Walter Baiers Buch über die Geschichte des Kommunismus in Österreich

Traditionsreicher Parteikommunismus

Walter Baier zeichnet in seiner Studie zur Entwicklung des Kommunismus in Österreich die Verwicklung der KPÖ in den Stalinismus nach. Einer Auseinandersetzung mit dem linken Antisemitismus weicht der Autor jedoch aus.

Die KPÖ ist die drittälteste kommunistische Partei der Welt. 1918 gegründet, dümpelte sie in den zwanziger Jahren im Schatten der austromarxistischen SPÖ vor sich hin, entwickelte sich aber nach der Niederlage der Sozialisten gegen die Austrofaschisten 1934 und der Kapitulation der Sozialdemokratie vor dem Nationalsozialismus zu einer Massenpartei. Nach ihrer zentralen Rolle im Widerstand gegen die Nazis vereinte die KPÖ 1945 über 100 000 Mitglieder, gehörte zu den Mitbegründern der Zweiten Repu­blik in Österreich und war zeitweilig in der Regierung und bis 1959 im Nationalrat vertreten. Bei den letzten Parlamentswahlen 2008 erhielt sie 0,8 Prozent bei einer Mitgliederzahl von etwa 2500. Dazwischen liegt die Geschichte eines 50jährigen, weitgehend selbst verschul­deten Niedergangs.
Walter Baier, von 1994 bis 2006 Vorsitzender der KP und heute für die europäische Linkspartei als Koordinator des Bildungsnetzwerks Transform aktiv, hat die Geschichte seiner Partei aufgeschrieben, der er seit Beginn der siebziger Jahre angehört. Nachdem die letzte derartige Darstellung unter Leitung des stalinistischen Parteiideologen Ernst Wimmer erstellt und 1987 publiziert worden ist, leistet Baier einen wichtigen Beitrag zur österreichischen Zeithistorie und zur Geschichte der Linken. Zur Geschichte hat die KPÖ trotz ihrer jahrzehntelangen Marginalisierung Entscheidendes, wenn auch mitunter Zweifelhaftes beigetragen, etwa durch die während des Zweiten Weltkriegs entwickelte Theorie der österreichischen Nation, die bei Baier unverständlicherweise weiterhin ganz in der Tradition des parteikommunistischen Antifa-Patriotismus als »Sternstunde des österreichischen Kommunismus« firmiert, durch ihre Rolle bei den Oktoberstreiks 1950, die von sozialdemokratischen und konservativen Historikern gerne als »kommunistischer Putschversuch« dargestellt werden, durch ihre Vorwegnahme eurokommunistischer Konzeptionen Mitte der sechziger Jahre oder durch ihre Rolle bei den Handelsbeziehungen mit den Ostblockstaaten.
Der Untertitel »Kommunismus in Österreich« führt allerdings insofern in die Irre, als im Buch sämtliche jenseits der KPÖ agierenden kommunistischen und linksradikalen Gruppen und Grüppchen kaum vorkommen. Gerade die Auseinandersetzung mit der Kritik eben dieser Gruppen wäre aber von Interesse gewesen, wenn der Band über die Darstellung der KP-Geschichte anhand von Parteitagen, internen Konflikten und Finanzkrisen hätte hinausgehen wollen. So fällt die Darstellung der Auseinandersetzung mit der deutschen Treuhand über das Parteivermögen, die mit einer weitgehenden Enteignung der Partei durch den deutschen Staat endete, oder auch der parteiinternen Auseinandersetzungen der letzten zehn Jahre viel zu detailliert aus, während inhaltliche Debatten, die nicht nur für KP-Insider von Interesse sind, zu knapp geraten.
