Keine Ahnung für alle!
Für Gebraucher illegalisierter Rausch- bzw. Genussmittel, also »Drogen«, ergibt sich ein erhebliches gesundheitliches Risiko aus der Tatsache, dass solche Produkte keiner Qualitätskontrolle unterliegen. Damit verfügen Drogengebraucher über keine zuverlässigen Informationen über die Art der Inhaltsstoffe und deren Dosierungen. Dies führt regelmäßig auch zu tragischen Schadensfällen.
2007 wurden im Raum Leipzig mit Blei gestreckte Hanfprodukte gehandelt, was zu zahlreichen teils schwersten Bleivergiftungen unter Hanfgebrauchern geführt hat. Die deutsche Bundesregierung äußerte erst auf erheblichen öffentlichen Druck zu dieser Massenintoxikation ihre Einschätzung, dass ein gesonderter Hinweis auf die zusätzliche Gefährlichkeit von verunreinigtem Cannabis als Verharmlosung des Konsums von Cannabis an sich missverstanden werden könne. Und die damalige Bundesdrogenbeauftragte Sabine Bätzing (SPD) ließ verlautbaren, dass eine geeignete Strategie, die gesundheitlichen Risiken des Konsums von verunreinigtem Cannabis zu vermeiden, darin bestehe, auf den Konsum von Cannabis überhaupt zu verzichten.
Das häufigste Streckmittel für Kokainpulver ist nach Angaben des Drugchecking-Projekts von Streetwork Zürich das wegen seiner nierenschädigenden und euphorisierenden Wirkung vom Markt genommene Schmerzmittel Phenacetin. Zudem finden die Schweizer Drugchecker derzeit in 50 Prozent der von ihnen untersuchten Kokainproben das als Mittel gegen Fadenwürmer entwickelte Levamisol. Kokainpulver werden auch oft mit synthetischen Lokalanästhetika gestreckt, was zu vielen Todesfällen unter Spritzdrogengebrauchern führt. 1995 hat das Gerichtsmedizinische Institut der Berliner Charité bei 59 so genannten Drogentoten in Berlin diese Zusätze als Todesursache festgestellt.
Fatal wirkt sich auch der schwankende Opiatgehalt im auf dem Schwarzmarkt gehandelten Heroin aus. Ist er unerwartet hoch, kommt es zu tödlichen Überdosierungen. Als in Bremen 1997 an wenigen Tagen fünf Junkies an hochdosiertem Heroin starben, ermöglichten Politik und Justiz für die Dauer von zehn Tagen die Untersuchung von Heroin. Damals forderte die Bremer Gesundheitssenatorin Christine Wischer (SPD) eine Gesetzesänderung auf Bundesebene, um solche Analysen zu ermöglichen. Stattdessen hat dann die rot-grüne Bundesregierung bei einer Novellierung des Betäubungsmittelgesetzes im Jahr 2000 Substanzanalysen in Drogenkonsumräumen (Druckräumen) explizit untersagt, um klarzustellen, dass solche Einrichtungen nicht der aktiven Unterstützung des Drogenkonsums dienen.
Bei als Ecstasy gehandelten Tabletten kommt es gelegentlich zu gesundheitlichen Problemen, weil hochproblematische Substanzen wie Atropin, Methamphetamin oder das Amphetaminderivat PMMA zu Pillen verpresst werden. Bei einem Treffen der Trans European Drug Information Group (TEDI) im Juni 2009 in Edinburgh wurde von den Vertretern der europäischen Drugchecking-Projekte festgestellt, dass in über 80 Prozent der untersuchten Ecstasy-Proben der klassische Ecstasy-Wirkstoff MDMA gar nicht enthalten war, sondern m-CCP (meta-Chlorphenylpiparazin), das synthetisch hergestellte Stoffwechselprodukt der Antidepressiva Trazodon bzw. Nefazodon. Welche Risiken mit m-CCP als Partydroge einhergehen, ist weitgehend unerforscht. Konsumenten berichten von Übelkeit, Atem- und Kreislaufproblemen sowie unangenehmen psychischen Nachwirkungen. Möglicherweise um der durch m-CPP bedingten Übelkeit entgegenzuwirken, mischen die Hersteller einem Teil dieser Pillen die den Brechreiz hemmenden Arzneistoffe Metoclopramid oder Domperidon bei, die ihrerseits gefährliche Neben- und Wechselwirkungen auslösen können.
Neben den akuten gesundheitlichen Risiken, die von unerwarteten, zum Teil hochproblematischen Substanzen oder Überdosierungen ausgehen, behindert das Unwissen über die Zusammensetzung die Entwicklung eines eigenverantwortlichen Umgangs mit möglichen Risiken. Denn nur wer weiß, was in welcher Menge in seiner Droge enthalten ist, kann sein Konsumverhalten entsprechend anpassen und Risiken gezielt vermeiden. Zudem ermöglicht das Wissen über die genaue Zusammensetzung der Droge eine bessere Reflexion der erlebten Drogenwirkungen, und dies ist eine wesentliche Voraussetzung, um den Drogengebrauch selbständig kontrollieren zu können.
