Die Rechte von Homosexuellen in Tschechien

Bedingte Toleranz

In Tschechien kämpfen homosexuelle Aktivisten gegen alte Vorurteile, gesellschaftliche und rechtliche Diskriminierung, aber auch gegen die eigene politische Passivität.

»Gay-Pride-Paraden wie im Westen gibt es bei uns nicht«, sagt Zdenek Sloboda. »Schwule und Lesben sind hier nicht stolz auf ihre Identität.« Der Soziologe und Gender-Forscher sitzt im Café Erra, einem kleinen Lokal in der Prager Altstadt. Die Eingangstür ziert eine Regenbogenflagge. Das Café ist einer von wenigen Treffpunkten für Lesben, Schwule, Bi- und Transsexuelle in Prag. »LGTB-Leute leben in Tschechien noch sehr zurückgezogen.« Von einer »Szene« könne keine Rede sein, sagt Sloboda. »Das ist ein Unterschied zum Westen, wo sich eine Kultur und auch eine politische Zusammenarbeit zwischen schwulen und lesbischen Gruppen entwickelte.«
Sloboda ist Mitarbeiter des Prager Vereins Gender Studies e.V. Er führt die Abwesenheit von Homosexuellen in der Öffentlichkeit auf die kommunistische Epoche zurück, als Homosexualität öffentlich überhaupt nicht existierte. Hinzu kommt, dass »Homosexuelle in Tschechien heute sehr stark mit Sextourismus und mit der Pornoindustrie in Verbindung gebracht werden«. In Tschechien und der Slowakei werden schätzungsweise 30 bis 40 Prozent der weltweit gedrehten Pornos mit homosexuellen Inhalten produziert. »In Westeuropa und in den USA wurde ich schon angesprochen, ob ich ein ›Belami-Boy‹ sei, also ein Darsteller für eine tschechische Pornoproduktionsfirma«, erzählt Sloboda.

Der junge Wissenschaftler vergleicht die Situation gerne mit der im Westen. Im Vergleich zu anderen postsozialistischen Staaten und selbst zu vielen westlichen Staaten ist die Situation für Homo-, Bisexuelle und Transgender in Tschechien allerdings relativ fortschrittlich. Politisch sind zwar nur wenige Leute aktiv, ihr Engagement war jedoch bereits erfolgreich. Die Kampagne der Gruppen Gay and Lesbian League und Gay Initiative für die Legalisierung der Homo-Ehe führte im Jahr 2006 dazu, dass das tschechische Parlament ein Gesetz über eingetragene Partnerschaften verabschiedete. Obwohl das Gesetz einige Konzessionen vorsieht, werden eingetragene Partnerschaften nicht der Ehe gleichgestellt, zudem wird gleichgeschlechtlichen Paaren das ­Adoptionsrecht explizit verwehrt. Seit Inkrafttreten des Gesetzes haben sich in Tschechien 917 gleichgeschlechtliche Paare registrieren lassen, davon 643 männliche und 274 weibliche. 34 davon sind schon wieder geschieden. Diese Zahlen sind bei keiner Statistikbehörde zu erfragen. Die Angaben wurden von ehemaligen Mitgliedern der Gay Initiative gesammelt, die sich mittlerweile aufgelöst hat. Nach einer kurzen Phase, in der die Medien im Rahmen der Kampagne für das Partnerschaftsgesetz LGTB-Themen Aufmerksamkeit schenkten, verschwanden diese Themen aus der Öffentlichkeit.
»Es scheint so, als wären Homosexuelle in Tschechien mehr oder weniger zufrieden mit ihrem derzeitigen Status«, sagt Slavomír Goga, Mitgründer der Organisation Gay and Lesbian League, »oder sie finden diesen Status nicht schlecht genug, um dagegen zu kämpfen«, fügt er hinzu. Nach Umfragen haben immerhin 70 Prozent der Tschechen »nichts gegen Homosexuelle«. Soziologen sprechen dabei von »bedingter Toleranz«, zu der man sich bekennt, solange man nicht direkt mit dem »Problem« konfrontiert ist. Ein Austausch über geschlechtspolitische Themen und Homosexualität findet vor allem im Internet statt. Hier informieren sich Lesben, Schwule, Bi- und Transsexuelle eher »unter sich« über Treffpunkte, Initiativen und Veranstaltungen. Parallel dazu versuchen Gruppen, die heteronormale Mehrheit mit ihren Themen zu konfrontieren und den öffentlichen Diskurs zu beeinflussen. Das erfordert vor allem Aufklärungsarbeit. Denn es geht primär darum, veraltete und biologistische Vorstellungen über Homosexuelle zu neu­tralisieren (»sie werden so geboren«, »sie können nichts gegen ihre Neigung tun« usw.). Der dekons­truktive queere Ansatz sei gesellschaftlich schwer zu vermitteln, meinen die Aktivisten. Sloboda arbeitet gemeinsam mit einer transsexuellen Frau in Schulen im Rahmen eines Aufklärungsprojekts namens »Vielfalt gegen Schikane«. Das Wort »queer« werde im Unterricht nicht benutzt, sagt er. Man fängt klein an und versucht, erst mal verbreitete Vorurteile über Lesben, Schwule, Bi- und Transsexuelle auszuräumen, zum Beispiel, dass Bisexuelle Menschen seien, die sich »nicht entscheiden können«.
Im Café Erra, wenige Tische von Sloboda entfernt, sitzt auch Janek Ružicka, der Chefredakteur und Autor des TV-Satiremagazins »Q«, vor seinem Laptop. »Es ist ein Nischenprogramm, aber es soll mehr anbieten als ›Nachrichten aus dem Ghetto‹«, sagt Ružicka. »Q« steht für queer, das Programm läuft im öffentlich-rechtlichen Fernsehen und soll auch Heterosexuelle ansprechen.

