Der Freispruch im Fall Oury Jalloh ist aufgehoben

Unser schöner Rechtsstaat

Der Bundesgerichtshof hat den Freispruch im Prozess um den Tod des Asylbewerbers Oury Jalloh aufgehoben.

Viel Feingefühl schien die Richterin am Bundesgerichtshof (BGH), Ingeborg Tepperwien, zunächst nicht zu beweisen: Die Verkündung des Urteils im Strafprozess um den Tod von Oury Jalloh legte sie auf dessen fünften Todestag. Dennoch war das Urteil für die Freunde und Angehörigen von Oury Jalloh das erste positive Zeichen des deutschen Staates. Nachdem das Landgericht Dessau den Polizisten Andreas S. im Dezember 2008 vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung freigesprochen hatte, hob der BGH dieses Urteil auf, weil es noch »wesentliche Lücken in der Beweisführung« gebe. Das Landgericht in Magdeburg wird den Fall wieder aufrollen.

Oury Jalloh war am Morgen des 7. Januar 2005 in einer Ausnüchterungszelle der Dessauer Polizei, an Händen und Füssen gefesselt, bei lebendigem Leibe verbrannt. Nach wie vor ist unklar, wie seine Matratze in Brand gesetzt wurde, da er sich selbst kaum bewegen konnte. Und warum wurde der zuständige Dienstgruppenleiter Andreas S. angeblich weder rechtzeitig durch den Feuermelder noch durch die Todesschreie von Oury Jalloh alarmiert? Seine Kollegen konnten oder wollten dazu nichts sagen.
Die Entscheidung des BGH ist zweifelsohne auch dem öffentlichen Druck und den zahlreichen Aktivitäten der Initiative in Gedenken an Oury Jalloh zu verdanken, die auf eben jene Unklarheiten und den rassistischen Hintergrund des Falls seit langem hingewiesen hatte. Jalloh war schwarz und asylsuchend, und vieles deutet darauf hin, dass das, was Andreas S. tat und unterließ, auch damit zusammenhängt. So forderte er in einem überlieferten Telefongespräch den zuständigen Arzt zu einer Blutentnahme bei dem stark betrunkenen Jalloh mit den folgenden Worten auf: »Pikste mal ’nen Schwarzafrikaner?« Der Arzt antwortete: »Ach du Scheiße. Da finde ich immer keine Vene bei den Dunkelhäutigen.« Nach einigem Gelächter sagte S.: »Na, bring doch ’ne Spezialkanüle mit!«
Bei der Polizei ist man nicht zufrieden. Nach den Worten des Vorsitzenden der Polizeigewerkschaft von Sachsen-Anhalt, Uwe Petermann, habe das Landgericht Dessau doch bereits alle Beweise berücksichtigt. Nun werde der Prozess politisch instrumentalisiert und der Polizei unterstelle man, ausländerfeindlich zu sein, sagte er dem MDR. Den viel zitierten Corpsgeist gebe es nicht: »Wenn sie jeden Tag zusammen auf Streife gehen, Gewalt erfahren gegen sich und gegen ihren Kollegen, gibt es schon einen besonderen Zusammenhalt. Das ist aber nicht das, was sie unter Corpsgeist verstehen.« Ob man es Corpsgeist nennt oder nicht – in vielen Fällen dürfte es die eigene Gewalt gegen andere sein, die eine Polizeitruppe zusammenschweißt. Die Medien sind nun voll des Lobes für den BGH. Heribert Prantl etwa fordert in der Süddeutschen Zeitung, an diesem Fall dürfe »sich nicht die Ohnmacht des Rechts, es soll sich die Macht des Rechts zeigen«. Auch in der FAZ wird das »Schweigekartell der Polizei« kritisiert. Der Prozess wird in Berichterstattung und Kommentierung zu einem Einzelfall – mit korrupten Polizisten und einem unfähigen Provinzgericht und dem BGH als Retter in letzter Minute.

Dabei ist es genau jener Rechtsstaat, der im Zweifel fast immer zugunsten der Polizisten entscheidet. Diese werden bei Gewaltvorwürfen bekanntlich nicht nur von den eigenen Kollegen, sondern gerne auch von der deutschen Justiz und der deutschen Gesellschaft insgesamt geschützt – schließlich glaubt man durchweg eher einem treuen Staatsdiener als den notorisch betrügerischen Migranten oder gewalttätigen linken Demonstranten. In Berlin etwa wurden im Jahr 2007 von 155 angeklagten Polizisten lediglich 13 verurteilt. Die Skandalisierung des Todes von Oury Jalloh in den Leitmedien verschleiert zugleich, dass Rassismus von Staatsorganen keine Ausnahme, sondern deutsche Normalität darstellt. Bei der Verübung physischer und psychischer Gewalt an Migranten können sich die Behörden zudem in vielen anderen Fällen auch auf gesetzliche Grundlagen berufen – ganz im Sinne des geliebten Rechtsstaates.