Über benachteiligte Männer

Schuld sind die Schmetterlinge

Die Regierung hat entdeckt, dass Jungen und Männer gesellschaftlich benachteiligt sind, und deren Förderung beschlossen.

»Männer haben’s schwer, nehmen’s leicht, außen hart und innen ganz weich, werden als Kind schon auf Mann geeicht. Wann ist ein Mann ein Mann?« Geradezu visionäre Zeilen sang Herbert Grönemeyer in den achtziger Jahren in seinem Song »Männer« – zumindest in Anbetracht dessen, was Politiker und Politikerinnen der CDU/CSU und der FDP heutzutage umtreibt.

Bestätigt durch eine Vielzahl von Studien, haben sie eine neue Geschlechterungerechtigkeit ausgemacht, die es pädagogisch und politisch zu beseitigen gilt. Nicht nur Jungen, die etwa in der Shell-Studie aus dem Jahr 2006 als »Bildungsverlierer« wahrgenommen werden, rücken in den Mittelpunkt. Der Bundesagentur für Arbeit zufolge sind Männer auch häufiger von Arbeitslosigkeit betroffen als Frauen, und im aktuellen Gender-Datenreport des Bundesfamilienministeriums ist zu lesen, dass sogar häusliche Gewalt keine spezielle Erfahrung von Frauen mehr ist. »Dunkelfeldstudien zeigen: Von körperlicher Gewalt in hetero­sexuellen Paarbeziehungen scheinen Männer zunächst – rein quantitativ – in annähernd gleichem Ausmaß wie Frauen betroffen zu sein«, heißt es da.
Auf allen Ebenen scheinen Jungen und Männer ins Hintertreffen zu geraten, werden von wissbegierigen Mädchen und teamfähigen Frauen überflügelt. Gehören gar die patriarchalen Verhältnisse bereits der Vergangenheit an?
Um das Verhältnis der Geschlechter wieder gerechter zu gestalten, haben die Regierungsparteien folgenden Passus in die Koalitionsvereinbarung aufgenommen: »Wir wollen eine eigenständige Jungen- und Männerpolitik entwickeln und bereits bestehende Projekte für Jungen und junge Männer fortführen.« Zuständig für die Gleich­stellung ist das Bundesministerium für Senioren, Frauen und Jugend, dessen Umbenennung in »Bundesministerium für Senioren, Frauen, Männer und Jugend« nur eine Frage der Zeit sein dürfte. Jenseits des Gendermainstreamings, das längst eine explizite Frauenförderung abgelöst hat, Vätermonaten und der geplanten »Herdprämie« sollen hier die neuen Fachreferate entstehen. Wie eine eigenständige Jungen- und Männerpolitik aussehen kann und soll, ist allerdings dem Pressereferenten des Ministeriums, Marc Kinert, zufolge »noch unklar«. Es müsse umorganisiert und zusammengefasst werden, um ein stärkeres Gewicht auf die Gleichstellung von Jungen und Männern legen zu können.
Warum es überhaupt so weit kommen musste, erklärt Kristina Köhler (CDU), die neue Familienministerin, in einem Interview mit der Welt am Sonntag. »Werden vielleicht zu viele Schmetterlinge gemalt und zu wenige Ritterburgen«, fragt sie rhetorisch und meint wohl damit, dass die Bedürfnisse von Jungen nicht erfüllt würden, da in Kindergärten, Vorschulen und Grundschulen vorwiegend Frauen arbeitetewn. Sie fordert: »Wir müssen uns daher Gedanken machen, wie wir es schaffen können, dass mehr Männer diese Berufe ergreifen. Das gilt auch für die Grundschulpädagogik: Wir müssen schauen, ob sie nicht zu sehr auf Mädchen ausgerichtet ist.«

