Der Anti-Terror-Paragraf im Außenwirtschaftsgesetz

Schenken ist strafbar

Im Außenwirtschaftsgesetz ist ein Anti-Terror-Paragraf versteckt. Erstmals wird im Frühjahr gegen Personen verhandelt, die dagegen verstoßen haben sollen.

Für deprimierte Strafverfolgungsbehörden, denen die Verfolgung vermeintlicher terroristischer Vereinigungen in der Vergangenheit nicht ertragreich genug war, besteht neue Hoffnung. In dem im Frühjahr vor dem Oberlandesgericht (OLG) in Düsseldorf beginnenden Prozess gegen mutmaßliche Mitglieder der türkischen DHKP-C stützt sich die Anklage der Bundesanwaltschaft erstmalig auf einen vermeintlichen Verstoß gegen den Paragrafen 34 Außenwirtschaftsgesetz (AWG) in Verbindung mit der sogenannten EU-Terrorliste.

Cengiz O. und weitere Personen sind angeklagt, weil sie unter anderem Spenden gesammelt und die finanzielle Unterstützung gefangener Mitglieder der DHKP-C organisiert haben sollen. Da die Gruppierung auf der EU-Terrorliste steht, soll ihren Unterstützern der Prozess gemacht werden. Die ebenfalls in der Anklage behauptete Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland gemäß Paragraf 129 b Strafgesetzbuch ist da schon fast Nebensache.
Zumindest aus der Sicht der Verteidigerinnen ist es der mit dem Außenhandelsparagrafen begründete Teil der Anklage, der eine neue Qualität eines politischen Feindstrafrechts darstellt – das zudem künftig auch als probate Handhabe gegen linke Bewegungen in­strumenta­lisiert werden könnte. »Wir befürchten, dass hier ein neues Mittel der Kriminalisierung unliebsamer politisch tätiger Menschen erprobt werden soll, das kaum mehr juristischer Kontrolle unterliegt«, sagt die Hamburger Rechtsanwältin Britta Eder, eine der Verteidigerinnen im anstehenden Verfahren vor dem OLG Düsseldorf.
Der Paragraf 34 AWG bestraft jeden Verstoß gegen wirtschaftliche Sanktionsmaßnahmen der EU oder der Vereinten Nationen. Und die in der EU-Terrorliste aufgeführten Einzelpersonen oder Organisationen – wie die DHKP-C – unterliegen zahlreichen solcher Sanktionen. Seit den Anschlägen des 11. September 2001 wird diese Liste in regelmäßigen nichtöffentlichen Sitzungen des EU-Ministerrats im Konsensverfahren aktualisiert.
Je rund 50 Einzelpersonen und Organisationen sind in den vergangenen Jahren in die EU-Terrorliste aufgenommen worden, mit den entsprechenden Konsequenzen. Selbst ein vom EuropaRat eingesetzter Sonderermittler, Dick Marty, sprach in einer Stellungnahme von 2007 von einer »zi­vilen Todesstrafe«, er habe selten »etwas so Ungerechtes erlebt wie die Aufstellung dieser Listen«.
Als der Big Brother Award 2008 in der Kategorie »Europa/EU« für jene Terrorliste an den EU-Ministerrat vergeben wurde, schilderte Rolf Gössner in seiner Laudatio anschaulich die Folgen einer Aufnahme für Einzelpersonen: »Sie wurden nicht verständigt, sondern erfuhren davon, wenn sie etwa eine Grenze überschreiten oder über ihr Bankkonto verfügen wollten. Es gibt keine Anklage, keine offizielle Benachrichtigung, kein recht­liches Gehör, keine zeitliche Begrenzung und kein Rechtsmittel gegen diese Maßnahme.« Das Privatvermögen der Betroffen wird gesperrt, der Zugriff auf Konten und Kreditkarten unterbunden, Bargeld beschlagnahmt. Zudem dürfen die vermeintlichen Terroristen keine Arbeitsentgelte, keine finanzielle Unterstützung von Privatpersonen, aber auch keinerlei staatliche Sozialleistungen mehr erhalten. Komplettiert werden die Maßnahmen durch den Entzug des Passes und Ausreisesperren.
Der Liste zugrunde liegen überwiegend Erkenntnisse von Geheimdiensten und interne sicherheitspolitische Lagebeurteilungen der Mitgliedsstaaten. In der Konsequenz werden geheime bzw. nichtöffentliche Erkenntnisse für den ebenfalls nichtöffentlichen Unterausschuss des Ministerrats zum Anlass für Grundrechtsverletzungen. Eine juristische Kontrolle findet nicht statt. Faktisch hängt die Strafbarkeit einer Person von unter Umständen in regelmäßigen Abständen wech­selnden Beschlüssen des EU-Ministerrats ab.

