Rassismus und Homophobie an der Uni Mönchengladbach

Krank, aber nicht böse

Ein Dozent an der Hochschule Niederrhein lehrt zukünftigen Sozialarbeitern, dass Homosexualität eine Krankheit sei und in Afrika Buschmänner leben. Die Universität sieht keinen Handlungsbedarf.

Studierende der Hochschule Niederrhein in Mönchengladbach staunten nicht schlecht über das, was sie im vorigen Wintersemester im Audimax zu hören bekamen. Im Rahmen des Studiengangs »Soziale Arbeit« besuchten sie dort ein Seminar mit dem Titel »Psychiatrische und Sozialmedizinische Grundlagen«, in dem es auch um die Definition von Krankheit ging. Eine Krankheit im psychiatrischen Sinne liege vor, »wenn die Selbst- und Arterhaltung nicht in vollem Umfang ausgeübt werden können«, sagte der Dozent Wolfgang Grundl den Aufzeichnungen der Studierenden zufolge. Dies werfe die Frage auf, so soll der Dozent weiter ausgeführt haben, ob Homosexuelle nicht auch pathologisch krank seien, da sie nicht der Arterhaltung dienten. Er redete dann noch von »anderen« psychischen Störungen im sexuellen Bereich und sprach im Verlauf der Vorlesung auch von Afrika, »wo die Buschmänner leben«.

»Wir dachten anfangs an ein Missverständnis«, sagt der Vorsitzende des Asta, Dennis Gläser, im Gespräch mit der Jungle World. Die Studierendenvertretung, das Queer-Referat und Einzelpersonen suchten daraufhin das Gespräch mit Grundl, mit einem für sie erstaunlichen Ergebnis. In den Gesprächen »verlor sich der Dozent in Mutmaßungen und unwissenschaftlichem Gehetze«, hieß es in der Pressemitteilung des Asta. »Weiter verglich er Homosexuelle mit Pädo- und Nekrophilen, behauptete, Kinder trügen nach einem Missbrauch nicht zwangsläufig Schäden davon, und Schwule seien im Dritten Reich vergast worden, weil sie krank sind, Juden hingegen, weil sie ›böse‹ waren«, so die Studierendenvertretung weiter.
Die Empörung über seine Äußerungen konnte Grundl nicht verstehen. Stattdessen sagte er, er halte das Queer-Referat für »äußerst bedenklich und sehr gefährlich«, und unterstellte dem Asta eine »Blockwartmentalität«, wie dem Gesprächprotokoll zu entnehmen ist.
Nach erfolglosen Versuchen, die Universität zum Handeln zu bewegen, ging der Asta im Dezember vergangenen Jahres an die Öffentlichkeit. Die daraufhin erfolgte Stellungnahme des Dozenten Grundl bestätigt die Vorwürfe eher noch, als sie zu entkräften. Darin heißt es unter anderem: »Im Rahmen der Diskussion unterschiedlicher Krankheitsdefinitionen ist dabei en passant auch die Frage nach Homosexualität (in einer anschlie­ßenden Diskussion auch generell nach Paraphilien) aufgeworfen worden.« Jedoch sei es ein Erfolg der Aufklärung, dass »Krankheit nicht mehr mit moralischen Wertungen identifiziert« werde, schreibt Grundl in dem missglückten Versuch, sei­ne humanistische Einstellung zu beweisen. Im letzten Punkt der Erklärung wird dann auch sein völkisches Weltbild deutlich: »Auch lag es mir fern, ethnische Minderheiten (Niederbayern, Fran­ken, Buschmänner, Schweizer etc.) abzuwerten.«

Dennoch war für die Universitätsleitung der Fall damit erledigt. »Aufgrund der persönlichen Erklärung Prof. Grundls und des Evaluationsergebnisses« sehe sie keinen Handlungsbedarf. Als Reaktion auf die Vorwürfe wurde eine Evaluation der Lehrveranstaltungen durchgeführt, in der die Studierenden Grundls Seminare als »gut bis sehr gut« eingestuft hätten. Kritik habe es nur hinsichtlich der »Didaktik bzw. Rhetorik« gegeben.
Offensichtlich hat die Universitätsleitung kein Problem mit diskriminierenden Äußerungen, solange die Seminare gut evaluiert werden. Das Präsidium machte in seiner Stellungnahme deutlich, wo für die Universitätsleitung das Problem liegt: Im Asta, der »offensichtliche Missverständnisse und Fehlinterpretationen« zur Stimmungsmache gegen die Hochschule einsetze. Der Asta-Vorsitzende Gläser ist wütend: »Es gibt kein Verständnis für die Problematik, wir schaffen es nicht, klar zu machen, dass das nicht in Ordnung ist.« Unter den Studierenden gebe es zwar viel Zustimmung für den Protest, aber mehr sei daraus nicht entstanden. »Sie gehen weiter zu seinen Seminaren hin«, so Gläser. Für problematisch hält er angesichts von Grundls Ansichten vor allem dessen »Selbsterfahrungsseminare«, in denen sich die Studierenden mit ihrer eigenen Persönlichkeit und Rollenzuschreibungen auseinandersetzen.

Nicht nur die veröffentlichten Gesprächsprotokolle und die Stellungnahme sprechen dafür, dass es sich keineswegs um »Fehlinterpretationen« handelt, sondern um ein mehr als fragwürdiges Menschenbild des Dozenten. Grundl promovierte an der Universität Würzburg, seine Dissertation trägt den Titel »Die Psychische Anthropologie von Jakob Friedrich Fries – eine historisch-systematische Diskussion zur Philosophie des Geistes«. Fries war Philosoph, eine führende Figur der deutschnationalen Burschenschaftsbewegung Anfang des 19. Jahrhunderts und gilt als einer der Vordenker des deutschen völkischen Antisemitismus. In seinem Buch »Über die Gefährdung des Wohlstandes und Charakters der Deutschen durch die Juden« aus dem Jahr 1816 forderte er, die Juden mit »Stumpf und Stiel auszurotten«. Grundl war dieser Umstand nur die Erwähnung in der Einleitung seiner Doktorarbeit wert, dass Fries zu Lebzeiten versucht habe, den Vorwurf, sein »deutschnationales Engagement mache ihn zum Protagonisten eines völkisch unterlegten Antisemitismus«, zu entkräften. »Die Thematik dieser Arbeit wird von der Klärung dieses Streits nicht tangiert«, schließt Grundl nach drei Sätzen das Thema ab. Stattdessen legt er auf den folgenden 200 Seiten dar, dass »Fries’ System der Wissenschaft(en) vom mensch­lichen Geist« auch heute noch aktuell und umfassend sei.
Zusätzliche Brisanz erhält die Geschichte durch die Tatsache, dass Grundl als Gutachter für das Versorgungsamt der Stadt Mönchengladbach tätig ist, das über die Förderung von Menschen mit Behinderung entscheidet. Das bestätigte das Amt auf Nachfrage. Zudem ist er als Chefarzt für Neurologie an der Fachklinik Johannisbad im bay­rischen Bad Füssing angestellt. Dass der Dozent, wie vom Asta gefordert, von den Veranstaltungen abgezogen wird, ist unwahrscheinlich. Aufgrund seiner Professur genieße Grundl »fast eine Art Im­munität«, sagt Dennis Gläser. Jedoch hat er Hoffnung, »dass durch die Veröffentlichung der Vorwürfe ein Bewusstsein für das Thema geschaffen wird«.