Dies zu ermöglichen, ist ein wesentliches Ziel von Drugchecking, der qualitativen und quantitativen Analyse von illegalisierten Substanzen. In Berlin wurde die Methode 1995 bis 1996 von dem Verein Eve & Rave in Zusammenarbeit mit dem gerichtsmedizinischen Institut der Charité vor allem bei Partydrogen erfolgreich durchgeführt. Da das Projekt vom damaligen Berliner Senat aus CDU und SPD nicht erwünscht war, wurde es mit Polizeigewalt beendet: Der Durchsuchung der Vereinsräume folgten zwei Razzien im gerichtsmedizinischen Institut, Unterlagen wurden beschlagnahmt und Vereinsmitglieder wegen angeblich illegalem Besitz von Betäubungsmitteln angeklagt. Allerdings konnte die Anklage in zwei Instanzen abgewehrt werden. Damit ist die Legalität des Berliner Drugchecking-Verfahrens gerichtlich festgestellt.
Trotzdem wurde Drugchecking, mit Ausnahme von Schnelltests mit begrenzter Aussagekraft, die von einigen Szene-Initiativen worden, in Deutschland nie wieder aufgenommen, weil die Politik dies stets zu verhindern wusste. Nach der Bundestagswahl 1998 und der Bildung einer rot-grünen Bundesregierung kam es zwar bald zu intensiven Gesprächen zwischen Vertretern des zunächst von den Grünen geführten Gesundheitsministeriums und Präventionsinitiativen, doch verliefen sie im Sande. Mit der Übernahme des Ressorts durch die SPD wurden sie ganz beendet.
Im europäischen Ausland hingegen kam es zur Bildung zahlreicher staatlich geförderter Drugchecking-Projekte: Heute wird in der Schweiz, in Österreich, Spanien, Belgien, Portugal und in 30 Städten in den Niederlanden Drugchecking durchgeführt. All diese Europäischen Projekte sind in der TEDI miteinander vernetzt, unter anderem mit dem Ziel, eine gemeinsame Datenbank von Analyseergebnissen zum Zweck der Gesundheitsförderung aufzubauen.
Die EU hat eine Studie zu den Wirkungen des Drugcheckings unterstützt. Die Ergebnisse decken sich weitgehend mit Forschungsergebnissen aus der Schweiz und Australien: Drugchecking ist ein effektives Instrument der Gesundheitsförderung für Drogengebraucher und verführt abstinent lebende Menschen nicht, Drogen zu konsumieren. Letzteres ist immer noch das absurde Totschlagargument der deutschen Bundesregierung, wie aus der Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage der Bundestagsfraktion »Die Linke« im Mai hervorgeht.
Ein anderes Scheinargument der Gegner des Drugcheckings ist, dass Drugchecking nicht dem Sinn und Zweck des deutschen Betäubungsmittelgesetzes entspreche, nämlich den Missbrauch von Betäubungsmitteln zu bekämpfen. Dem stehen allerdings die Berliner Gerichtsentscheidungen entgegen, und Prof. Cornelius Nestler, der so etwas wie der Papst des deutschen Betäubungsmittelrechts ist und der auch einer der Verteidiger im Verfahren gegen Eve & Rave war, hat dieser Einschätzung auf einer Berliner Fachtagung im November 2008 widersprochen. Zudem hat der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages in diesem Jahr eine umfassende Studie zu den rechtlichen Implikationen des Drugcheckings erstellt, in der mehrere derzeit legal mögliche Verfahren skizziert wurden.
Gegen die politischen Widerstände auf Bundes- und Landesebene hat sich in Berlin und Brandenburg eine Initiative aus Drogenhilfeträgern, Aidshilfe, Szenevereinen und der Politik (Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg, Bündnis 90/Die Grünen und »Die Linke«) mit dem Ziel formiert, Drugchecking in Deutschland wieder einzuführen. Auch in anderen deutschen Städten, wie etwa in Frankfurt am Main, gibt es solche Bestrebungen.
Das Drugchecking wieder aufzunehmen, hätte für die Berliner Gerichtsmediziner die ganz konkrete Konsequenz, dass gefährliche Beimengungen wieder vorbeugend im Stoff aufgespürt werden könnten und nicht, wie seit der Polizeirazzia 1996, nur noch in Leichen.
Der Autor lehrt als Pharmazeut an der Freien Universität Berlin, ist Vorstand von Eve & Rave Berlin und Mitarbeiter der Drugchecking-Initiative Berlin-Brandenburg. Weitere Infos zum Thema: