Diskriminierung von Migranten in Katalonien

Katalonien wird ausgebremst

Die Lokalregierung einer katalanischen Stadt wollte illegalisierten Migranten den Zugang zum Sozialsystem verwehren. Die spanische Regierung hat nun vorerst verhindert, was in anderen europäischen Ländern längst die Normalität ist.

Vic, eine mittelgroße Stadt im katalanischen Inland, rund 70 Kilometer von Barcelona entfernt, schaffte es in den vergangenen Wochen auf die Titelseiten vieler Zeitungen. Die Stadtverwaltung wollte dort als erste spanische Stadt illegalisierten Migranten den Zugang zum Bildungs- und Gesundheitssystem unmöglich machen.
Trotz der immer repressiveren Ausländerpolitik, die sowohl an den Außengrenzen als auch im Inland angewendet wird, haben illegalisierte Migranten in Spanien noch Anspruch auf Zugang zum Sozialsystem. Notwendig ist dafür nur die Registrierung beim Einwohnermeldeamt, die jedem offen steht, unabhängig vom Aufenthaltsstatus. Die Stadtregierung von Vic wollte nun diesen Zustand beenden. In der Stadt sollten sich zukünftig nur noch »legale« Migranten Aufenthaltsstatus anmelden dürfen. »Um die Stadt zu retten«, wie es der Bürgermeister Josep Maria Vila d’Abadal formulierte.
Das bestehende spanische Gesetz verlangt von ausländischen Bürgerinnen und Bürgern gewisse Angaben zur Anmeldung, dazu gehört jedoch nicht der Nachweis einer Aufenthaltsgenehmigung. Mancherorts reicht dafür schon eine Stromrechnung. Lange war es für Einwohnermeldeämter sogar verboten, Daten an polizeiliche Behörden weiterzugeben. Seit 2003 dürfen diese Daten von der Polizei angefordert werden, die Herausgabe geschieht aber auf freiwilliger Basis. Viele Stadtverwaltungen weigerten sich weiterhin, Kopien der Pässe von angemeldeten Migranten weiterzugeben. Die Vertretung der spanischen Nationalpolizei in Katalonien beschwerte sich über diesen »zivilen Ungehorsam«, denn ohne diese Kopien ist die Identifizierung und damit auch die Abschiebung der Migranten nicht möglich.
In Vic sind 87 Nationalitäten vertreten ein Viertel der Bevölkerung ist nicht spanischer Herkunft. Dort wurde bei den Kommunalwahlen 2007 die rechtsextreme Partei Plataforma per Catalunya (PxC) zur zweitstärksten Kraft und ist seitdem im Stadtrat mit vier Sitzen vertreten. Der Wahlerfolg der PxC löste damals unter den etablierten Parteien große Empörung aus. Die katalanischen Sozialdemokraten der PSC und die Christdemokraten der CiU betonten nach den Wahlen, dass sie nicht mit der rassistischen Plattform zusammenarbeiten würden. Nun zeigte sich, dass eine solche Zusammenarbeit auch gar nicht nötig ist. Zumindest nicht, wenn es darum geht, diskriminierende Maßnahmen gegenüber Migranten zu verabschieden, denn die umstrittene Initiative von Vic ging vom regierenden Bündnis aus, das die CiU und die PSC mit den katalanischen Linksnationalisten der ERC zusammen bilden.

