Die Klimadebatten nach dem Kopenhagener Gipfel

Nachtisch statt Menu

Der Klimagipfel gilt als gescheitert, die Prognose des IPPC für die Gletscher des Himalajas als falsch. Nur heißt das weder, dass es keinen Klimawandel gibt, noch dass die Klimakonferenz wirkungslos bliebe. Denn der Rechenfehler des IPPC stellt allein den Universalismusanspruch westlicher Wissenschaften bloß. Und der Gipfel in ­Kopenhagen den universalen Machtanspruch des Westens.

Der Weltklimagipfel, der im vergangenen Dezember in Kopenhagen Vertreter von 193 Staaten zusammenführte, gilt als Weltwitz. Vor allem Teile der Linken und der sogenannten Klimaskeptiker sind sich darin einig, dass der Gipfel kläglich gescheitert ist. Und für die Klimaskeptiker gab es als Zugabe dann noch die Meldung, dass die Gletscher am Himalaja doch nicht so schnell schmelzen, wie es Weltklimarat (IPCC) 2007 vorhergesagt hatte.
Beides zusammen hat bei den sogenannten Klimaskeptikern, die sich hierzulande um Henryk M. Broder, Dirk Maxeiner und Michael Miersch versammeln, so viel heiße Luft hervorgebracht, dass »sie im Grunde nun schon die personifizierte Bestätigung für die Erderwärmungstheorie darstellen«, wie die Titanic in ihrer aktuellen Februar-Ausgabe in einem Brief an Broder schreibt. Und der Titanic kann man den Kommentar zu den Klimaskeptikern auch getrost überlassen. Lehrreich sind nämlich die falsche Gletscherprognose und der eventuell gescheiterte Klimagipfel in einem anderen Zusammenhang als dem, den Broder, Miersch und Co. sehen. Es geht nicht darum, ob das Großereignis in Kopenhagen und der Tippfehler im IPCC-Bericht die Erderwärmung in Frage stellen, sondern um weiterreichende Angelegenheiten: den Universalismusanspruch der großen westlichen Industrienationen und die Art und Weise, wie diese Länder ihre Wissenschaften organisieren.

Um mit dem kleineren Problem anzufangen – im IPCC-Bericht hieß es 2007: »Die Gletscher des Himalaja ziehen sich schneller zurück als in irgendeinem anderen Teil der Welt, und wenn die gegenwärtige Rückzugsrate anhält, ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass sie im Jahr 2035 verschwunden sind, wenn die Erde sich mit der gegenwärtigen Rate erwärmt.« Im Dezember warf dann der kanadische Wissenschaftler J. Graham Cogley dem Weltklimarat vor, die Jahresangabe 2035 aus einem Aufsatz des russischen Gletscherforschers Kotljakow aus dem Jahr 1996 falsch abgeschrieben zu haben: Aus dem Jahr 2350 wurde das Jahr 2035.
Älteren, ehemaligen Botanikstudenten ist ein ähnlicher Fehler noch geläufig. Durch einen lange Jahre selbst in Lehrbüchern immer wieder abgeschriebenen Fehler galt der Eisengehalt von 100 Gramm Spinat mit 35 Milligramm als außergewöhnlich hoch. Tatsächlich enthalten 100 Gramm Spinat aber nur 3,5 Milligramm Eisen, was aber auch nichts daran ändert, dass der Eisengehalt von Spinat höher ist als bei anderen Gemüsearten. Ähnlich sind die Verhältnisse am Himalaya: Die Gletscher schmelzen in der Folge der Erderwärmung bedrohlich schnell, nur tun sie es eben nicht bis 2035. Das hatte eine im November veröffentlichte Studie der Geological Survey of India deutlich gezeigt. Nur wurde darin der klimawandelbedingte Zustand der Himalaja-Gletscher weniger dramatisch geschildert als im IPCC-Bericht.
Skandalös ist vor allem die Tatsache, dass der amtierende IPCC-Chef, der Inder Rajendra Kumar Pachauri, die indische Studie nicht ernst nahm, weil sie nicht durch das Guatachterverfahren der Peer-Review, auf das sich die westlichen Elitewissenschaftler so viel einbilden, gegangen war. Für Pachauri war die indische Himalaja-Studie »Voodoo-Wissenschaft«. Ein Ausdruck, der unter Naturwissenschaftlern einer Art Todesurteil entspricht. Leider aber sind die von Pachauri abgesegneten Prognosen des IPPC von 2007 ungefähr genauso finster zustande gekommen wie wirklicher Voodoo-Kult. Es war nämlich, wie Ulf von Rauchhaupt Ende Januar in der FAZ berichtete, bereits 2007 bekannt, das die IPCC-Zahlen Blödsinn sind. Der Innsbrucker Gletscherforscher Georg Kaser hatte noch vor der Drucklegung des IPCC-Berichtes auf die falsche Aussage aufmerksam gemacht, doch sein Hinweis blieb ohne Berücksich­tigung.
Das heißt, dass der Fehler der IPCC längst bekannt war, nur nie korrigiert wurde. Der Weltklimarat hat das mittlerweile bedauert, was genauso zu begrüßen ist wie die Tatsache, dass die alte, falsche Prognose durch keine neue ersetzt wurde. Das könnte nämlich ein Hinweis darauf sein, dass der IPCC in Zukunft die lokalen Zustände und ihre Dokumentationen ernster nimmt als globale Weltuntergangszukunftsszenarien, wie sie die westliche Publizistik über den Klimawandel leider zu großen Teilen bestimmen und für die ihre Autoren nichts weniger als universelle Gültigkeit beanspruchen.

