Über die Kreditklemme

Von der Krise in die Klemme

Mittelständische Unternehmen klagen über eine mangelnde Kreditversorgung durch die Banken. Die Bundesregierung sieht die Erholung der Konjunktur in Gefahr und plant den Banken Kreditrisiken abzunehmen.

In alten Gespenstererzählungen hängen Bilder plötzlich schief, man hört ein Schlurfen über knarrende Holzdielen, alte Türen klemmen. In der aktuellen Spukgeschichte »Die größte Wirtschaftskrise seit 1929« haben wir gerade das retardierende Moment hinter uns gebracht, aber jetzt klemmt es wieder, soll heißen: Uns droht die so genannte Kreditklemme. Und während die Politik vor einer solchen noch warnt, sind sich die Experten sicher: Die Wirtschaft steckt bereits in dieser Klemme. Kreditklemme heißt einfach, dass die Banken immer weniger Kredite rausrücken und dadurch die nachfragenden Unternehmen in Schwierigkeiten bringen.

Das Geld, das dank der Kredite fließt, ist für die Unternehmen überlebensnotweniges Kapital. Es ist der Kredit, der im Kapitalismus die Gegenwart (wie wird die Produktion möglichst gewinnbringend organisiert?) mit der Zukunft (die realisierten Gewinne) verbindet. Keine Kredite – keine Zukunft. Nun profitieren ihrerseits die Banken davon, beziehen ihre ganze Macht daraus, dass sie Kredite vergeben. Sie streichen die Zinsen ein und können darüber immer größere Projekte vorfinanzieren. Vergeben die Banken keine Kredite mehr, muss dem eine tiefe Störung der Wirtschaft zugrunde liegen. Denn entweder haben die Banken zu wenig Eigenkapital für weitere Kredite oder ihr Vertrauen in die so genannte Realwirtschaft ist dermaßen schlecht, dass sie ihr Kapital nicht in wenig aussichtsreiche Unternehmungen stecken wollen. Oder es trifft beides zu.
Politik und Öffentlichkeit in Deutschland haben ihr Urteil schon gefällt: Das Problem liegt bei den Banken, die Wirtschaft ist an und für sich gesund, allein es fehlt ihr das Geld. Geld ist in der herrschenden Meinung eine bloße Äußerlichkeit, sozusagen das I-Tüpfelchen auf den Handwerks- und Organisationskünsten deutscher Facharbeiter und Manager.
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat denn auch den Banken barsch die Rolle des Dienstleisters zugewiesen. Allerdings sind sie schon sehr merkwürdige Dienstleister, das weiß auch die Kanzlerin, denn im Gegensatz zu Autowerkstätten und Friseuren haben Banken »eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe« (Merkel). Also wird die Regierung zum Dienstleister der Banken, damit die nicht schlapp machen. Geplant ist aktuell, dass der Staat Forderungen der Banken, die wohl keine Aussicht mehr hätten, bedient zu werden, in Höhe von zehn Milliarden Euro übernimmt. Mit dem frischen Kapital könnten die Banken ihr Eigenkapital erhöhen und ein neues Kreditvolumen von 100 Milliarden Euro generieren.
Das Problem ist, dass, wie etwa Sebastian Dullien auf Spiegel online anmerkte, nach geltenden Maßstäben sich »nicht effektiv« kontrollieren lässt, ob die Banken das staatlich zugeschossene Kapital überhaupt für die Kreditvergabe an deutsche Unternehmen nutzen. Zum einen brauchen sie das Geld selbst, um ihre weiterhin miesen Bilanzen aufzubessern, zum anderen ist es viel erträglicher, auf den globalen Rohstoffmärkten zu spekulieren.

