Die Ausstellung »Pop Life« in Hamburg

Alles so schön bunt hier

In der Hamburger Ausstellung »Pop Life« wird so getan, als sei es um Pop bestens bestellt. Das ist mehr als zweifelhaft.

Pop ist tot« sang vor knapp über zehn Jahren die Hamburger Band Die Braut haut ins Auge – und löste sich kurz darauf auf. Ein paar Jahre später resümierte auch der Sänger Miyavi, was Radiohead bereits mitten in den Neunzigern proklamiert hatten und auch die Band The Knack vor einigen Jahren zugeben musste: »Pop is dead.«
So einfach ist das. Anscheinend hatte sich um die Jahrtausendwende die kulturell-künstlerische Formation namens Pop ad absurdum geführt. Diedrich Diederichsen konzedierte schon Ende der Neunziger die Verschiebung von Pop I zu Pop II mit Auflösungstendenzen des Pop überhaupt. Seit Ende der achtziger Jahre könne, so Diederichsens damalige These, ein Verschwinden des spezifischen Pop als subkulturelle Nische und zugleich eine Verallgemeinerung des Pop beobachtet werden. Pop sei demnach ein sich auf die gesamte Gesellschaft ausdehnender Lifestyle. Deswegen könne nicht nur alles Pop, sondern auch alles als Pop irgendwie subversiv sein.
Dass Pop tot ist, wurde dann in nachgerade zynischer Weise signifikant mit dem 11. September 2001, einschließlich der Volte, dass anlässlich der Terroranschläge ausgerechnet Leute wie Peter Scholl-Latour das Ende der Spaßgesellschaft diagnostizierten. Gleichwohl ist das alles nun auch schon wieder zehn Jahre her, und der Poptod scheint wenig überzeugend zu sein angesichts einer weiterhin hyperventilierenden Gesellschaft des Spektakels. Aber das ist in diesem nicht enden wollenden Zeitalter des Kapitalismus wahrlich nichts Ungewöhnliches. Dass allenthalben dieses und jenes für tot erklärt wird, zunächst mit Nietzsche Gott, dann der Mensch, der Autor, das Subjekt, schließlich die Moderne selbst – ohne dass Gott, Mensch, Autor, Subjekt oder Moderne jemals wirklich verschwunden wären –, gehört längst zu den Paradoxien einer Epoche, auf die immer mehr mit Gleichgültigkeit reagiert wird. So auch in Hinblick auf das, was allgemein Kultur genannt wird: Der Pop ist tot, aber die Leiche bleibt einfach liegen, nein, sie bewegt sich sogar. Und niemand scheint sich dafür zu interessieren, solange nicht mit großen Leuchtbuchstaben darauf hingewiesen wird. Und das konnte der in Eigenwerbung von Anfang an geübte Pop immer schon recht gut: sich auch im Zustand absoluter Belanglosigkeit in den Vordergrund spielen, auf sich aufmerksam machen, seine Profilneurose pflegen, seinen Narzissmus zelebrieren.
Als der Pop noch quicklebendig war, hat Andy Warhol aus dem sich permanent selbst überbietenden Spektakel-Prinzip des Pop eine Strategie gemacht. Zur selben Zeit, als Roland Barthes den Tod des Autors verkündete, hypostasierte sich Warhol zum Popstar, indem er sich als Kunstwerk und Ware gleichermaßen feiern ließ: Andy Warhol als Markenzeichen. An diesem Punkt setzt die jetzt in der Hamburger Galerie der Gegenwart zu sehende Ausstellung »Pop Life« an und bewegt sich in zügigen Schritten in Richtung postmoderne Achtziger.
Warhol hatte seine Idee der Selbststilisierung zum so genannten Co-Branding ausgebaut, fungierte als Celebrity, sprach offensiv und programmatisch von Businesskunst. Die Ausstellung sieht darin ein »Credo«, wie es heißt, also wörtlich ein Glaubensbekenntnis. Keith Haring hat diesem mit seinem Pop-Shop einen Ort gegeben: ein Geschäft in Soho, in dem er seine Produkte, nämlich T-Shirts, Kühlschrankmagnete, Buttons und ähnliches, als Souvenirs verkaufte. Jeff Koons setzte die Ästhetisierung der Warenkunst fort und erklärte 1988 mit ­Parolen wie »Beute die Massen aus« sein Schlagwort »Banality« zum neuen Leitbegriff und schaltete Kitschwerbungen in Kunstzeitschriften; dann heiratete er Cicciolina und plakatierte großformatige Anzeigen für den fingierten Pornofilm »Made in Heaven«. »Pop Life« zeigt