Das gilt insbesondere, aber keineswegs allein für die Diskussionen über den Antisemitismus. Für die dreißiger Jahre wird das Problem des Antisemitismus bei den Anhängern der Partei noch recht deutlich thematisiert. Hilde Koplenig, die Frau des damaligen Vorsitzenden, wird mit ihrer Einschätzung von einem »latenten Antisemitismus, der wohl in allen unteren Organisationen beider Arbeiterparteien herrschte«, zitiert. Baier verweist auch darauf, dass die aus Deutschland als Parteiinstrukteurin nach Wien geschickte Grete Wilde mit »erstaunlich klarem Blick« eine deutliche Stellungnahme gegen den Antisemitismus forderte, »den sie in der Organisation vorfand«, insbesondere bei den in die Partei strömenden enttäuschten Sozialdemokraten. Baier konstatiert, dass der Antisemitismus in der Arbeiterbewegung zum einen dem Nationalsozialismus Vorschub leistete. Zum anderen legte er einen Grundstein für anhaltende Konflikte in der KPÖ, der ab 1934 einerseits sozialdemokratische Arbeiter, andererseits jüdische Intellektuelle beitraten: »Beide Gruppen bildeten zusammen die neue KPÖ, in der sich aber das zwischen ihnen bestehende Spannungsverhältnis auch in den folgenden Jahrzehnten niemals vollständig auflöste und in einem latenten Antiintellektualismus resultierte, der (…) in parteiinternen Auseinandersetzungen regelmäßig mobilisiert wurde.«
Davon ausgehend stellt Baier in einem der instruktivsten Abschnitte des Buches den Gegensatz zwischen den so genannten altkommunistischen Exilanten in Moskau und den zumeist jüdisch-intellektuellen »neukommunistischen« Parteikadern in England und anderen west­lichen Exilländern dar. Die Ignoranz gegenüber den antistalinistischen Vorstellungen der »Westler« zeichnete nach 1945 den weiteren Weg der Partei vor.
Für beide Gruppen brachte das Jahr 1945 zunächst eine Ernüchterung: »Die Korrumpierung der Gesellschaft durch den Nationalsozialismus reichte viel weiter, (…) als die heimkehrenden bzw. aus der Illegalität an die Öffentlichkeit tretenden KommunistInnen es wahrhaben wollten.« Dementsprechend erwiesen sich die Hoffnungen der Exilanten, Überlebenden und Widerstandskämpfer auf einen wirklichen Bruch und Neubeginn in Österreich als völlig ­illusionär. Derartige Illusionen hatten die KP-Aktivisten während der Jahre des erbitterten Kampfes gegen die Nazis vor allem auf Grund faschismustheoretischer Defizite und einer ebenso ­naiven wie oft tödlichen Ignoranz gegenüber den eigenen Erfahrungen mit der massenhaften Unterstützung des nationalsozialistischen Vernichtungsprojekts gehegt. Bei seiner verdienstvollen Darstellung der Rolle parteikommunistischer Aktivisten im europaweiten Kampf gegen den Nationalsozialismus verfällt Baier immer wieder in eben jene traditionslinke Terminologie, welche die demokratisch legitimierte, im wahrsten Sinne des Wortes national-sozialistische Volkserhebung der Deutschen und Österreicher als »faschistische Diktatur« missversteht.
Nicht wenige Österreicher, die vor dem NS-Regime in die Sowjetunion geflohen waren, fielen dort dem Stalinismus zum Opfer. Baier räumt mit der gängigen Vorstellung auf, dass unter den österreichischen Opfern des sowje­tischen Stalinismus die 1934 emigrierten sozialdemokratischen Schutzbündler die größte Gruppe gewesen sei, und verweist auf die über 2000 jüdischen österreichischen Flüchtlinge aus den Jahren 1938 bis 1940, die in ihrem Exilland von den Stalinisten ermordet wurden.
Die Parteigänger einer derart barbarischen Form des Sozialismus innerhalb der KPÖ etikettierten in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg ihre parteiinternen Widersacher als »liberale Kommunisten und kommunistische Liberale«, wohingegen Exponenten eines dem Selbstverständnis nach »humanistischen So­zialismus« wie Theodor Prager hinsichtlich der KPÖ selbstkritisch anmerkten, dass »ein Schuss der Tradition der bürgerlichen Aufklärung uns nicht schlecht tun würde«. Der endgültige Bruch kam 1968, nachdem die Partei zunächst den Einmarsch der Truppen des Warschauer Paktes in die Tschechoslowakei verurteilt hatte, diese Verurteilung bald darauf aber nach heftigen parteiinternen Debatten zurücknahm. Es folgten zahlreiche Ausschlussverfahren und Austritte. Die Partei verlor etwa ein Drittel ihrer Mitglieder und fast alle prominenten Intellektuellen.
