Gespräch mit Mario Heising über den Beruf des Kammerjägers

»Wir gehen zu Armen wie zu Reichen«

Mario Heising hat in in den achtziger Jahren in Ostberlin Kammerjäger gelernt, weil es zur Kammerjäger-Ausbildung den Führerschein dazu gab. Dann hat er seine Begeisterung für den Beruf des Schädlingsbekämpfers entdeckt und den Meister gemacht. 1991 eröffnete er zusammen mit Kollegen die Berliner Niederlassung der Firma »SchaDe Umwelthygiene und Schädlingsbekämpfung«. Heising ist Vorsitzender der Berliner Landesvertretung des Deutschen Schädlingsbekämpfer-Verbands.

Aus Vancouver, wo die olympischen Winterspiele stattfinden werden, berichten die Medien über ein immenses Bettwanzenproblem. Ist das Medienhysterie, oder kann es sein, dass die Bettwanzenplage wirklich so schlimm ist?
Amerika hat diese Probleme, und zwar richtig. Auch weil es dort ein ganz anderes Hygienemanagement gibt als hier in Europa.
Sind Bettwanzen denn vor allem ein Hygiene-problem?
Die Hotelzimmer sind ja sichtbar sauber, insofern ist das nicht einfach ein Schmutzproblem. Was wir aber merken, ist, dass es nicht mehr die gute alte Zimmerfrau gibt. Die hätte Bettwanzenbefall nämlich sofort erkannt. Heute haben wir Fremdunternehmen, die für die Hotels arbeiten und die zur Zimmerreinigung Leute anheuern, die nur eine kurze Einweisung und pro Zimmer ganz wenig Zeit bekommen. Die haben noch nie etwas von Bettwanzen gehört und erkennen Bettwanzenbefall nicht. Wir haben Hotelzimmer gesehen, in die wir die Direktoren gerufen haben, um ihnen zu sagen: »Schaut euch das an, das geht hier schon ein halbes Jahr.«
Was machen Sie denn, wenn Sie wegen Bettwanzen gerufen werden?
Viele Leute wissen erst gar nicht, was für ein Problem sie haben. Die sagen dann, sie würden gestochen, und das vor allem nachts. Dann überprüfen wir die Wohnung, sehen, ob wir Bettwanzen finden, und recherchieren, was die Ursache ist. Es ist wichtig zu wissen, wo die herkommen. Meistens kommt dabei heraus, dass die Leute im Urlaub oder auf einer Dienstreise waren und sich von dort die Wanzen mitgebracht haben. Wenn Sie nachts gebissen werden bei den Minusgraden, wie wir sie zurzeit haben, dann sind das ja definitiv keine Mücken.
Aber wie können diese Wanzen so ein großes Problem sein? Nach dem Zweiten Weltkrieg soll es in Deutschland überall Wanzen und Flöhe gegeben haben, und die ist man offenbar wieder losgeworden. Warum bekommt man die Bettwanzen jetzt so schwer in den Griff?
Wir hatten die Problematik schon voll im Griff, ich habe 1982 in meiner Ausbildung zum Schädlingsbekämpfer meine Facharbeit über Bettwanzen geschrieben, und damals hatte ich gar nicht die Möglichkeit, das Problem in der Praxis kennenzulernen – da musste ich mich mit alten Kollegen unterhalten, die mir davon erzählen konnten. Wir hatten dann so Anfang bis Mitte der achtziger Jahre vielleicht ein oder zwei Bettwanzenfälle im Jahr. Ursache waren da meist Studenten, die aus der Sowjetunion kamen. Ich will nicht sagen, ganz Osteuropa sei voller Wanzen gewesen – aber da kamen die Probleme eben her. Meine persönliche These ist ja, dass die Wanzen-Problematik hier in Deutschland mit dem Krieg im ehemaligen Jugoslavien und der Verteilung der Kriegsflüchtlinge in Westeuropa so stark zugenommen hat.
Hat das nicht auch etwas damit zu tun, dass die Tiere gegen Gifte resistent geworden sind?
Ja, wir haben Resistenzen, und zwar wegen Fehlanwendungen der Wirkstoffe. Gerade in Osteuropa wurden Schädlingsbekämpfer zum Teil überhaupt nicht ausgebildet, da machte das irgendein Desinfektor nebenher, oder die Bevölkerung machte das eben selbst. Wir achten ja darauf, ob wir Erfolg haben mit unserem Mittel. Wenn nicht, greifen wir auf ein anderes zurück. Laien wissen oft nicht, dass es gegen manche Wirkstoffe Resistenzen gibt, vor allem gegen Pyrethroide.
Aber in den Hotels in Vancouver müssen doch Profis am Werk sein.
