Der Anschlag auf einen Hamas-Funktionär in Dubai

Mit Tennisschlägern, ohne Kanonen

Der Hamas-Funktionär Mahmoud al-Mabhouh wurde am 19. Januar in Dubai ermordet. Für das Attentat wird der Mossad verantwortlich gemacht, doch kann der israelische Geheimdienst, sofern er beteiligt war, kaum allein gehandelt haben.

Als Or Kashti im Supermarkt die Tomaten und Auberginen begutachtete, tippte ihm eine ältere Frau auf die Schulter. »Du hast es den Arabern gezeigt«, lobte sie. »Ich nickte zustimmend«, berichtet Kashti, »und richtete mich gerade auf. Schließlich erfordert meine neue Position als hochrangiger Mossad-Agent eine gewisse würdige Haltung.«
Kashti, ein Korrespondent der linksliberalen israelischen Tageszeitung Ha’aretz, nimmt es offenbar mit Humor, dass sein Name für einen der gefälschten Pässe verwendet wurde, mit denen ein Team von Attentätern in Dubai einreiste, um dort den Hamas-Funktionär Mahmoud al-Mabhouh zu töten. Andere in Israel lebende Betroffene reagierten verärgert, sie fürchten Racheakte gegen ihre Familien.
Die Leiche Mabhouhs war am 20. Januar in einem Zimmer des Luxushotels al-Bustan Rotana gefunden worden. Nach Angaben der Dubaier Behörden wurde Mabhouh mit einem Elektroschocker kampfunfähig gemacht und dann mit einem Kissen erstickt. In der vergangenen Woche veröffentlichte die Regierung Dubais einen knapp halbstündigen Zusammenschnitt der Aufnahmen von Überwachungskameras, die vornehmlich die Observation Mabhouhs zeigen, sowie die Fotos von elf Verdächtigen.
Seitdem scheint der Fall klar zu sein: Es war der Mossad. Generalleutnant Dhahi Khalfan Tamim, der Polizeichef Dubais, ist sich dessen zu »99 Prozent« sicher, die meisten Medien betrachten ebenfalls den Mossad als verantwortlich für das Attentat. Der britischen Zeitung Sunday Times zufolge soll Ministerpräsident Benjamin Netanyahu das Attentat genehmigt und einigen Mitgliedern des Kommandos persönlich »viel Glück« gewünscht haben.
Wie in solchen Fällen üblich, hält sich die israelische Regierung an die »Politik der Zweideutigkeit«, die Verantwortung des Mossad wird weder bestätigt noch dementiert. Ein Motiv hatte der israelische Geheimdienst zweifellos, Mabhouh galt als einer der wichtigsten Waffenbeschaffer der Hamas und als Verbindungsmann zum Iran. Die Beweise hingegen sind dürftig, nur einige der für das Attentat verwendeten Pässe verweisen auf Israel. Doch warum sollte der Mossad für die professionell gefälschten Dokumente die Namen in Israel lebender Menschen verwenden, die überwiegend auch britische Bürger sind? Die diplomatischen Konflikte mit Großbritannien und anderen europäischen Staaten, deren Pässe gefälscht wurden, waren vorhersehbar. Überdies unterhält Dubai diskrete Beziehungen zu Israel, die durch eine solche Aktion gefährdet würden.
Echt soll der Pass Michael Bodenheimers sein, nach Angaben der deutschen Behörden wurde er im vergangenen Jahr in Köln ausgestellt. Die israelische Zeitung Yedioth Achronot berichtete am Montag, ein Mann dieses Namens sei jüngst ebenso verschwunden wie sein Namensschild an einem Bürogebäude in Tel Aviv. Dass ein Mossad-Agent ohne Tarnung an einer so brisanten Operation teilnimmt, die sorgfältig und langfristig geplant worden sein muss, wäre noch ungewöhnlicher.