Zur Abrechnung mit dem darauf folgenden Dogmatismus kam es in der Partei erst 35 Jahre später. Dem vorausgegangen war eine partielle Öffnung der Partei für undogmatische Strömungen der Linken als Reaktion auf den Zusammenbruch des poststalinistischen Realsozialismus, in deren Folge selbst eine an Marx und der Kritischen Theorie orientierte Gesellschaftskritik in den neunziger Jahren nicht nur in der Zeitschrift des Kommunistischen Studentenverbandes Einzug hielt, sondern auch im traditionsreichen Theorieorgan Weg und Ziel und der damals als Wochenzeitung erscheinenden Volksstimme deutliche Spuren hinterließ, was in Baiers Darstellung allerdings keine Erwähnung findet. Der von ihm selbst forcierte und dementsprechend auch so charakterisierte »Bruch mit dem Dogmatismus« im Jahr 2004 ging dann wohlgemerkt nicht mit einer Rückbesinnung beispielsweise auf die Marxsche Kritik der po­litischen Ökonomie, sondern mit einer Sozialdemokratisierung der Partei einher, die heute Mitglied der europäischen Linken ist und sich am Genörgel über die »Giftküche der neoklassischen Ökonomie« oder eine »aggressive Militärstrategie« der USA ebenso beteiligt wie an der Mobilisierung gegen die Befreiung des Irak von Saddam Hussein oder gegen die militärische Selbstbehauptung Israels.
Einer Kritik oder auch nur Thematisierung des Antizionismus der KPÖ weicht Baier aus. Der zeitweise rabiate Antizionismus der Partei, bei dem in den siebziger Jahren Österreich ganz im Sinne der nationalen Ausrichtung der KP als »Opfer zionistischer Kampagnen« gesehen wurde und sich die Volksstimme folgerichtig gegen »zionistische Menschenschmugglerzentralen« auf heimischen Boden wandte, als es um die Schließung des Durchgangslagers Schönau für jüdische Flüchtlinge aus der Sowjetunion ging, wird erst gar nicht erwähnt. Die Auseinandersetzungen über den Antisemitismus und die Positionierungen gegenüber der stalinistischen Judenfeindschaft spielen in der Gesamtdarstellung nur eine untergeordnete Rolle. Die Schauprozesse in der Tschechoslowakei, Ungarn, der Sowjetunion und Bulgarien, denen lediglich eine »antisemitische Note« oder »antisemitische Töne« attestiert werden, obwohl sie von vornherein als antisemitische Tribunale konzipiert waren, finden ebenso nur als Randnotiz Erwähnung wie die vehemente Verteidigung der realsozialistischen Parteiführungen gegen den Vorwurf des Antisemitismus seitens der KPÖ. Immerhin wird die Konsequenz des Leugnens des Antisemitismus bei der sta­linistischen Gleichschaltung Osteuropas in einem Bereich angedeutet: Nach dem Zweiten Weltkrieg gewann die KPÖ die Wahlen zur Vertretung der Israelitischen Kultusgemeinde, und David Brill wurde ihr erster Präsident. Baier erwähnt, wie die KPÖ durch ihre Leugnung des stalinistischen Antisemitismus »in der jüdischen Öffentlichkeit einen großen Teil der Autorität verlor, die sie sich im Widerstand und nach der Befreiung erworben hatte«.
Andere in diesem Zusammenhang zentrale Ereignisse fehlen hingegen völlig, beispielsweise der so genannte Bad Ischler Milchprozess 1947, in dessen Verlauf sich die KPÖ vehement für Demonstranten einsetzte, die sich an Protesten und Ausschreitungen gegen meist jüdische »Displaced Persons« (DP) beteiligt hatten. Die Parteizeitung beglückte die postnazistische Öffentlichkeit damals mit Berechnungen, die den Österreichern aus der Propaganda des »Dritten Reichs« durchaus vertraut vorgekommen sein müssen: »460 Tageskalorien des Arbeiters essen die DP.« Auch die Rolle, welche die heftigen parteiinternen Debatten über das massive Vorgehen gegen Juden in Polen im Jahr 1968 für den Bruch in der Partei und die spätere Austritts- und Ausschlusswelle gespielt haben, findet keine Erwähnung.
So verdienstvoll einzelne Abschnitte des Bandes zur Aufarbeitung der Geschichte der bolschewistischen und stalinistischen Linken auch sein mögen, zu einer Neuformierung einer emanzipatorischen Kraft wird eine derartige Geschichtsschreibung, die einer ernsthaften Auseinandersetzung mit dem antisemitischen Gehalt linker Theorie und Praxis ausweicht und gegen den Stalinismus stets nur modernisierte Formen des Sozialdemokratismus in Anschlag zu bringen weiß, kaum etwas beitragen können.

Walter Baier: Das kurze Jahrhundert. Kommunismus in Österreich. KPÖ 1918 bis 2008. Edition Steinbauer, Wien 2009, 300 Seiten, 22,50 Euro