss überleben.
Die Welt geht unter, fast die ganze Menschheit wird vernichtet, und eine Menge Platz in der Arche Emmerich geht für Pekinesen und Schäfer­hunde drauf. Muss man extra erwähnen, dass das Finale größtenteils in China spielt? Die eigent­liche Fallhöhe besteht in diesem Film darin, dass er die Banalität der Erzählweise nicht mit den optischen Eindrücken auf einen Nenner bringen kann.
Fazit: Es gibt nicht viele Regisseure, die so wenig mit Menschen anfangen können wie Emmerich. Mit anderen Dingen aber schon: Er sollte der Erde endlich Adieu sagen und gigantische Science-Fiction-Schlachten zwischen den Galaxien inszenieren.

»2012« (USA 2009). Regie: Roland Emmerich. Darsteller: John Cusack, Amanda Peet, Danny Glover u.a. Start: 12. November