dazugehörige Szenenbilder von Analverkehr und Cumshots, Zutritt ab 18. Ebenso restringiert sind übrigens auch die Arbeiten von Cosey Fanni Tutti und Andrea Fraser, die unter das Pornografieverdikt fallen. Die interessanteste Anekdote aus diesem »Pop Life« ist allerdings diese: Als die Ausstellung voriges Jahr in der Tate Modern gezeigt wurde, ließ die Londoner Polizei noch vor der offiziellen Eröffnung Richard Princes Arbeit »Spiritual America« entfernen. Auf dem Foto ist Brooke Shields als Zehnjährige zu sehen, nackt und in aufreizender Pose. Stattdessen gibt es nun das Remake zu sehen, »Spiritual America 4«: Shields in ähnlicher Pose, aber mit Bikini und erwachsen, aufgehängt in einem der ohne Altersbeschränkung zugänglichen Räume, für alle sichtbar.
Die vollends kommodifizierte Kunst wird in ihrer radikalsten Form lediglich zum juristischen Problem, nicht zur ästhetischen Kritik. Das verwandelt selbst die Restspuren pornografisch-politischer Provokationen in Kitsch. Die Gesellschaft bleibt dieser Kunst gegenüber gleichgültig, ebenso wie dieser Kunst die Gesellschaft gleichgültig ist. Pop wird banal in einem Status der Selbstzufriedenheit. War der Katalog der Ausstellung »This is Tomorrow« von 1956 noch in einem romantischen Blau, so ist die Hintergrundfarbe bei »Pop Life« ein albern-belangloses Rosa.
Im Erdgeschoss der Ausstellung empfängt die Besucher Damien Hirsts »False Idol« von 2008: ein die Eintretenden anstarrendes, »echtes«, wenngleich totes Kalb. Das in Formaldehyd eingelegte Tier ist in einem Glaskasten mit schweren Goldrahmen, installiert auf einem Marmorsockel, zu sehen. Hier die Analogie zum biblischen goldenen Kalb zu sehen, wäre eine Täuschung: Kostbar ist bloß die Verpackung, die vermeintliche Selbstreflexion auf die Kunst wirkt lächerlich. Einzig mag einem vielleicht das Tier noch leid tun; allein darin erschöpft sich die Relevanz dieses »falschen Idols«.
Alles ist Pop, aber es ist auch egal, ob alles Pop ist. Und deshalb geht Pop an seiner eigenen Banalität zugrunde: Selbst der Tod ist belanglos. Moderner Sinnverlust und postmoderner Bedeutungsüberschuss sind für den sterbenden Pop kein Thema mehr. Vielmehr stellt sich jetzt, in der Zeit, in der der Pop sich selbst überlebt zu haben scheint, heraus, dass es nie einen Sinn gab, der hätte verloren gehen können. Dass es zwar eine überschäumende Vielfalt von Zeichen gab, die aber allesamt nie etwas bedeutet haben und niemals etwas bedeuten werden. Selbst mit der größten Übertreibung lässt sich den Zeichen in so mancher Pop-Art kein Sinn abgewinnen. Auf Takashi Murakamis Arbeit »Hiropon« von 1997 sieht man ein lebensgroßes, seilspringendes Mangamädchen mit überdimensionalen Brüsten, nicht mehr, nicht weniger.
Mit den gezeigten Arbeiten von Takashi Murakami bekommt das Popleben immerhin einen Ort, gleichsam eine letzte Ruhestätte zugewiesen: Japan, beziehungsweise das, was als Japan imaginiert wird. Mit dem Regisseur McG drehte Murakami ein Musikvideo, das eine knallblauhaarige Kirsten Dunst im rosa Kleidchen zeigt, die davon singt, wie sie japanisch wurde: »Akihabara Majokko Princess«.
Wir stellen nun die Rückkehr der Popkunst ins Museum fest, die freiwillige Selbsteinweisung. Pop hat hier nichts mehr mit dem Leben zu tun, sondern mit einem ziemlich verzweifelten Versuch, eine längst überflüssig gewordene Institution dadurch zu legitimieren, dass sie die ganze Zeit von größenwahnsinnigen Männern wie Hirst, Koons oder Murakami, oder verrückten Frauen wie Tracey Emin oder Sarah Lucas, in ihrer Legitimität infrage gestellt wird.
Hier ist Pop wieder, was er am Anfang war und eigentlich gar nie wirklich sein wollte: Kunst. Insofern ist am Ende alles bloß redundant. Statt sich dem Tod des Pop zu stellen, wiederholt die Ausstellung unter dem anmaßenden Titel »Pop Life« nur die billige Parole, dass alles Pop sei.

Bis 9. Mai in der Hamburger Kunsthalle