Neue Krise im US-amerikanischen Immobilienmarkt

Die Mieter tanzen, die Bauherren nicht

Mit dem Zusammenbruch des Markts für Privatimmobilien in den USA begann die Finanzkrise. Nun droht der Ruin des Gewerbeimmobilienmarkts.

Eine Pleite kann auch ein Grund zur Freude sein. Einen Tag, nachdem der Baukonzern Tishman Speyer und der Vermögensverwalter Black Rock die Stuyvesant Town an die Gläubiger zurückgeben mussten, fanden sich einige Dutzend Bewohner der mit 110 Häusern und insgesamt 11 232 Wohnungen größten Mietanlage Manhattans ein, um das Ereignis mit einem Freudentanz zu feiern. Vermutlich dachten sie dabei nicht an die Anarchistin Emma Goldman, die gesagt hatte, dass sie einer Revolution nur etwas abgewinnen könne, wenn man dabei auch tanze. Zu feiern gab es auch keine Revolution, aber immerhin ein Ereignis, das auch auf den Kampf der Mieter zurückzuführen ist und in der Geschäftswelt mit weit weniger Freude registriert wurde.
Denn die Zahlungsunfähigkeit von Tishman Speyer und Black Rock gilt als Anzeichen dafür, dass im Immobiliensektor eine weitere Pleitewelle droht. Vor gut vier Jahren hatten die beiden Unternehmen den Komplex der Stuyvesant Town samt der Nachbarsiedlung Peter Cooper Village für die Rekordsumme von 5,4 Milliarden Dollar gekauft. Aus den Sozialwohnungen, die in den vierziger Jahren gebaut worden waren, sollten Gewerbeeinheiten und Luxusappartements gemacht werden. Der Komplex hatte die Gentrifizierung der achtziger und neunziger Jahre relativ unbeschadet überstanden und war das letzte große Refugium der unteren Mittelschicht in Manhattan. Doch seit der Jahrtausendwende gab es intensive Bestrebungen, das Gelände besser zu verwerten. Zunächst hatte sich die Versicherungsgesellschaft Met Life den Komplex auf dem teuersten Baugrund der Welt gesichert und mit einer rigiden Vertreibungspolitik begonnen. Seit im Jahr 2006 Tishman Speyer das Regiment übernahm, verschärfte sich der Druck auf die Bewohner erheblich. »Es war ein regelrechter Krieg gegen die Mieter«, sagte Soni Frank, die seit 1961 in Stuyvesant Town lebt, der Zeit. »Sie haben jeden Vorwand ausgenutzt, um die Leute vors Wohnungsgericht zu zerren.«

Immerhin waren es auch die Mieter, die die Immobilienkonzerne in die Knie gezwungen haben. Ihre erfolgreiche Klage gegen die »Deregulierung« des Wohnungsmarktes konnte die geplanten Mietsteigerungen verhindern, dies trug zur Zahlungsunfähigkeit des Konglomerats, das immerhin vier Milliarden Dollar an Kreditschulden abtragen musste, nicht unerheblich bei. Die Freude der meisten Mieter ist daher verständlich. Es dürfte lange dauern, bis die Zwangsvollstreckung gegen den Baukonzern abgewickelt ist, und bis dahin werden die Mieten stabil bleiben.
Der Fall Stuyvesant Town ist aber nicht nur wegen des erfolgreichen Widerstandes gegen die Gentrifizierung oder der Tanzeinlagen einiger Mieter bemerkenswert. Denn die Klage der Mieter hat die Geschäfte erschwert, die Ursache des Scheiterns ist jedoch der Wertverlust der Immobilien, der es den Investoren letztlich unmöglich machte, weitere Kredite in Anspruch zu nehmen. Dass dies kein Einzelfall ist, geht nun aus einem Lagebericht des Congressional Oversight Panel (COP) hervor, eines überparteilichen Ausschusses, der die Verteilung der 787 Milliarden Dollar aus dem US-»Konjunkturpaket« für den Kongress überwachen soll.
Sorge macht den fünf Finanz- bzw. Kreditexperten unter dem Vorsitz der in Harvard lehrenden Insolvenzspezialistin Elisabeth Warren nun weniger der Markt der privat genutzten Immobilien, mit dessen Zusammenbruch die weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise begann, als der Markt für Gewerbeimmobilien. Dieser Markt hat ein Volumen von 6,7 Billionen Dollar allein in den USA. Derzeit soll bereits bei etwa 9 000 Gewerbeimmobilien-Projekten eine akute Zahlungsunfähigkeit eingetreten sein. Zusätzlich würden zwischen 2011 und 2014 rund 1,4 Billionen Dollar an Tilgungen fällig werden. Wie auch im Fall der Subprime-Krise stelle aber nicht nur die Zahlungsunfähigkeit vieler Kreditnehmer, sondern auch die Überbewertung der Immobilien ein Problem dar. Mehr als die Hälfte der Kredite übersteige weit den Wert der Immobilien, heißt es in dem Bericht.
Fielen die Tilgungen also aus, säßen wiederum die Banken, wie in der vorigen Krise, auf entwerteten und teilweise unverkäuflichen Immobilien. Der COP-Schätzung zufolge kommen auf die Banken Verluste in Höhe von 300 Milliarden Dollar zu. Weitere Bankenpleiten sind also zu erwarten. Kaum überraschend ist daher auch das pessimistische Fazit des Berichts. »Eine beträchtliche Welle an Zahlungsausfällen bei Gewerbehypotheken würde wirtschaftlichen Schaden auslösen«, heißt es dort, »der das Leben fast jedes Amerikaners betreffen könnte.«

