Über Patentierbarkeit von embryonalen Stammzellen

Zellwanderungen

Die Entscheidung, ob embryonale Stammzellen in Deutschland patentiert werden dürfen, wird noch auf sich warten lassen. Vorerst hat der Bundesgerichtshof die Sache an den Europäischen Gerichtshof verwiesen.

Eigentlich könnten die Kontrahenten allmählich zum »Du« übergehen, treffen sie doch seit Jahren immer wieder aufeinander. Nur passiert dies vornehmlich vor Gericht, was der Einführung der vertraulichen Anrede vermutlich im Wege steht.
Auf der einen Seite steht die Umweltschutzorganisation Greenpeace, auf der anderen Seite einer der wichtigsten deutschen Stammzellforscher, Oliver Brüstle, der an der Bonner Universität lehrt. Am Donnerstag voriger Woche begegneten sich die Parteien erneut vor Gericht, diesmal vor dem Bundesgerichtshof (BGH). Bei dem Gerichtstermin ging es darum, die Patentierbarkeit von mensch­lichen embryonalen Stammzellen zu regeln – diese sind unter Gentechnikern deswegen besonders begehrt, weil sie als pluripotent gelten, sich also noch zu jeder anderen Körperzelle (z.B. Nerven-, Haut- oder Gehirnzelle) entwickeln können.
Vielleicht auch weil der Ausgang des Prozesses weitreichende Konsequenzen für die gesamte Europäische Union haben könnte, ging es vor Prozessbeginn hoch her zwischen den Widersachern. Von Greenpeace war zu hören, man wolle einen »Wegbereiter der weltweiten Embryo-Industrie« aufhalten, Brüstle wiederum sah sein geistiges Eigentum »mit Füßen getreten«. Der Streit geht nun bereits ins dritte Jahr, sein Ursprung reicht noch weiter zurück.

Bereits im Jahr 1999 hatte der Bonner Forscher ein Verfahren auf die Gewinnung und Nutzung von Nervenzellen, die aus menschlichen embryonalen Stammzellen gewonnen wurden, beim Deutschen Patentamt patentieren lassen. Bei dem Verfahren werden aus embryonalen Stammzellen, die nach Deutschland importiert wurden, Vorläuferzellen des Gehirns entwickelt. Von diesen verspricht sich Brüstle in Zukunft eine Heilung von Krankheiten wie Parkinson und Multiple Sklerose, indem die entwickelten Zellen die Funktion von degenerierten Zellen übernehmen. Bisher konnte jedoch noch kein solcher Heilungserfolg bei einer Behandlung mit embryonalen Stammzellen nachgewiesenen werden.
Ethisch umstritten ist die Gewinnung der Stammzellen aus menschlichen Embryonen, die etwa bei einer künstlichen Befruchtung übrig bleiben. In Deutschland wird diese Debatte seit Jahren kontrovers geführt. Zwar ist die Gewinnung von embryonalen Stammzellen in Deutschland seit der Verabschiedung des Embryonenschutzgesetzes im Jahre 2002 nicht zulässig, der Bundestag einigte sich jedoch im April 2008 darauf, das Gesetz zu lockern. Seitdem dürfen Forscher embryonale Stammzellen aus dem Ausland einführen, die vor dem 1. Mai 2007 entstanden sind und nachweislich von Embryos stammen, die bei einer künstlichen Befruchtung übrig geblieben sind.
Gegen das Patent von Oliver Brüstle reichte Greenpeace bereits im Jahr 2006 Klage vor dem Bundespatentgericht ein. »Menschliche Gene und Organe und eben auch Zellen aus menschlichen Embryonen dürfen nicht zur Ware degradiert werden«, argumentierte Christoph Then, bei Greenpeace für das Thema Gentechnik zuständig. Das Gericht folgte damals in weiten Teilen der Argumentation der Organisation. Es erklärte zwar nicht das gesamte Patent für nichtig, erteilte jedoch ein Verbot für den Fall, dass Brüstle mit Zellen arbeite, für die Embryonen getötet wurden. Das Gericht sah die öffentliche Ordnung in Deutschland an diesem Punkt als gefährdet an. In Deutschland erteilte Patente dürften keinen kommerziellen Anreiz zur Zerstörung menschlicher Embryonen bieten, urteilten die Richter damals. Dieses Verbot gelte auch für Stammzellen aus dem Ausland. Das Europäische Patentamt entschied in einem ähnlichen Fall im November 2008 ebenfalls, dass keine Verfahren patentiert werden dürften, bei denen Embryonen zerstört würden.

