Die deutschen Ratschläge an die griechischen Regierung

Deutsches Provopoly

Deutsche Politiker loben die Sparpläne der griechischen Regierung. Andere halten sie für ein »Rezept für Mord und Totschlag«.

So viele lobende Worte hatte der griechische Premierminister Georgios Papandreou schon lange nicht mehr gehört. Man habe mit Freude die beschlossenen Sparmaßnahmen zur Kenntnis genommen, flötete Bundeskanzlerin Angela Merkel bei seinem Staatsbesuch vergangene Woche in Berlin, »und große Hochachtung vor dem, was Griechenland geleistet hat«. Vor allem der Umstand, dass Papandreou explizit nicht um Finanzhilfe nachgesucht hatte, dürfte Merkel gefallen haben. »Keinen Cent« wolle sein Land von deutschen Steuerzahlern, sagte er.

Vor dem Besuch des griechischen Premierministers hatte die Sorge, wegen des drohenden Staatsbankrotts mit Krediten einspringen zu müssen, in Deutschland schon fast hysterische Züge angenommen. »Verkauft doch eure Inseln, ihr Pleite-Griechen, und die Akropolis gleich mit!« titelte die Bild-Zeitung. Schließlich müsse ein Bankrotteur »alles, was er hat, zu Geld machen – um seine Gläubiger zu bedienen«, zitierte das Blatt den Vorsitzenden der CDU-Mittelstandsvereinigung MIT, Josef Schlarmann. »Griechenland besitzt Gebäude, Firmen und unbewohnte Inseln, die für die Schuldentilgung eingesetzt werden können.« Ähnlich äußerte sich der FDP-Finanzexperte Frank Schäffler.
Nichts scheinen die Deutschen mehr zu verabscheuen als die Vorstellung, andere könnten sich auf ihre Kosten ein schönes Leben machen. Wochenlang geisterte das Bild des liederlichen Griechen durch die Medien, der sich von seinen reichen Verwandten Geld geliehen hat, um es anschließend zu verprassen, während man selbst jeden Cent zweimal umdreht. Seit Beginn der Währungsunion werden nördlich der Alpen vor allem die südeuropäischen Mitgliedsstaaten argwöhnisch betrachtet. Weil sie früher häufig ihre Währungen abwerteten, um konkurrenzfähig zu bleiben, galten sie als potenzielles Risiko für einen stabilen Eurokurs, den vor allem Deutschland als größte Exportnation des Kontinents so sehr schätzt. Denn nur mit einer stabilen Währung können deutsche Unternehmen ihre Vorteile voll ausspielen.

Wie kaum ein anderer EU-Staat hat Deutschland von der Währungsunion profitiert. Mehr als drei Viertel der deutschen Exporte gehen in das europäische Ausland, während umgekehrt deutlich weniger Waren eingeführt werden. So lieferte Deutschland allein im vergangenen Jahr Waren im Wert von 6,7 Milliarden Euro nach Griechenland, importierte jedoch nur Güter für 1,8 Milliarden Euro. In den meisten EU-Ländern sieht das Verhältnis ähnlich aus. Als Folge dieses andauernden Ungleichgewichts häuften diese Länder enorme Defizite in ihrer Leistungsbilanz an, die sie vor allem über Kredite finanzierten. Dass dabei Griechenland nur mit einer trickreichen Buchhaltung die offiziellen Stabilitätskriterien einhalten konnte, war ein offenes Geheimnis. Das griechische Defizit wurde erst zum europäischen Problem, als der mögliche Bankrott eine Kettenreaktion auszulösen drohte.
Zumindest mangelt es den Griechen nicht an guten Ratschlägen aus Deutschland. So empfiehlt der Chef des Münchner Ifo-Instituts, Hans-Werner Sinn, einfach den Austritt aus der Euro-Zone. Da Griechenland auf Dauer nicht in der Lage sein werde, sein Leistungsbilanzdefizit über die Finanzmärkte zu refinanzieren, »bleibt uns nur die Möglichkeit, ihnen das Geld zu schenken«, was natürlich nicht in Frage kommt. Oder die Griechen senken radikal die Preise und Löhne, um wieder konkurrenzfähig zu werden, was Sinn wegen den damit verbundenen sozialen Unruhen für ein »Rezept für Mord und Totschlag« hält.
Tatsächlich haben die Griechen »gerade beste Chancen, zu Kollektivprobanden eines großen wirtschaftspolitischen Experiments zu werden«, kommentierte die Financial Times Deutschland (FTD) vorige Woche. »Immerhin hat in der Weltgeschichte noch keine Regierung versprechen müssen, so schnell und rabiat ein Staatsdefizit abzubauen – um ein Zehntel der Gesamtwirtschaftsleistung in drei Jahren.« Und das alles während einer Rezession. Ob das Experiment gelingt, ist daher fraglich. Zwar konnte die griechische Regierung vorige Woche überraschend problemlos Staatsanleihen in Höhe von fünf Milliarden Euro aufnehmen, nachdem sie das brachiale Sparprogramm beschlossen hatte. Doch in den kommenden Monaten muss sie weitere 20 Milliarden Euro auftreiben, weil demnächst alte Schulden und Zinsen für Kredite fällig werden. Womöglich heben sich die Sparmaßnahmen auf die Dauer selber auf, denn angesichts sinkender Löhne und steigender Steuern geht die Wirtschaftsleistung des Landes bereits jetzt dramatisch zurück.
Zudem haben die Beteuerungen vor allem der deutschen Regierung, die Griechen finanziell keinesfalls unterstützen zu wollen, Spekulationen auf den drohenden Bankrott ausgelöst, was Kredite verteuerte und die Situation zusätzlich verschärfte. Mittlerweile dämmert selbst den eifrigsten Verfechtern griechischer Sparsamkeit, dass dieses »germanische Maso-Verständnis von Ökonomie« (FTD) am Ende auch deutsche Wirtschaftsinteressen gefährden könnte. Denn was nutzt der Stabilitätspakt, wenn sich halb Europa keine deutschen Importwaren mehr leisten kann? Hinzu kommt, dass deutsche Banken bereits fast 70 Milliarden Euro Kredite an Griechenland vergeben haben. Scheitert die griechische Regierung mit ihren Maßnahmen, wäre der Schaden größer als die Kosten für potenzielle Finanzhilfen.

Die Anzeichen mehren sich, dass die EU nach einer längerfristigen Strategie sucht, die finanzielle Hilfe mit weitreichenden Kompetenzen kombiniert. »Für die innere Statik der Euro-Zone brauchen wir eine Institution, die über die Erfahrungen des IWF und über analoge Durchgriffsbefugnisse verfügt«, sagte Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) am Wochenende. Griechenlands Notenbankchef zeigte sich bislang wenig begeistert von den Plänen. Seine Regierung werde versuchen, die Krise alleine zu bewältigen. Man kann es ihm kaum verdenken. Denn wer will schon an der kurzen Leine eines deutschen Finanzministers leben?