Über Guttenberg und die Kunduz-Affäre

Subjektiv bombardieren

Im Zuge der Kunduz-Affäre setzt sich Verteidigungsminister Guttenberg auch für die »Rechtssicherheit« der deutschen Soldaten ein. Der Sicherheit afghanischer ­Zivilisten ist das nicht zuträglich.

Die Afghanen sollen »ihre eigene Verantwortung übernehmen können, ohne fremde Truppen, ihrer Kultur entsprechend«. Es sei falsch gewesen, »ein westliches Kulturgut einfach impor­tieren« zu wollen. Wie die afghanische Gesellschaft »ihrer Kultur entsprechend« auszusehen habe – je nach Machtverhältnissen womöglich eine Mischung aus Tugendterror der Taliban, Korruption und Clanherrschaft? –, musste Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) vorige Woche als Gast von Maybrit Illner im ZDF nicht ausführen. Dass die Einwohner des Landes anscheinend nicht in den Genuss der Vorzüge eines säkularen, demokratischen Staatswesens kommen sollen, sorgte nicht für Widerspruch. Man war sich einig, als der Bundesverteidigungsminister postulierte: »Eine West­minster-Demokratie wird es dort nicht geben.«
Etwa 70 getötete afghanische Zivilisten werden wegen der Bundeswehr nicht mehr erfahren, ob Guttenbergs Zukunftsvision wahr wird. Im September ließ die deutsche Truppe sich in der Nähe von Kunduz zwei Tanklastzüge stehlen und diese anschließend kurzerhand mitsamt der umstehenden Menschenmenge bombardieren. Offenbar erfolgte der Angriff nicht zum Schutz deutscher Soldaten, sondern galt anwesenden Taliban-Kommandeuren – ohne Rücksicht auf Zivilisten und auf einen noch lebenden Fahrer des Lastzugs. Wann wussten die Bundesregierung, Guttenberg und die Opposition von den toten Zivilisten und dem tatsächlichen Angriffsziel? Nach Aussagen des entlassenen Bundeswehr-Generalinspekteurs Wolfgang Schneiderhan verfügte Guttenberg über alle wesentlichen Informationen, als er den Angriff als angemessen beurteilte. Seit Anfang November wisse sogar die Opposition durch den Isaf-Bericht, dass auch Taliban Ziel der Bomben gewesen seien, konterte Guttenberg seinen Kritikern Sigmar Gabriel (SPD) und Jürgen Tritting (Grüne). Was der Wahrheit entspricht, wird der mittlerweile eingesetzte Untersuchungsausschuss so gut klären, wie es solche Gremien für gewöhnlich tun.
Auffällig ist die unverbrüchliche Treue, die der Verteidigungsminister Oberst Georg Klein entgegenbringt, der die Bombardierung angeordnet hatte. Gilt diese offiziell mittlerweile als »militärisch nicht angemessen«, hat Klein dennoch Guttenbergs »volles Verständnis«, denn der Soldat sei »subjektiv von der militärischen Angemessenheit seines Handelns ausgegangen«. Der Minister werde »Oberst Klein nicht fallen lassen«. Dabei bevorzugte es Klein, entgegen den Einsatzvorschriften der Isaf, für Situationen, in denen Zivilisten gefährdet werden könnten – »Manchmal ist Nichtstun die beste Reaktion« –, Aufständische »vernichten« zu lassen, wie er es in einer Meldung formulierte.
Der Minister steht nicht nur zu seinem Oberst. Er betont zudem, man müsse »den Soldaten den Rücken stär­ken«. Dies tut er nicht nur symbolpolitisch wie mit seinem »Blitzbesuch« vergangene Woche. Größere »Rechtssicherheit« sollen die Soldaten für den Fall des Einsatzes ihrer Waffen erhalten, es sei für sie »nur schwer nachvollziehbar, wenn sie trotz mandatskonformen Verhaltens mit strafrechtlichen Verfahren rechnen müssten«.
Konformes Verhalten kann eine sehr subjektive Sache sein, wie man dank Guttenberg weiß. Die Aussicht auf größeren Schutz vor Strafverfahren dürfte jedenfalls die Hemmung der Soldaten, ihre Waffen zu gebrauchen, nicht gerade senken. Doch wenn die Deutschen es den Afghanen schon zumuten wollen, statt in einer Demokratie westlichen Vorbilds in einer Gesellschaft »ihrer Kultur entsprechend« leben zu müssen, dann sollten diesen wenigstens Beschuss und Bombardierungen erspart bleiben.