Warum koppelt die Regierung die Zahlung der Zuschüsse nicht direkt an die Kreditvergabe? Es scheint, als sei sie Opfer einer nachhaltigen neoliberalen Vernebelungstaktik, wonach alles, was auch nur entfernt nach Verstaatlichung aussieht, des Teufels ist.
An dieser Stelle muss man von der anderen Seite der Kreditklemme sprechen: Wie vertrauenswürdig ist denn eigentlich die »Realwirtschaft« (die hier deshalb in Anführungszeichen gesetzt wird, weil es die Kredite des Bankgewerbes sind, die sie in die Lage versetzen, »reale Güter« zu produzieren, streng genommen sind die Banken die Realwirtschaft)? Was ist, wenn sich ein Großteil der an deutsche Unternehmen vergebenen neuen Kredite als Risikokredite entpuppten? Wenn die Unternehmen das frische Kapital nicht in die Produktion und die Entwicklung neuer Technologie steckten, sondern ihrerseits ihr Heil in der Spekulation und der Beteiligung an Hedge Fonds suchten? Müsste der Staat konsequenterweise nicht auch diese Unternehmen unter seine Obhut nehmen?

Es ist nicht so, dass »die« deutschen Unternehmen in der Kreditklemme leiden würden. Vielmehr handelt es sich um den in Deutschland besonders gehegten und gepflegten so genannten Mittelstand. Dort ist die Situation besonders ungemütlich. Die mittelständischen Unternehmen sind von der großen Industrie abhängig, viele sogar unmittelbar. De facto sind es aus Gründen der Profitabilität ausgelagerte Agenturen der Großen – Lidl stellt seine Brötchen nicht selbst her, sondern kauft sie billig ein, die Gebäudereiniger einer großer Versicherung sind dort nicht angestellt, und die Kantinen großer Unternehmen werden extern betrieben. Ganz extrem ist es in der Autoindustrie, in der eine Handvoll Hersteller eine unübersehbare Zahl an direkten wie indirekten Zulieferern – allesamt Mittelständler – dirigiert. In der Regel handelt es sich um hochspezialisierte Technologiezulieferer und Dienstleister, der Druck ist riesig, sie müssen sich permanent an die Bedürfnisse der großen Industrien anpassen. Da ist es nahezu unmöglich, eine hohe Eigenkapitaldeckung zu generieren, hinzukommt noch, dass die Mittelstandsunternehmen beliebte Spekulationsobjekte von Hedge Fonds (gewesen) sind – denn die hohe Spezialisierung verspricht im günstigen Fall hohe Gewinne. Geht diesen Unternehmen das Kapital aus, was an ihrer Abhängigkeit von der schwächelnden Autoindustrie und toxischen Hedge Fonds liegt, kann das umgekehrt auf die große Industrie zurückschlagen und die Krise dort potenzieren. Mehr noch: Eine Pleitewelle könnte zu einem regelrechten Braindrain führen, denn mit der Pleite würde jede Menge technologisches Wissen verloren (oder an ausländische Aufkäufer) gehen. Auch das wirkte sich krisenbeschleunigend aus.
Die Regierung sieht sich in einem Dilemma: Eine enge Bindung der Banken an den Mittelstand könnte, sollte die Realwirtschaft sich doch nicht als so robust und unmittelbar vor dem Aufschwung stehend erweisen, die Banken und ihr Geschäft abermals schwächen – und das wäre angesichts der Zentralität des Kreditgeschäfts im Kapitalismus fatal. Andererseits sind in diesem Sektor zig Millionen Leute beschäftigt, und dort ist sehr viel technologisches Wissen kristallisiert. Die Pleitewelle würde riesige Kreise ziehen und am Ende auch die Banken treffen. In dieser Krise zeigen sich die Grenzen des Staatsinterventionismus deutlich. Es ist dies auch ein Lehrstück für alle linken Freunde der Bankenverstaatlichung – der Krisentendenz des Kapitalismus entgeht man durch Verstaatlichung gerade nicht.
Man darf jedoch nicht vergessen, steckt der Staat auch selbst in dieser Klemme, handlungsunfähig ist er nicht. Er kann noch an ganz anderen Stellschrauben drehen – eine verschärfte Sicherheitspolitik, eine repressivere Sozialpolitik, die Ummodelung des Gesundheitssystems, die Disziplinierung des Humankapitals (Bildungspolitik). Es gibt viele Antworten auf die Kreditklemme, auch wenn sie auf den ersten Blick nicht mit ihr in Verbindung gebracht werden. Der Spuk ist allgegenwärtig.