Auch L Quadrat, eine der wenigen Gruppen, in denen vor allem Frauen engagiert sind, bemüht sich darum, die Öffentlichkeit zu beeinflussen. Die Gruppe veranstaltet ein Kulturfestival in Prag, das unter anderem von namhaften Institutionen gesponsert wird, wie dem Goethe-Institut oder dem Slovak-Czech Woman Fund. L Quadrat ist auch Mitglied der Arbeitsgruppe für sexuelle Minderheiten des Rates für Menschenrechte. Das ist die einzige Gruppe, die nach 2006 politische Lobbyarbeit für LGTB-Menschen betreibt.
In den Kampf um die rechtliche Gleichstellung von gleichgeschlechtlichen Paaren ist derzeit wieder Bewegung gekommen. Die Arbeitsgruppe für sexuelle Minderheiten veranlasste eine Überprüfung des tschechischen Partnerschaftsgesetzes, insbesondere des dort festgeschriebenen Adoptionsverbots. »Das Adoptionsverbot ist verfassungswidrig, weil es gleichgeschlechtliche Paare aufgrund ihrer sexuellen Orientierung diskriminiert«, sagt Martina Štepánková von der Beratungsstelle für Bürger- und Menschenrechte, die der Arbeitsgruppe des Ministeriums für Menschenrechte und Minderheiten angehört.
Auf Initiative der Arbeitsgruppe hat der Minister Michael Kocáb der Regierung einen Vorschlag zur Änderung des Gesetzes vorgelegt. Die Novelle ist allerdings nur ein zaghafter Schritt zur Gleichstellung von sogenannten Regenbogenfamilien. Schwule und Lesben dürften dann individuell ein Kind adoptieren, nicht aber gemeinsam als Paar. Auch von der Stiefkindadoption ist keine Rede. Künftig wären weiterhin nur ein Vater oder eine Mutter als Elternteil anerkannt. Dagegen hat bislang niemand protestiert. Eine medienwirksame Front von Unterstützern aus den Reihen der LGTB-Community, die sich für ihre Elternrechte einsetzt, ist derzeit nicht in Sicht.
Štepánková blickt verhalten in die Zukunft: »Viele Politiker stimmten 2006 dem Gesetz unter der Bedingung zu, dass Adoption davon ausgeschlossen bleibt.« Bis es juristisch anerkannt ist, dass gleichgeschlechtliche Paare Familien gründen dürfen, könnte noch viel Zeit vergehen.