Richtig, problematisch ist aber, dass die Hotels, in denen eine Nacht mal 100 Euro kostet, aufgrund der wirtschaftlichen Zwänge die Zimmer ja vermieten müssen. Eigentlich könnten die Zimmer nicht vermietet werden, solange der Bettwanzenbefall nicht getilgt ist. Aber dann kommen irgendwelche Feiertage oder Messen, zu denen die Hotels ausgebucht sind, und dann, und das haben wir übrigens auch in Berlin, werden befallene Zimmer wissentlich wieder vermietet, weil die Häuser volle Kapazität brauchen.
Sind Hotels deswegen schwieriger bettwanzenfrei zu bekommen als Privatwohnungen?
Nein, in einem Hotelzimmer ist das eigentlich einfacher, weil die Aufbauten schnell abgenommen werden können, man kann die Betten einfacher zerlegen, man kann da Matratzen austauschen. In einem Privathaushalt geht das nicht.
Ich kenne eine Studenten-WG, die Bettwanzen hatte. Denen hat ein Kammerjäger erzählt, sie müssten alles wegwerfen: Bett, Computer, Stereoanlage, Matratze, Bücher, alles.
Natürlich, das ist die einfachste Variante. Wenn ich jemanden dazu bewegen kann, dass er alles wegwirft, sind damit die Wanzen schon so gut wie weg. Aber die Leute kommen ja heute von ihrer Weltreise in ihre Wohnung zurück, die Bude steht voll mit Büchern und anderen Dingen, und da können Sie ja nicht sagen: Wir schmeißen alles weg. Ich verlange das von keinem. Wenn mir jemand anbietet, alles wegzuschmeißen, weil er so viel Kohle hat, dass er alles neu kaufen kann, dann sag’ ich: Machen Sie das.
Ganz früher hat man gegen die Tierchen DDT eingesetzt. Kommen sie auch wieder, weil man DDT nicht mehr verwenden darf?
Ja, das ist ein Aspekt. Vor 20 Jahren war der Trend noch, dass man gesagt hat: Prophylaxe heißt, regelmäßig spritzen, auch wenn da gar nichts war. Man hat gesagt, komm alle zwei Monate vorbei und sprüh mal vorsorglich meine Küche oder meine Hotelzimmer gegen Schaben aus. Die Hotels, die früher Schaben hatten, die waren ja gebrandmarkt, die wollten nie wieder Schaben haben. Da ist man mit der Chemie noch ganz anders umgegangen. Und man wusste gar nicht, wie sehr man mit dem Gift gegen die Schaben auch die Wanzen zurückgedrängt hat.
Dieses Gift trifft alle Insekten?
Die Mittel, die wir einsetzen, haben bei Schaben und Bettwanzen dieselbe Anwendungskonzentration. Was sich verändert hat, ist vor allem, wo wir arbeiten, wir setzen die Wirkstoffe heute punktuell ein, und nicht massenhaft.
Was Sie damals in Ihrer Ausbildungszeit in der DDR vermittelt bekamen, war wahrscheinlich eher der harte Chemikalieneinsatz.
Nicht nur in der DDR, auch in Westdeutschland. Ich war ja gottseidank hier in Berlin, und Berlin hatte immer eine Vorreiterrolle, da wurde auch viel in Westdeutschland eingekauft, was dann hier für gewisse Objekte verwendet wurde. Zum damaligen Stand der Technik hat man das eben so gemacht. Heute denkt jeder vernünftige Schädlingsbekämpfer erst mal über Alternativen nach, bevor er einem die Bude vergiftet.
Gibt es Öko-Mittel gegen Wanzen?
Es gibt Alternativen, es gibt Kälte und Wärme. Und es gibt Geräte und Verfahren, die diese produzieren, aber meiner Meinung nach sind die noch nicht so weit ausgereift, als dass wir ganz ohne Insektizide auskämen.
Wäre das nicht ein Ziel?
Wir versuchen, so weit wie möglich auf Chemie zu verzichten und mechanische Verfahren anzuwenden, sogar biologische Feinde werden eingesetzt.
Gibt es Tiere, die Bettwanzen fressen?
Nein, bei Bettwanzen gibt es da nichts. Um mal einen vielleicht übertriebenen Vergleich zu wagen: Wenn Sie Krebs haben und Chemotherapie bekommen, dann wird der Körper dabei auch angegriffen, aber Sie können deswegen vielleicht weiterleben. Wenn Sie einen starken Bettwanzenbefall haben und die Bettwanzen schwer zu bekämpfen sind, dann verlangt das eben auch den Einsatz von Insektiziden, da kommt man nicht drum herum. Ich persönlich muss sagen, es gibt Fälle, in denen Menschen reagieren. Aber ob sie auf den Wirkstoff reagieren oder ob das psychosomatisch ist, kann man kaum sagen. Es ist schon vorgekommen, dass Leute zusammengebrochen sind, nur weil sie einen Schädlingsbekämpfer gesehen haben. Wir haben Krankheitssituationen bei Leuten, bei denen wir erst mal nur mit Wasser gearbeitet haben, weil wir wussten, dass das eine sensible Situation ist. Trotzdem sind die Leute krank geworden.
