Eine höhere Inflation könnte Vorteile haben, meint der IWF

Höhere Preise, weniger Schulden

Bislang war es das wichtigste Ziel der Zen­tralbanken, die Inflationsrate niedrig zu halten. Führende Ökonomen des IWF fordern nun, diese Politik zu ändern.
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Zwei Jahre haben die Zentralbanken die Finanzmärkte mit Geld geradezu überflutet. Es galt, zusammenbrechende Banken und Unternehmen zu retten, dabei überboten sich die Staaten und Zentralbanken mit immer höheren Zahlungen. In den zurückliegenden Jahrzehnten war eine solche Politik auch immer erfolgreich. Trudelte die Wirtschaft in eine Rezession oder bestand die Gefahr eines zu geringen Wachstums, besorgten sich die Staaten bei ihren Banken neues Geld, um die Konjunktur wieder in Gang zu bringen.
Nun scheint dieses System an seine Grenze gestoßen zu sein. Auf der Website des Internationalen Währungsfonds (IWF) wurde am 12. Februar ein Bericht unter dem Titel »Makroökonomische Politik neu denken« veröffentlicht. Dort wird über die Vorteile einer höheren Inflation diskutiert. Dies kommt einer kleinen Revolution gleich, denn bislang galt der IWF als prinzipienfester Streiter für Stabilität in geldpolitischen Angelegenheiten.
Doch Olivier Blanchard, »ökonomischer Berater« und Direktor der Forschungsabteilung des IWF, vertritt gemeinsam mit Giovanni Dell’Arri­­­­cia und Paulo Mauro, zwei weiteren IWF-Ökonomen, die Ansicht, die Zentralbanken sollten eine Inflationsrate von vier Prozent anstreben. Bislang wollen nahezu alle Zentralbanken die Inflation nicht über zwei Prozent steigen lassen. Das wichtigste Ziel der Institute war bislang die Geldwertstabilität.

Dieses Dogma wird nun in Frage gestellt, denn für stark verschuldete Staaten könnte die Förderung der Inflation ein Weg zur Rettung der Finanzen sein. Simon Johnson, Professor am Massachusetts Institute of Technology und Vorgänger Blanchards beim IWF, machte in einem kürzlich veröffentlichten Beitrag im Wall Street Journal deutlich, dass die Eurozone ernsthaft in Gefahr geraten könnte, wenn der »germanische Kern keine höhere Inflation hinnehmen würde«. Der »germanische Kern« ist selbstverständlich Deutschland, dessen damaliger Kanzler Helmut Kohl als Vorbedingung für die Einführung des Euros die Geldwertstabilität als einziges Ziel der Europäischen Zentralbank hatte festschreiben lassen. Bei dieser Politik will die Bundesregierung offenbar bleiben, die »Privatmeinung aus dem IWF« werde »in der Stabilitätskultur des Euro auf keinen Widerhall stoßen«, sagte Finanzstaatssekretär Steffen Kampeter.
Südeuropäische Regierungen werden das vielleicht anders sehen, denn ihre Ökonomien könnten von einer höheren Inflation profitieren. Ihre Staatshaushalte würden ebenso entlastet werden wie die Unternehmen. Derzeit bleiben als Mittel gegen das Haushaltsdefizit nur Sparmaßnahmen.

Die zunehmenden Probleme einiger Ökonomien der Eurozone haben in den vergangenen Monaten beträchtliche Aufmerksamkeit auf sich gezogen. So werden Portugal, Irland, Italien, Griechenland und Spanien derzeit in der Presse oft als PIIGS-Staaten bezeichnet. Ihnen wird vorgeworfen, sie gäben zu viel aus und gefährdeten dadurch die Stabilität des Euro. Das Defizit dieser Länder liegt derzeit zwischen etwa zwölf Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) in Griechenland und rund fünf Prozent in Italien. Der Gesamtschuldenstand dieser beiden Länder liegt im Verhältnis zum BIP zwischen 108 Prozent in Griechenland und 115 Prozent in Italien. Eine höhere Inflation würde die Schulden nach und nach entwerten, ihre Rate im Verhältnis zum BIP wird geringer. Die Staaten könnten somit ohne große Mühe wenigstens einen Teil ihrer Schulden loswerden.

Nach Ansicht der IWF-Ökonomen sind die Staatsschulden jedoch nicht der wichtigste Grund dafür, eine höhere Inflationsziele anzustreben. Die Krise habe gezeigt, dass große Schockwellen auftreten könnten. »Sollte aus diesem Grund nicht in normalen Zeiten für eine höhere Inflationsrate eingetreten werden, um dann im Falle neuerlicher Schockwellen einen größeren Spielraum bei der Geldpolitik zu haben?« Dem Wall Street Journal sagte Blanchard: »Es gab keinen besonders herausragenden Grund, zwei Prozent Inflation zu wählen«, denn »genauso gut könnten die Zentralbanken auch vier Prozent anstreben«. Die Kosten dafür lägen nur unwesentlich höher, es sei dann jedoch viel leichter, bei Krisen zu intervenieren. Denn eine sehr niedrige Teuerung setze einen sehr niedrigen Leitzinssatz voraus. Damit sei auch der Spielraum der Zen­tralbanken bei einer Senkung des Leitzinssatzes geringer, einer Maßnahme, mit der in Krisenzeiten Kredite leichter zugänglich gemacht werden können.

In der Tat haben viele Zentralbanken derzeit mit dem Problem zu kämpfen, dass sie ihren Leitzinssatz nicht weiter senken können, da er bereits nahe bei null Prozent liegt. Überdies haben die Zentralbanken bereits große Summen ausgegeben, um die Konjunktur zu fördern. Zeigen diese Maßnahmen Wirkung, wird fast automatisch die Inflationsrate steigen. Die Zentralbanken müssten dann die Geldmenge wieder reduzieren und damit das wirtschaftliche Wachstum hemmen. Es sei daher klug, bereits jetzt eine höhere Inflation offiziell anzustreben, argumentieren Blanchard und seine Kollegen.