Der Mangel an männlichen Bezugs- und Identifikationspersonen während ihrer Erziehung sei schuld daran, wenn Jungs die Schule abbrechen oder schlechte Noten bekommen. Darüber, warum überproportional viele Frauen in den vergleichsweise gering geschätzten und schlecht bezahlten erzieherischen und pflegerischen Berufen anzutreffen sind und sich dies trotz der guten Noten von Mädchen nicht ändert, wird hingegen nicht diskutiert.
Nicht gleich von Schmetterlingen, aber von »feminisierten Angeboten«, die nicht die besonderen Bedürfnisse von Jungen berücksichtigten, spricht Anja Stiedenroth, Mitarbeiterin der familienpolitischen Sprecherin der »Linken«. Dass Mädchen und Jungen gänzlich unterschiedliche Dinge brauchen, scheint sie keineswegs in Frage zu stellen. Immerhin hält sie die geringe Attraktivität der erzieherischen Berufe für ein Problem. »Schon in der letzten Legislaturperiode hat die ›Linke‹ Anträge gestellt, um die erzieherischen Berufe aufzuwerten und das Spektrum an Weiterbildungen zu vergrößern«, sagt Stiedenroth.
Jürgen Budde, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Zentrum für Schul- und Bildungsforschung der Universität Halle, arbeitet schon länger an pädagogischen Konzepten für Jungen. Als Gründe dafür, dass auch die konservativ-liberale Regierung Jungen- und Männerpolitik betreiben will, nennt er antifeministische Tendenzen, engagierte Väterrechtsgruppen und einen Wandel in der Verteilung der Privilegien.

»Männlichkeit ist nicht mehr gleichbedeutend mit Hegemonie«, sagt Budde und spricht sich für eine spezifische Jungenförderung aus. Zum einen würden Jungen in den schulischen Leistungen von den Mädchen übertroffenen, zum anderen seien aber nach wie vor die traditionellen Bilder von Männlichkeit vorherrschend, was etwa dazu führe, dass Jungen und Männer häufiger Drogen konsumierten. Im Gegensatz zum Bundesjugendkuratorium, einem Sachverständigengremium der Bundesregierung, sieht Budde keinen »individuellen Unterstützungsbedarf«, da »dies nicht automatisch zu einer Pluralisierung von Geschlechterbildern führt«. Als Teil einer Geschlechterpolitik will er die Jungenförderung verstanden wissen, die pädagogisch an den persönlichen Entscheidungen der Jungen ansetzt und politisch Bilder von Männlichkeit verändern will.
Vermeintlich männliche Eigenschaften wie Aggressivität und die Unfähigkeit, über Gefühle zu sprechen, passen nicht mehr recht zu einem modernen Männerbild. Denn gefragt ist der flexible, unternehmerische, aber auch emotionale Mann. Die Politik wünscht sich noch dazu Familienväter, die kräftig in der Kindererziehung mithelfen. Um das häufig so genannte weibliche Humankapital besser verwerten zu können, sollen auch Männer Beruf und Familie vereinbaren können. In diesem Sinne führt Köhler die Politik ihrer Vorgängerin Ursula van der Leyen (CDU) weiter und sagt: »Dabei fällt es auch Männern oft schwer, Beruf und Familie unter einen Hut zu bekommen. Wenn es um flexiblere Arbeitszeiten geht oder mehr Rücksicht auf familiäre Verpflichtungen, haben es ­Väter in den Unternehmen oft sogar schwerer als Mütter.«

Auch die FDP, die die Familie als »Deutschlands wichtigstes Zukunftsunternehmen« bezeichnet, will die Arbeitzeiten »flexibler gestalten« und die »wirtschaftliche und soziale Leistungsfähigkeit der Familie« vergrößern. Deshalb heißt Familienpolitik bei den Liberalen bereits »Familienmanagement« und bezeichnet sich die FDP-Politikerin Miriam Gruß folgerichtig als »Familienmanager«, eine Tätigkeit, die bei den anderen Parteien noch ganz altmodisch unter der Bezeichnung »familienpolitische Sprecherin« geführt wird. Ganz individuell und zwanglos, aber bitte effizient, soll die Familie geführt werden und kompetente Kinder für den Arbeitsmarkt produzieren.