Guido bin Laden im Anflug

Irgendwo in den Bergen Pakistans lebt ein bärtiger Mann, dem man allerlei zutraut. Das Verständnis für die Nöte der westlichen Mittelschicht allerdings gehört eigentlich nicht dazu. Doch Ussama bin Laden verabscheut nicht nur anstrengungslosen Wohlstand und Dekadenz, bereits im Jahr 2007 bedauerte er die Amerikaner, weil sie unter der Last »wahnsinniger Steuern und Immobilienhypotheken taumeln«, und verkündete die frohe Botschaft: »Es gibt keine Steuern im Islam, sondern die begrenzte Zakat von nur 2,5 Prozent.« Joe Stack konnte er nicht zum Islam bekehren. Doch der Software-Ingenieur nahm sich in anderer Hinsicht bin Laden zum Vorbild. Am Donnerstag der vergangenen Woche zündete Stack sein Haus an, fuhr mit dem Auto zum Flughafen, bestieg seine Piper und steuerte sie in das Bürohaus des Internal Revenue Service (IRS) in Austin. Mit ihm starb ein Angestellter der Steuerbehörde.
Stack hatte zuvor ein Manifest im Internet veröffentlicht. Ausführlich schildert er seine schlechten Erfahrungen mit der IRS und seinen Steuerberatern. »Sie stehlen von der Mittelklasse«, schreibt Stack, schließlich hat er »die Schnauze voll« und kommt zu dem Schluss, dass Gewalt »die einzige Antwort« ist, wenn »der große Bruder mein Gerippe zerlegt«.
Dass der »große Bruder« es offenbar versäumt hatte, Stack sein Haus im Wert von mehr als 200 000 Dollar, sein Auto und sein Flugzeug zu nehmen, spielte keine Rolle für die rechten Fans des Märtyrers der Steuersünder. »Endlich ist ein Amerikaner aufgestanden«, »er hat sich für uns geopfert« und ähnliche Kommentare kursieren im Internet, eine Facebook-Gruppe will sich nun mit Stacks »Philosophie« beschäftigen. Doch auch im verhassten Establishment Washingtons bringt man für Stack mehr Verständnis auf als für die Piloten bin Ladens, die Amerika die Zakat bringen wollten. Der republikanische Senator Scott Brown meint, das Ereignis sei »tragisch«, doch habe er bemerkt, dass »die Leute frustriert sind« wegen des »Stillstands in Washington«, den er nun aber zu beenden gedenke.
Stack schimpft allerdings auch auf George W. Bush, die Konzerne, die katholische Kirche und »alle da oben«. Recht genau trifft sein Manifest den Geschmack der »libertären« Amerikaner, die den Staat nicht mögen. Allerdings vor allem, weil sie nicht einsehen wollen, dass jemand, der sich ein eigenes Flugzeug leisten kann, Abgaben nicht zur zum Erhalt der Flughafenpiste zahlen sollte und es womöglich einem friedlichen Zusammenleben nicht zuträglich ist, wenn jeder ein Schnellfeuergewehr im Schrank hat. Seien wir also froh und dankbar, dass wir es nur mit Guido Westerwelle zu tun haben, zumal FDP-Politiker, wenn sie die Schnauze voll haben, lieber aus einem Flugzeug springen als es in ein Gebäude zu lenken.