Die Wanzen können ja 40 Wochen im so genannten Dauerstadium verharren, da müssen sie weder atmen noch essen. Wie nehmen sie das Gift dann überhaupt auf?
Gar nicht. Erst, wenn die Bettwanze wieder aufwacht. Das macht die Sache ja so schwer. Viele Leute verlassen nach unserem Einsatz ihre Wohnung, weil sie denken, wenn sie nicht in der Wohnung sind, kommen sie nicht mit dem Insektizid in Berührung. Und dann drehen sie schlimmstenfalls noch die Heizung herunter. Gerade jetzt im Winter sabotiert das die Bekämpfung, weil die Wanze sich dann gar nicht bewegen wird. Dann kommt sie mit dem Insektizid nicht in Berührung, und dann stirbt sie nicht.
Heißt das, ich muss in der Wohnung bleiben, um für die Wanze den Köder abzugeben, der sie aus ihrer Ritze lockt?
Hört sich brutal an, ist aber so. Das ist ja auch das Problem in Hotelzimmern. Das Zimmer, in dem wir arbeiten, wird meist erst mal nicht belegt, und dann gehen die Wanzen ins nächste Zimmer. Deswegen muss man auch die anderen Zimmer kontrollieren. Mein Wunsch ist ja, dass an der Rezeption ein Zettel ausliegt, der auf die Problematik aufmerksam macht. Gäste können Bettwanzen eingeschleppen, das ist ja nicht die Schuld des Hoteliers. Aber der muss sich darum kümmern. Wenn er so einen Zettel herauslegt, zeigt er, dass er sich kümmert.
Wenn ich so einen Zettel im Hotel lesen würde, würde ich vermutlich im Bett liegen und alle drei Sekunden das Licht anmachen, um zu überprüfen, ob sich nicht eine Wanze an mir labt.
Das wäre nicht schlecht, dann wüsste man, ob da etwas ist! Nein, im Ernst: Ich war neulich in Hamburg im Hotel. Ich nehme natürlich erst mal das Bett auseinander und sehe, dass die immerhin schon einen modernen Bezug für die Matratze haben, und weiß also, das Management des Hauses kennt sich mit der Problematik aus. Da sehe ich, die kümmern sich. Wenn mir jemand sagen würde: Sagen Sie an der Rezeption Bescheid, wenn etwas piekt, dann würde mich das freuen.
Die Kopfläuse kommen ja auch wieder. Hat das etwas damit zu tun, dass man heute generell eher auf Gift verzichtet? Oder damit, dass sich die Leute weniger waschen?
Die Hygienekontrollen sind weniger streng. Früher hat man gesagt, ein Kind mit Läusen darf erst wieder in die Schule, wenn es durch das Gesundheitsamt behandelt wurde. So etwas gibt es heute nicht mehr. Heute reicht der Schein: »Mama hat selber gewaschen, und ich war beim Hausarzt.« Ich glaube, man braucht heute noch nicht einmal mehr zum Hausarzt. In meiner Kindheit waren sofort die Leute von der Kreishygiene da, sobald ein Kopflausbefall aufgetreten ist, die haben dann die ganze Klasse antreten lassen. Das macht man heute nicht mehr.
Ist es den Menschen peinlich, wenn sie Sie wegen Flöhen, Wanzen oder anderem Geziefer holen müssen?
Das Schamgefühl hemmt uns in Deutschland sehr. Wenn wir in einer Einfamilienhaus-Siedlung Rattenbefall gemeldet bekommen, heißt es grundsätzlich: »Die kommen vom Nachbarn.« Da stellt sich keiner hin und sagt: »Die hab’ ich auf meinem Misthaufen.«
Bei mir in der Schule gab es das Vorurteil, dass es die Unterschichtskinder sind, die Kopfläuse haben. Wenn jemand Läuse hatte, hieß es, die Famile sei verwahrlost oder jedenfalls nicht ganz sauber.
Die Vorurteile gibt es speziell in Deutschland, weil wir ja angeblich die besten und die saubersten sind. Hier in Deutschland sagt der Bäcker: »Wenn du zu mir kommst, parke Dein Auto fünf Kilometer weiter, zieh dir einen Anzug an und komm mit einem Koffer, niemand darf sehen, dass du ein Schädlingsbekämpfer bist.« In Amerika dagegen wird der Schädlingsbekämpfer als Polizist der Gesundheit angesehen, da wirbt man beim Bäcker mit einem Schild am Schaufenster mit dem Namen des Schädlingsbekämpfers, der den Laden betreut. Denn der, der den Schädlingsbekämpfer holt, der kümmert sich um Hygiene. Und was Arm und Reich angeht: Natürlich gibt es da einen Unterschied. Aber wir gehen zu den Armen wie zu den Reichen.