In der öffentlichen Diskussion wurden die Pläne der Stadtverwaltung von Vic scharf kritisiert. Die spanische Regierung hat es bisher vermieden, den Schwerpunkt ihrer Ausländerpolitik ausschließlich auf Repression zu setzen, vor allem, was die schätzungsweise 1,5 Millionen Migranten ohne Aufenthaltsgenehmigung betrifft. Das hat vor allem pragmatische Gründe. Der wichtigste davon ist, dass ein Teil der spanischen Wirtschaft auf diese rechtlosen Arbeitskräfte angewiesen ist. Durch so genannte regularizaciones können Illegalisierte eine befristete Aufenthaltsgenehmigung bekommen, wenn sie nachweisen können, dass sie einen festen Arbeitsplatz und bereits mehrere Jahre schwarz gearbeitet haben. Zuletzt wurden auf diese Weise vor fünf Jahren fast 600 000 Menschen legalisiert. Es gibt wei­tere Möglichkeiten, die spanische Staatsbürgerschaft zu bekommen. Dafür ist jedoch der Nachweis eines mehrjährigen Aufenthalts nötig, der durch die Regis­trierung beim Einwohnermeldeamt erbracht wird. Das Vorhaben einer Stadtverwaltung, die Anmeldung nur bei Vorlage eines Visums möglich zu machen, hätte einen Präzedenzfall geschaffen. »Vic hat die Büchse der Pandora geöffnet«, hatte die Tageszeitung El Pais gewarnt, bevor die Rechtsvertretung des spanischen Staats am Donnerstag voriger Woche die geplante Maßnahme für »nicht gesetzeskonform« erklärte.
Vila d’Abadal und seine Mitstreiter fühlen sich missverstanden. Die Regelung als »fremdenfeindlich« zu bezeichnen, sei eine »absurde Ungerechtigkeit«, vielmehr wäre Vic Vorreiter in der spanischen Migrationspolitik gewesen. Man habe in Vic nur die Migrationspolitik der spanischen Regierung konsequent umsetzen wollen, die alles dafür tut, die Einreise von »Illegalen« einzudämmen, hieß es aus der Stadtverwaltung.

Tatsächlich wurde in der Diskussion die Ambivalenz der spanischen Migrationspolitik deutlich. Erst Ende vergangenen Jahres hatte die Regierung das Ausländergesetz verschärft. Unter anderem wurde die maximale Aufenthaltsdauer in den Abschiebegefängnissen von 40 auf 60 Tage erweitert. Wer in diesem Zeitrahmen nicht abgeschoben werden kann, wird freigelassen. Anders gesagt: Er landet ohne Papiere auf der Straße und bleibt bei der Arbeits- und Wohnungssuche auf mafiöse Strukturen angewiesen. Dies ist zwar besser, als Monate oder gar Jahre in einem Abschiebegefängnis zu verbringen. Jedoch beruhen die im Vergleich zu anderen europäischen Ländern liberaleren Bedingungen für Migranten in Spanien oftmals nicht auf rechtlichen Grundlagen, sondern auf halblegalen Schlupflöchern, wie auch der Fall von Vic bewiesen hat. Denn es gibt kein explizites Recht für Illegalisierte auf die Registrierung beim Einwohnermeldeamt. Die Frage nach dem Aufenthaltsstatus ist im Verfahren bloß nicht vorgesehen.
Ungeachtet dessen stellt sich die spanische Regierung nun als Verteidigerin der Menschenrechte dar. Premierminister José Luis Rodríguez Zapatero erklärte vergangene Woche während einer Pressekonferenz im Europa-Parlament in Strasbourg, dass er nicht zulassen werde, »dass es aufgrund eines Tricks einer Stadtverwaltung Menschen gibt, die auf die ärztliche Betreuung verzichten müssen oder von der Schulbildung ausgeschlossen werden«. Er betonte dabei die Verantwortung, die Spanien mit der Ratspräsidentschaft der EU innehabe.
Nur sieht es auch nicht danach aus, dass er diese Verantwortung dafür einsetzen würde, Einfluss auf andere EU-Mitgliedstaaten zu nehmen. Während in Frankreich auch Kinder von Illegalisierten auf die Schule dürfen, wurde im vergangenen Jahr in Italien ein Gesetz verabschiedet, dass illegale Migration unter Strafe stellt und – abgesehen von Ärzten und Krankenhausmitarbeitern – alle Beamten dazu verpflichtet, Illegalisierte zu melden. In Deutschland gibt es noch nicht einmal diese Ausnahme, offiziell sind alle öffentlichen Institutionen – Einwohnermeldeämter, Schulen, Krankenhäuser – angehalten, Migranten ohne Aufenthaltsgenehmigung zu denunzieren. Ein Recht auf ärztliche Versorgung oder Schulbildung haben sie nicht. Auch wenn er vorerst verhindert wurde, zeigt der Vorstoß von Vic, dass die Zukunft für Papierlose in Europa düster aussieht.