Für das bevorstehende Verfahren findet die ebenfalls verteidigende Bonner Rechtsanwältin Anni Pues deutliche Worte: »Mit einem derartigen Anklagekonstrukt obliegt es nicht mehr dem nationalen Strafgericht zu beurteilen und zu überprüfen, ob es sich bei einer Organisation tatsächlich um eine terroristische Vereinigung handelt.« Diese Entscheidung werde vielmehr durch die grund- und menschenrechtlich höchst fragwürdige Aufnahme der Organisation in die EU-Terrorliste vorweggenommen und somit einer effektiven gerichtlichen Kontrolle entzogen.
Die Aufnahme in die EU-Terrorliste hat nicht nur Auswirkungen für die betreffenden Einzelpersonen bzw. die vermeintlichen Mitglieder der Organisationen. Auch staatliche Institutionen, Geschäftspartner, Arbeitgeber und Privatpersonen machen sich strafbar, wenn sie in einem irgendwie gearteten geschäftlichen Kontakt zu den Gelisteten stehen bzw. ihnen Geld zukommen lassen. Ein vorsätzlicher Verstoß gegen die Sanktionen ist dabei keine Bedingung. Vielmehr ist man verpflichtet, selbst sicherzustellen, dass man nicht im geschäftlichen Kontakt mit den vermeintlichen Terroristen steht. Das hat dazu geführt, dass sich Behörden und Unternehmen mittlerweile einer Spezialsoftware bedienen, die die Daten von Kunden, Lieferanten und Angestellten mit der aktuellen EU-Terrorliste abgleicht, um sich vor Strafverfolgung zu schützen.

In der Bundesrepublik wird die Strafverfolgung bei Verstößen gegen die Sanktionsmaßnahmen durch den Paragrafen 34 AWG geregelt. Bei Fällen wie dem, der beim OLG Düsseldorf ansteht, können immerhin Strafen von zwei bis 15 Jahren verhängt werden. Sollte sich die Bundesanwaltschaft mit dem Konstrukt durchsetzen können, hätte dies bei dem entsprechenden politischen Willen womöglich auch Auswirkungen auf politische Solidaritätsarbeit. Danach könnte jede zum Bestreiten der Prozesskosten eines Gelisteten veranstaltete Solidaritätsparty kriminalisiert werden. Dabei käme es noch nicht einmal darauf an, ob bei einer solchen Veranstaltung tatsächlich ein Erlös erzielt würde, denn schon der Versuch ist strafbar. Wegen der vergleichsweise hohen Strafandrohung stünde den Verfolgungsbehörden zudem zumindest im Anfangsstadium eine Vielzahl an strafprozessualen Maßnahmen der Überwachung zur Verfügung.
Für die im Düsseldorfer Verfahren engagierten Rechtsanwältinnen hat die Rechtslage schon jetzt gravierende Auswirkungen. So darf Britta Eder, solange sie als Vertrauensanwältin ihres Mandanten nur ein Wahlmandat innehat, keinerlei Honorare für ihre Arbeit entgegennehmen, da auch sie sich sonst strafbar machen würde. Ähnlich ist es sogar bei den Angehörigen der Angeklagten. Um den inhaftierten Verwandten Weihnachtspakete schicken zu können, mussten sie eine Sondergenehmigung einholen. Ansonsten hätten auch sie sich des Verstoßes gegen den Paragrafen 34 AWG schuldig gemacht. Weihnachtspakete stellen eine »geldwerte Leistung« dar – und fallen somit unter die EU-Sanktionsmaßnahmen.