Die Mitglieder des Killerkommandos, deren Zahl nunmehr auf 18 geschätzt wird, mussten zuvor in den diversen europäischen Ländern, aus denen sie nach Dubai reisten, platziert worden sein, ausgerüstet mit den »speziellen Kommunikationsgeräten«, die von den Dubaier Behörden ausgemacht wurden, sowie mit Flugtickets, die eine rechtzeitige Anreise garantierten. Der Erfolg war davon abhängig, dass die nur mit einem Elektroschocker bewaffneten Attentäter Mabhouh allein vorfanden. Doch gewöhnlich wird der Hamas-Funktionär von Leibwächtern begleitet.
Die Auftraggeber des Anschlags mussten nicht nur exakt über Mabhouhs Reisepläne informiert gewesen sein, denn die ersten Teammitglieder trafen am 19. Januar kurz nach Mitternacht ein, etwa zehn Stunden bevor Mabhouh in Damaskus Flug 912 der Linie Emirates nahm. Sie mussten auch wissen, dass Mabhouh allein bleiben würde. Medienberichten zufolge hatten die Leibwächter kein Ticket mehr erhalten. Doch Flug 914 der Linie Emirates hob am gleichen Tag in Damaskus ab und landete um 21 .57 Uhr in Dubai. Mabhouh betrat um 20.24 Uhr die Lobby des al-Bustan Rotana, 28 Minuten später verließ der letzte Attentäter das Hotel. Die Leibwächter hätten lange vor Mitternacht im Hotel sein und die Leiche finden können, etwa zehn Stunden, bevor das letzte Mitglied des Teams Dubai verließ.
Überdies konnten die Attentäter eigentlich nicht sicher sein, wann Mabhouh, der das Hotel am späten Nachmittag verließ und vermutlich nicht nur die Palmen bewunderte, sich wieder in seinem Zimmer einfinden würde. Wie konnte gewährleistet werden, dass die Leibwächter Mabhouh nicht nachreisen würden? Der Online-Informationsdienst FlightStats verzeichnet regelmäßig freie Plätze in den Flügen 912 und 914, überdies gibt es einen regen Flugverkehr zwischen Damaskus und den Vereinigten Arabischen Emiraten, zu denen Dubai gehört. Die Leibwächter hätten zumindest vor der offiziellen Entdeckung der Leiche um 13.30 Uhr am folgenden Tag in Dubai eintreffen müssen. Es sei denn, nicht ein Mangel an Tickets hinderte sie an der Reise, oder Mabhouh verzichtete bewusst auf ihren Schutz.
Man sollte annehmen, dass Mabhouh sich anderweitig Personenschutz besorgt oder wenigstens, wie er es zuvor häufig getan haben soll, seine Zimmertür mit Sesseln verbarrikadiert. Doch wirkt er auf den Überwachungsvideos nicht einmal sonderlich besorgt. Der dickliche Mann mittleren Alters, der sich, einen Tennisschläger in der Hand, mit seinem Begleiter zu Mabhouh und der Hotelangestellten in den Fahrstuhl drängt, um herauszufinden, in welchem Zimmer der Hamas-Funktionär logiert, zeigt zwar nicht unbedingt die »würdige Haltung«, die man von einem Mos­sad-Killer erwartet. Einem Mann, auf den zuvor mehrere Mordanschläge verübt wurden, hätte das unschlüssige Herumlungern der beiden jedoch eigentlich zu denken geben müssen.

Nicht geklärt ist bislang, wie das execution team in Mabhouhs Zimmer gelangte. Die Tür wurde nicht aufgebrochen. Die Dubaier Behörden geben an, dass versucht wurde, die key card, den elektronischen Zimmerschlüssel, zu manipulieren. Das präsentierte, seltsamerweise erst am 3. Februar erstellte Dokument verzeichnet jedoch »operation failed«. Erwartete Mabhouh noch Besuch und öffnete den Attentätern selbst die Tür?
Warum reiste er überhaupt nach Dubai? Mit Repräsentanten des iranischen Regimes hätte Mabhouh wesentlich diskreter in Damaskus oder Teheran sprechen können. In Dubai kann er eigentlich nur mit anderen als den iranischen Lieferanten verhandelt, den Waffentransport organisiert oder Gesprächspartner aus Regierungen bzw. Behörden getroffen haben, die nicht zu den traditionellen Unterstützern der Hamas gehören. Entweder war dieses Treffen so wichtig, dass er bereit war, ein Risiko einzugehen, oder man gab ihm besondere Sicherheitsgarantien.
Die Behörden Dubais geben an, Mabhouh sei unter falschem Namen eingereist. »Wir wurden von der Hamas nicht über seinen Besuch informiert«, sagte Polizeichef Dhahi Khalfan Tamim. Eine solche Anmeldung scheint demnach nicht unüblich gewesen zu sein. Die Einreisekontrollen sind jedoch streng, insbesondere für Araber, sofern sie nicht Bürger der Golf-Monarchien sind. Das Überwachungsvideo zeigt aber, wie Mabhouh um 15.18 Uhr ganz allein mit seinem Gepäck durch die Flughafenhalle schlendert. Sein Flugzeug landete um 14.57 Uhr, der letzte Passagier kann er also nicht gewesen sein. Wurde Mabhouh diskret durch die Kontrollen geschleust?
Das von den Dubaier Behörden veröffentlichte Video soll gewissenhafte Ermittlungen und ein intensives Fahndungsinteresse dokumentieren. Doch obwohl die Ermittler stolz verkünden, die Mitglieder des Killerkommandos binnen 24 Stunden identifiziert zu haben, wurde das Video erst Mitte Februar freigegeben, nachdem die mutmaßlichen Täter ausreichend Zeit hatten, sich in Sicherheit zu bringen.
Dies ist nicht das einzige Indiz dafür, dass andere Geheimdienste an dem Attentat zumindest beteiligt gewesen sein könnten. Es ist unwahrscheinlich, aber denkbar, dass der Mossad über Mabhouhs Pläne so lange im Voraus informiert war, dass ein Attentat mit einem sehr exakten Timing organisiert werden konnte. Tamim spricht von einem hochrangigen Hamas-Mitglied, das Informationen geliefert habe. Wie aber sollte der israelische Geheimdienst sicherstellen können, dass Mabhouh keinerlei Personenschutz hat?