Gegen das Urteil des Münchener Bundespatentgerichts legte Brüstle Berufung ein. Er selbst zerstöre keine Embryonen, sondern arbeite nur an legal importierten Stammzellen, lautete seine Argumentation. Und in der Tat kann man an diesem Punkt von einer Doppelmoral sprechen. Einerseits erlaubt das Embyronenschutzgesetz ausdrücklich die Forschung an embryonalen Stammzellen unter bestimmten strengen Auflagen, andererseits sieht das Bundespatentgericht die öffentliche Ordnung gefährdet. Brüstle selbst sprach von einer »bizarren Situation«. Er befürchtet, dass Forschungsergebnisse aus Deutschland, wenn sie nicht patentiert werden dürfen, leicht von ausländischen Firmen aufgegriffen und zu kommerziellen Zwecken genutzt werden könnten.
Der Bundesgerichtshof (BGH) gab Brüstle vergangene Woche in einigen Punkten seiner Argumentation recht, ein Urteil fiel in dem Prozess jedoch nicht. Die Richter deuteten an, dass sie das Patentrecht für nicht geeignet halten, um ethische oder moralische Grenzen zu ziehen. »Wir haben nicht darüber zu entscheiden, ob man mit Stammzellen forschen darf«, sagte der Vorsitzende Richter Peter Meier-Beck.
Die Karlsruher Richter verwiesen den Fall nach einem langen Verhandlungstag schließlich an den Europäischen Gerichtshof (EuGH). Der soll jetzt zunächst Unklarheiten bei der Umsetzung der europäischen Biopatentrichtlinie in Deutschland klären. Dieses Prozedere hielten die Richter für unabdingbar, da das deutsche Patentrecht die europäische Biopatentrichtlinie nahezu wortgleich übernommen hat. Und da liegt es nahe, zunächst auf ein Urteil aus Luxemburg zu warten, um unter Umständen eine für die gesamte Europäische Union gültige Regelung zu erhalten. Nach dem zufolge müsse unter anderem zunächst der Begriff »menschliche Embryonen« eindeutig definiert werden. Denn noch ist es rechtlich unklar, ob zum Beispiel eine Stammzelle, die in ­einem bestimmten Stadium aus einer befruchteten Eizelle gewonnen wurde, als Embryo anzusehen ist. Erst nach der Entscheidung des EuGH kann der BGH den Fall abschließend entscheiden. Bis dahin vergehen erfahrungsgemäß ein bis zwei Jahre.

Greenpeace begrüßte das Vorgehen des BGH. »Die heutige Entscheidung des BGH ist richtig! Die Frage der Patentierbarkeit menschlicher Embryonen zu kommerziellen Zwecken muss auf europäischer Ebene geklärt werden. Nur so kann eine EU-weit einheitliche Anwendung erwirkt werden«, teilte Christoph Then der Presse mit.
Möglicherweise wird Oliver Brüstle jedoch in einigen Jahren gar nicht mehr auf embryonale Stammzellen angewiesen sein wird. Gemeinsam mit seinen Kollegen tüftelt er an so genannten induzierten pluripotenten Stammzellen (IPS-Zellen). Diese werden, wenn alles klappt, mit Hilfe der Gentechnik aus Hautzellen gewonnen.