Gibt es auch in noblen Villas mal Bettwanzen?
Gerade da, die Reichen sind ja viel auf Reisen. Ich hatte erst eben eine Diskussion mit einer Frau, die sich auf den Schlips getreten fühlte, weil ich ihr gesagt hatte, dass wahrscheinlich ihr Hotelaufenthalt in Portugal der Grund sei, warum sie Bettwanzen in der Wohnung habe. Da brüllt sie mich an, was ich mir denke, in was für Herbergen sie schlafen würde, ihr Hotel hätte fünf Sterne gehabt. Da sage ich nur: Na und, und wenn es sechs Sterne waren. Wir gehen bei Schauspielern und Popsängern genauso ein und aus wie bei Hartz-IV-Empfängern.
Wo haben die Erwerbslosen die Wanzen her? Die können ja selten in Hotels übernachten.
Hartz-IV-Empfänger bekommen oft gebrauchte Gegenstände zur Verfügung gestellt, die tauschen ja auch untereinander Gegenstände und Kleidung, und das sind natürlich auch Möglichkeiten, sich die Tierchen zu holen.
Wenn Sie auf eine Party gehen und Leute kennenlernen, und die fragen Sie, was Sie so machen, sagen Sie dann: Ich bin »Kammerjäger«?
Ja, ich sag’ das so. Ich habe damit auch kein Problem. Ich habe so auch schon manche Party gerettet. Wenn wir erzählen, was wir in unserem Beruf so erleben, dann hören die Leute gerne zu. Vielleicht, weil die Geschichten manchmal eklig sind, aber die sind eben total aus dem Leben gegriffen. Selbst wir staunen ja, was wir da so erleben, oft leider auch erschreckende Sachen.
Was denn so zum Beispiel?
Wir sind zum Beispiel einmal in eine WG gerufen worden, da wohnten ein paar junge Frauen, die im Sommer ganz viele Fliegen in der Wohnung hatten. Die haben sich dann entschuldigt, ihre Wohnung sei ja auch ein bisschen schmutzig. Aber da standen nur ein paar Weinflaschen, das war alles ganz normal und nicht der Grund für den Fliegenbefall. Dann haben sie mir gezeigt, dass die Fliegen dort herkommen, wo die Wasseruhren angebracht sind. Ich habe sie dann gefragt, ob sie die Leute kennen, die unter ihnen oder über ihnen wohnen und ob die noch alle da sind. Wir haben dann im Haus herumgefragt, haben am Türschlitz der Wohnung darunter gerochen. Die Hausverwaltung hat dann da den Toten rausgeholt. Für die WG war das schlimm. Sie wussten dann ja, wo die Fliegen geschlüpft sind, die sich bei ihnen morgens aufs Marmeladebrot gesetzt haben.
Sind die Geschichten, die Sie erleben, immer so krass?
Nein, es gibt auch Dinge, über die man sich freut. Wenn man eine Ratte im Kindergarten fängt, vor der vorher der ganze Kindergarten geflohen ist. Oder wenn wir in Wohnungen kommen, schnell die Ursache des Problems finden und schnell helfen können, dann freuen sich die Leute. Schädlinge sind ja auch eine große psychische Belastung für die Betroffenen. Und wenn wir mal in Schulen Schädlingsbekämpfung machen und dort etwa Wespennester entfernen, dann fragen sie uns Löcher in den Bauch über unseren Beruf. Die wissen meist gar nicht, was ein Kammerjäger ist und dass man das lernen kann.
Dabei ist der Beruf ja ganz lukrativ und zukunftsträchtig, wenn sich die Tierchen weiter so ausbreiten, oder?
Lukrativ? Wir haben viel zu tun, aber bekommen das nicht gerade gut bezahlt. Eigentlich müssten alle Kammerjäger dieser Stadt mal 30 Tage lang streiken, damit die Menschen sich erinnern, was für einen wichtigen Beruf wir haben und was zum Beispiel Ratten für einen Schaden anrichten, wie viele Gehwege die unterbuddeln, was in den Wohnungen so alles von Mäusen vollgepisst wird, wie viele Nahrungsmittel in der Lebensmittelbranche von Motten zerstört werden, wie viele Geschäfte wegen Schädlingen schließen müssten. Die Mediziner, die sich um die kleineren Kumpels von unseren Ratten, Mäusen und Wanzen kümmern, die die Bazillen und Viren bekämpfen, die können bessere Preise aufrufen. Aber da ist die Lobby eben weiß, bei uns ist sie blau.