Und eben dieser Anspruch wurde in Kopenhagen massiv und erfolgreich von vielen asiatischen, lateinamerikanischen und afrikanischen Staaten bestritten. Wortführer waren dabei die Vertreter der chinesischen Delegation. Mit dem Verweis darauf, dass der Klimawandel nicht erst in Zukunft, sondern schon jetzt eine Verteilungsfrage sei, wurde dem Westen mehr oder weniger deutlich unterstellt, die Rede von der einen Welt, von der wir alle abhängen, zu benutzen, um den derzeitigen Status quo von Arm und Reich aufrechtzuerhalten. Die Entwicklungsländer würden, wie ein brasilianischer Minister in Kopenhagen sagte, zum Nachtisch geladen, während der Westen schon eine komplette Mahlzeit hinter sich habe, und nun sollten sie die Rechnung teilen. Der bolivianische Präsident Evo Morales hatte deshalb auch unmissverständlich mitgeteilt, dass es die Industrienationen des Westens seien, die den Anstieg der Treibhausgase zu verantworten hätten, und dass diese deshalb auch für deren Schäden aufkommen müßten.
Was bei Morales und den meisten südamerikanischen Delegationen in direkte finanzielle Forderungen an die USA mündete, die den Anspruch auf Zahlungen bei einem gleichzeitigen Eingeständnis ihrer Mitschuld am Klimawandel allerdings sofort zurückwiesen, wurde von den chinesischen Delegierten substanziell verhandelt. Die unterstellte Gleichheit, die in der Rede von der einen Welt, für die wir nun alle zusammen verantwortlich zu handeln hätten, zum Ausdruck kommt, gibt es nicht, und es hat sie nie gegeben. Im Grunde waren es die Chinesen, die in Kopenhagen dem Westen die Rechnung von ein paar hundert Jahren westlichem Kolonialismus präsentierten. Das sich China dabei selbst inszenierte und etwa mit seinem milliardenschweren Investitionsprogrammen für Wind- und Solarkraftwerke als der Klimafreund von Gegenwart und Zukunft darstellte, gehörte dann allerdings zum scheinheiligen Teil ihres Auftritts.
Dass China, wie in seinem Gefolge im übrigen auch die finsteren Staatschefs des Iran, Sudans und Äthiopiens, den westlichen Klima-Universalismus auch deshalb ablehnten, um sich nicht ihre eigenen Unterdrückungsregime madig machen zu lassen, war in Kopenhagen so deutlich, wie man es sich nur wünschen kann. In Dänemark dürfen Exilsudaner und Exilchinesen ja noch demonstrieren. Aber auch die Auftritte der Bösewichter der Weltpolitik in Kopenhagen verwiesen, weil sie eben alle da waren, immerhin darauf, das es sehr viele Nationen und Staaten gibt, die in den großen Gremien der Industrienationen normalerweise nicht vorkommen. Und auch weil diese vermeintlichen Zwerge in ihrem Abstimmungsverhalten unberechenbar blieben, waren die Verhandlungen so chaotisch, wie sie die westlichen Medien beschrieben.

Das ist aber kein Argument gegen deren Anwesenheit und auch keines gegen ihr Verhalten, sondern nur ein Hinweis auf die gängige Ausschlusspraxis der Ersten Welt gegen die sogenannte Dritte oder Vierte. Und diese Praxis demonstrierte in Dänemark dann auch der dänische Staat vielleicht sogar vorbildhaft vor der Tür der Kongresssäle. Das dänische Parlament hatte extra zum Anlass des Klimagipfels verschärfte Gesetze gegen Sitzblockierer und andere Demonstranten erlassen, die die Rede von Menschenrechten, in dem Licht zeigten, in dem sie allzuoft steht: im Lichte des Herrschaftsanspruchs westlicher Regierungen. Die chinesischen Regierungsvertreter haben in Kopenhagen eigentlich nichts anderes getan, als eine alte Diagnose Samuel Huntingtons für sich in Anspruch zu nehmen. Der Westen dominiere die Welt nicht durch die Überlegenheit seiner Ideen, seiner Werte oder seiner Religion, sondern durch überlegene organisierte Gewaltanwendung, wie Huntington in seiner berühmten Schrift vom Clash of Civilizations geschrieben hatte. China hat sich nur erlaubt, sich diese Erkenntnis zu eigen zu machen und nachdrücklich darauf hinzuweisen, dass man sich das Recht auf nachholende Entwicklung vom Westen, der ja vorgemacht hat, wie man weltbestimmende Macht wird, nicht nehmen lassen würde. Eine Konferenz, auf der das deutlich wird, als gescheitert zu bezeichnen, ist geschmäcklerisch und ignorant. Die Lehren aus Kopenhagen sind nämlich eindeutig. Wer es wirklich ernst meint mit dem Klima, wird nicht darum herumkommen, lokale Stimmen aus allen, vor allem natürlich den betroffenen Weltgegenden in den Diskurs einzubeziehen. Und das hieße, bei Studien zum Himalaja auch HimalajaBewohner zu Wort kommen zu lassen und überall damit zu rechnen, dass nicht nur wir ein Recht auf Vor- und Hauptspeisen haben.