Die Folgen sind auch deshalb so unabsehbar, weil der Gewerbeimmobilienmarkt der USA eben nicht nur gewerblich genutzte Komplexe wie etwa Bürohäuser, Industrieparks oder Einkaufszentren umfasst, sondern auch Miethäuser wie die in der Stuyvesant Town. Insofern beträfe eine Krise auf diesem Markt auch direkt viele Menschen mit geringem Einkommen. Denn in den USA, in denen die Wohneigentumsquote bedeutend höher liegt als hierzulande, sind es neben urbanen Bohemiens vor allem Arbeiter- und Angestelltenfamilien aus den unteren Lohngruppen sowie Migranten und Arbeitslose, die die Mietskasernen bevölkern.
Dass ein Bankrott von Immobilienkonzernen nicht immer so positive Ergebnisse für die Mieter haben dürfte wie im Falle der Stuyvesant Town, liegt auf der Hand. Auch der Verfall der Häuser, ein Abriss oder die Umwandlung in Einkaufszentren könnten die Folgen sein. Dass insbesondere im Bausektor, wie das Beispiel Spanien zeigt, auch die Arbeitslosigkeit signifikant und langfristig steigen dürfte, wird sowieso von niemandem ernsthaft bezweifelt.
In mancherlei Hinsicht ist die prognostizierte Krise auf dem Gewerbeimmobilienmarkt eine Folge der Krise, die 2008 zunächst den Privatimmobilienmarkt erfasste. Die Zeitverzögerung hat mit den spezifischen Geschäftsbeziehungen auf diesem Markt in den USA zu tun. Die meisten Projekte werden im Gegensatz zu privaten Darlehen durch Kredite finanziert, deren Tilgung erst am Ende der drei- bis zehnjährigen Laufzeit fällig wird. Dies hat aber nicht nur eine Verzögerung zur Folge, sondern auch, dass in den kommenden Jahren die Bankdarlehen für die überbewerteten Immobilien der Vorkrisenzeit fällig werden. Das dürfte gigantische Abschreibungen erforderlich machen.
Die neue Krise ist jedoch nicht allein eine Spätfolge des letzten Crashs im Finanzsektor. Denn der bescheidene Aufschwung der US-Ökonomie in den vergangenen Monaten hat nicht, wie gemäß klassischen ökonomischen Theorien zu erwarten gewesen wäre, nach einer Abwertung nun wieder eine wenigstens langsame Aufwertung in Gang gesetzt, die die Hoffnung auf ein Erreichen des Ausgangswertes der Immobilien bis zum Tilgungstermin hätte nähren können. Vielmehr ist die Abwertung im Gewerbeimmobilienbereich sogar noch weiter vorangeschritten.
Es gibt jedoch ein ähnliches Problem wie in der Automobilindustrie mit ihren Überkapazitäten und bei den privaten Immobilien. Ein »Gesundschrumpfen« des Marktes erscheint fast unmöglich. Trotz der bisherigen Finanzhilfen der amerikanischen Notenbank Federal Reserve in Höhe von insgesamt 1,25 Billionen Dollar hat sich der Immobilienmarkt bisher nicht stabilisiert. Auch ein neues Programm der Regierung, das private Investoren für den Immobilienmarkt der USA einzuwerben versucht, kann nach Ansicht des Analysten Ajay Rajadhyasksha von der Investmentbank Barclays Capital das Problem nicht lösen. »Ich denke, dass sie das Loch nicht ausfüllen können«, urteilt der Ökonom.
Somit ist einmal mehr in Frage gestellt, ob die Krise eine produktive Wirkung für das verbliebene Kapital entfalten wird. Während Marx (»Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie«) noch den Doppelcharakter der Krisen für »sowohl die Entwertung des Kapitals durch den Produktionsprozess als die Aufhebung derselben und das Herstellen der Bedingungen für die Verwertung des Kapitals« ausmachen konnte, scheint nun der zweite Effekt auszubleiben. Von der Wiederherstellung »normaler« Bedingungen für die Kapitalverwertung ist wenig zu bemerken. Das überakkumulierte Kapital, das zunächst im Bereich der New Economy und zuletzt in der Immobilienbranche seine Investitionsmöglichkeiten fand, bildet nur eine Blase nach der anderen.

Obwohl Politiker und Wirtschaftswissenschaftlern unverdrossen vom Aufschwung schwafeln, ist die Desorientierung allerorten spürbar. Stefan Homburg, ein renommierter Finanzwissenschaftler aus Hannover, kommt sogar zu dem deprimierenden Fazit, die meisten Ökonomen hätten von den Krisenerscheinungen und ihren Ursachen »keinen blassen Schimmer«. Auch die permanenten Interventionen der Staaten, mit denen die Verluste sozialisiert werden, können da langfristig keine Abhilfe schaffen. Nach der Entwertung kommt perspektivisch nicht mehr die Inwertsetzung der übrig gebliebenen Kapitale, sondern ihre weitere Entwertung. Wer dann tanzen will, sollte sich nicht auf die eine oder andere positive Nebenwirkung der Krise verlassen, sondern müsste vielleicht doch noch einmal bei Emma Goldman und anderen nachlesen, was noch alles dazugehört zu einer Revolution.