Die Regierungen Ägyptens und Jordaniens sind über die Aktivitäten der Hamas kaum weniger besorgt als der Mossad, und die Monarchen der Golf-Region fürchten den wachsenden Einfluss des iranischen Regimes. Die Fluglinie Emirates wird von Sheikh Ahmad ibn Sa’id al-Maktum geleitet, einem Angehörigen der Herrscherfamilie, der überdies Präsident der Luftfahrtbehörde Dubais ist. Seinem Wunsch, einige Passagiere nicht zu befördern, würde sich das Personal gewiss nicht widersetzen.
Ebenso hätten syrische Behörden die Möglichkeit gehabt, die Ausreise von Hamas-Mitgliedern zu verzögern. Die Hilfe bei der Liquidierung Mabhouhs könnte eine Geste gewesen sein,
mit der Präsident Bashar al-Assad der US-Regierung seine Verhandlungsbereitschaft unter Beweis stellen will. Überdies stehen Guerilla- und Terrororganisationen, die weltweit Geschäfte machen, immer wieder vor dem Problem, dass einzelne Mitglieder auf eigene Rechnung arbeiten oder in die Dienste des Gegners treten. Auch das könnte ein Motiv für das Attentat gewesen sein. Der iranische Geheimdienst hat immer wieder im Ausland gemordet und verfügt über die nötigen Ressourcen. Iranische Agenten hätten das Vertrauen Mabhouhs ausnutzen und ihn bewegen können, auf Leibwächter zu verzich­­ten. Auch für fast jede andere Institution im Nahen Ostens wäre dies leichter gewesen als für den Mossad.
Eine schlüssige Theorie, die alle Fakten zufriedenstellend erklärt, gibt es bislang nicht. Es ist nicht ausgeschlossen, dass der Mossad allein verantwortlich war. Vielleicht handelte es sich um ein joint venture mit arabischen oder auch westlichen Partnern, in diesem Fall wäre das Geheimhaltungsinteresse auf allen Seiten gewiss besonders groß. Möglich ist aber auch, dass der Anschlag eine false flag operation war und eine Spur nach Israel gelegt wurde. Auch in diesem Fall ist die Kritik an der Politik der »gezielten Liquidierungen« nicht überflüssig. In manchen Fällen habe man potentielle Verhandlungspartner aus der Fatah getötet, in anderen sei der Nachfolger noch gefährlicher gewesen als der Getötete, schreibt Gideon Levy in der Ha’aretz. Er fragt: »Wollen wir wirklich in einem Staat leben, der Todesschwadronen unterhält?«
In anderen Staaten des Nahen und Mittleren Ostens, in denen extralegale Hinrichtungen ein Mittel nicht nur der Außen-, sondern auch der Innenpolitik sind, kann eine solche Frage nicht ungestraft gestellt werden. Es gibt zahlreiche potentielle Täter, daher muss auch gefragt werden, warum die Schuld Israels einmal mehr feststeht, bevor es eindeutige Beweise gibt.

Das vom Media Office of Dubai Government veröffentlichte Video findet sich hier: