Machtkampf in Guinea

Wenn der Adjutant zur Waffe greift

Unter den Offizieren, die in Guinea die Macht übernommen haben, gibt es heftigen Streit. Das könnte die Rückkehr zur ­Zivilherrschaft erleichtern.

Eigentlich stellen sich afrikanische Militärs, denen ein Massenmord vorgeworfen wird, nicht gerne der internationalen Justiz. Doch Leutnant Aboubakar »Toumba« Diakité könnte eine Ausnahme sein. »Ich bin bereit, vor einer internationalen Kommission und sogar vor dem Interna­tionalen Strafgerichtshof zu erscheinen«, behauptete er.
Ihm wird vorgeworfen, zu den Verantwortlichen für das Massaker in einem Stadion von Conakry zu gehören. Am 28. September hatten Soldaten eine Kundgebung der Opposition angegriffen, ein im Auftrag der UN erstellter Untersuchungsbericht spricht von 157 Toten. Er habe damals »auf Befehl des Präsidenten« gehandelt, rechtfertigt sich Diakité. Sein Verhältnis zu »Präsident« Moussa Dadis Camara, dem Anführer der Militärjunta, ist mittlerweile getrübt. Diakité, damals der Adjutant Camaras, schoss am 3. Dezember auf seinen Vorgesetzten und traf ihn am Kopf. Camara überlebte und wurde zur medizinischen Behandlung nach Marokko ausgeflogen, Diakité ist auf der Flucht.
Dass es Uneinigkeit in der Gruppe jüngerer Offiziere gibt, die im Dezember 2008 nach dem Tod des Präsidenten Lansana Conté die Macht übernommen hatte und seitdem als Nationalrat für Entwicklung und Demokratie (CNDD) den west­afrikanischen Staat regiert, ist unübersehbar. Dia­kité hatte nicht nur persönliche Ambitionen, auch andere Mitglieder des CNDD versuchen, ihm die Allein- oder Hauptverantwortung für das Massaker vom 28.September zuzuschanzen. Tatsächlich war Diakité der Befehlshaber bei diesem Einsatz. Allerdings entlasten ihn einige Oppositionspolitiker, die damals mit dem Leben davonkamen, beispielsweise Jean-Marie Doré. Diakité habe sich dafür ausgesprochen, die Zivilisten zu verschonen. Ob das zutrifft, ist jedoch in den Reihen der forces ­vives genannten Koalition aus Oppositionsparteien, Gewerkschaften, sozialen Initiativen und NGO umstritten.
Die Junta genoss zunächst Sympathien in der Bevölkerung, denn die Offiziere bekämpften einige Netzwerke der Korruption und setzten der engen Verwicklung in den internationalen Drogenhandel, in den viele Angehörige der oligarchischen Führungsschicht involviert waren, ein vorläufiges Ende. Überdies versprachen sie, im Land »aufzuräumen«, dann aber die Macht umgehend an eine Zivilregierung zu übergeben. Doch mehrten sich bald die Anzeichen dafür, dass die Militärs Gefallen an der Macht fanden.

Camara verschob die Wahlen und zeigte Ambitionen, entgegen vorherigen Ankündigungen selbst als Präsidentschaftskandidat anzutreten. Das Massaker im Stadion von Conakry ließ die Hoffnung auf eine baldige Demokratisierung weiter schwinden. Nun aber scheint Guinea einer Rückkehr zur Zivilherrschaft wieder näherzukommen.
Aus Marokko flog Camara am 12. Januar, für viele Beobachter überraschend, nicht nach Conakry, sondern nach Ouagadougou. In der Hauptstadt Burkina Fasos residiert Präsident Blaise Compaoré, der im Auftrag der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft seit vergangenem Herbst zwischen dem CNDD und den forces vives vermittelt. Compaoré wird dabei von den west­lichen Großmächten unterstützt, er gilt insbesondere der früheren Kolonialmacht Frankreich als verlässlicher Partner. Sowohl Frankreich als auch die USA haben kein Interesse an einer Rückkehr Camaras ins Amt, man hält den Putschisten offenbar für einen unzuverlässigen, unqualifizierten Emporkömmling.
Am 15. Januar wurde dann ein Abkommen von Repräsentanten der forces vives und des CNDD sowie von Camara selbst unterzeichnet. Die Militärregierung war vertreten durch General Sékouba Konaté, der seit dem Attentat auf Camara die Junta führt. Der General wird der »moderaten« Fraktion des Militärs zugerechnet, die zu einem Kompromiss mit der zivilen Opposition bereit zu sein scheint. Das Abkommen sieht vor, innerhalb von sechs Monaten freie Wahlen abzuhalten. Camara soll »zur Rekonvaleszenz« im Exil bleiben, ob das eine höfliche Umschreibung für die dauerhafte Entmachtung ist oder ob er nach seiner Genesung zurückkehren kann, bleibt unklar.

Bis zur Abhaltung der Wahlen wird eine Übergangsregierung gebildet. Die Spitzenposition überließen die Militärs der Opposition, die Kandidaten für den Posten des Premierministers benennen sollte. Die forces vives schlugen zwei Personen vor, den als nicht korrupt geltenden Oppositionspolitiker und Parteivorsitzenden der Union für den Fortschritt Guineas, Jean-Marie Doré, sowie die Gewerkschaftsführerin Rabiatou Diallo vom Dachverband CNTG. Am 18. Januar einigten sich Militärs und zivile Politiker auf Jean-Marie Doré als Premierminister, über die Besetzung der anderen Kabinettsposten wird seitdem verhandelt.
Rabiatou Diallo hatte in den ersten Wochen des Jahres 2007 eine zentrale Rolle bei der Organisation eines Generalstreiks gespielt, bei dessen Niederschlagung rund 120 Menschen getötet wurden, der jedoch Präsident Conté zu einem Kompromiss mit der Opposition zwang. Die Gewerkschaften bilden in Guinea eine Gegenmacht, die auch ein autoritäres Regime nicht ignorieren kann. Sie unterstützen, wie auch die sozialen Bewegungen, die Koalition der zivilen Opposition und die Bemühungen um einen Übergang von der Militärherrschaft zu einer Zivilregierung.

Alle Probleme wird die Demokratisierung gewiss nicht lösen. Die meisten Guineer leben in Armut, und die Regierung erhält nur einen geringen Anteil an den Erlösen der Rohstoffausbeutung, egal ob die ausländischen Investoren aus den USA, Kanada, Frankreich, Russland oder China kommen. Doch die Demokratisierung schafft bessere Bedingungen für soziale Kämpfe, und vielleicht wird beim nächsten sozialen Konflikt nicht so schnell mit scharfer Munition geschossen.
Dazu könnte auch eine Ahndung des Massakers vom 28. September beitragen. Am Mittwoch der vergangenen Woche wurde bekannt, dass die guineische Kommission, die Ende vergangenen Jahres mit der Untersuchung des Militäreinsatzes beauftragt worden war, Camara von jeder politischen Verantwortung freispricht. Anscheinend versuchen zumindest einige der Machthaber, Camaras Chancen auf eine Fortsetzung seiner politischen Karriere zu wahren. Am 15. Februar wird jedoch auch ein Ermittler des Internati­onalen Strafgerichtshof in Conakry erwartet.