Deutsche Statistiken und der Hartz-IV-Satz

Sattes Netto

Wer sind die vier Prozent, denen der Hartz-IV-Satz immer noch zu hoch ist?

Es ist mal wieder eine verblüffende Statistik herausgekommen. Nur vier Prozent der Deutschen finden den Hartz-IV-Satz (359 Euro für einen Erwachsenen, für Kinder deutlich weniger) zu hoch. Das sind 3 275 293 Personen. Und alle 3 275 293 lesen Bild. Das nehme ich wenigstens an, denn Bild hat vorgerechnet, was eine Hartz-Familie bekomme, sei ein »sattes Netto, das viele Menschen in einfachen Jobs mit einer 40-Stunden-Woche nicht haben«.
Aber die Statistik wirft Fragen auf. Denn da Bild 3  030 510 Exemplare verkauft und jeden Tag von 11 630 000 Menschen gelesen wird, gibt es erstaunliche 244 748 Käufer von Bild, denen der Hartz-IV-Satz nicht zu hoch ist, und sogar 8 354 707 Bild-Leser, die nicht auf Blattlinie liegen. Das müssen die Hartz-IV-Empfänger unter den Bild-Lesern sein. Stopp, es gibt ja nur 6,5 Millionen Hartz-IV-Berechtigte, von denen wir wiederum 1,7 Millionen Kinder abziehen müssen, die vielleicht – Bildungsarmut! – noch gar nicht Bild lesen können. Das ergibt 4,8 Millionen. Also gäbe es, selbst wenn sämtliche Hartz-IV-Empfänger über 14 Jahren Bild läsen, immer noch 3 554 707 Leser, die nicht auf Hartz angewiesen sind und dennoch nicht auf die Hartzer neidisch sind. Ja, gibt’s denn sowas, irgendwo muss ich mich verrechnet haben.
Nicht so schlimm, auch Bild hat sich verrechnet. Die Zeitung hat, als sie die Bezüge von Hartz-IV-Familien mit denen von armen Arbeitnehmern verglich und auf ihr »sattes Netto« für die Hartzer kam, das auch den working poor zustehende Wohnungsgeld und den Kinderzuschlag einfach weggelassen. Wie auch immer, es ist eine Elendskonkurrenz. Die einen haben nichts, die andern zu wenig, selbst wenn unter den Armen noch viel zu viele die zwölf Euro monatlich für die Bild-Zeitung (ohne Sonntagsausgabe) aufbringen, um die Meinung von Politikern zu inhalieren, die als »populistisch« gelten, obwohl sie niemandes Interesse vertreten, außer das ihres Budgets.
Zu ihnen gehört Thilo Sarrazins Kumpel Heinz Buschkowsky von der SPD, der in Bild erklärt, wie stimulierend Hunger und Härte sind: »Wir werden das Ruder nicht dadurch umlegen, dass wir Kinder von klein auf an das soziale Netz gewöhnen. Dies lähmt jedweden Aufstiegswillen. ›Ich werde Hartzer‹ als Lebensperspektive ist dann die Folge.« Statt Netz und sattem Netto auf dem Trockenen sitzen und Kohldampf schieben, schon ergeben sich ganz neue Lebensperspektiven.
Für die Gegenpropaganda sorgt die FAZ, in der Roland Koch (CDU) erklärt, dass sich »jede Pauschalkritik an allen Hartz-IV-Empfängern« verbiete, der aber doch den vier Prozent ein bisschen Recht geben muss und genau besehen selbst dazugehört, denn er schreibt, wenn die Hartzer so viel hätten wie die Ärmsten der Arbeiter, sei das eine »Perversion des Sozialstaatsgedankens«, von dem bislang gar nicht hätte angenommen werden können, dass Koch ihn vertritt.
Statistik ist, ich gebe es zu, nicht meine Stärke. Ich glaube jetzt, dass von den vier Prozent Deutschen, die den Hartz-Satz für zu hoch halten, 80 Prozent Bild, 19,5 Prozent FAZ und Focus und ein halbes Lettre International lesen und alle geborene Politiker sind, wenn auch keine repräsentativen.