Nichts von Format

Berlin Beatet Bestes, Folge 36. Bolle beatet Bestes, 1967.

Es ist überhaupt nicht einzusehen, warum ausgerechnet eines unserer wichtigsten Kulturgüter, die Musik, plötzlich ohne ein handfestes Trägermedium, ohne ein Objekt auskommen soll. Schließlich ist doch unsere ganze Welt ­immer noch voll von Objekten. Wir sind selbst Objekte und brauchen Objekte, um zu überleben. Niemand würde auf die Idee kommen, auf Hosen, Schuhe oder Stühle zu verzichten. Oder auf Nahrung. Die meisten Leute haben sich aber bereits damit abgefunden, ihre Musiksammlung in der Hemdtasche mit sich zu tragen. Schon gegen die CD habe ich mich immer gewehrt, ein Format, das sofort nach dem Erwerb fast wertlos wird.
Im Gegensatz zu Vinyl-Schallplatten, deren Wert fast immer steigt, lassen sich CDs sehr schlecht wieder verkaufen. Der Sammlermarkt bei Ebay konzentriert sich 25 Jahre nach Einführung der CD immer noch fast ausschließlich auf Vinyl. CDs werden dort zwar zu Abertausenden angeboten, aber kaum gekauft. Es ist zu vermuten, dass sich das auch in Zukunft nicht ändern wird und die CD, ähnlich wie die Kassette, ein minderwertiger Tonträger bleiben wird.
Ich habe vor 20 Jahren gelegentlich HipHop-CDs gekauft, ich werde aber mit Sicherheit nie MP3s kaufen, sie sind für mich wie des Kaisers neue Kleider: komplett wertlose unsichtbare Zahlenreihen. Natürlich sind MP3s praktisch, und ich stelle ja für meinen Blog dauernd selbst welche her, aber nichts kann mit meinen kleinen, bunten Schallplatten konkurrrieren, erst recht nicht, wenn ich sie auf einem meiner Monoplattenspieler abspiele. Die sind sowohl optisch als auch akustisch absolut überzeugend. Mono sind ja auch viele MP3-Spieler, der Klang meiner Plattenspieler kommt allerdings dem einer Stimme sehr nah, so direkt und eindringlich ist er. Soll doch die Industrie ein neues Format erfinden oder Vinyl verbessern. Es gibt sicher Möglichkeiten, die Qualität und Beschaffenheit des Materials zu optimieren. Eine Vielzahl von Kunden allerdings dauerhaft davon zu überzeugen, große Mengen von unsichtbaren Dateien zu kaufen, die man mit einem Mausklick sofort wieder vernichten kann, geht wahrscheinlich nur mit Hypnose. Hups, ich hab’ gerade 100 Gigabyte gelöscht!
Die Flexi-Disc stellt unter den Tonträgern, die sich auf dem Schallplattenspieler abspielen lassen, den minderwertigsten dar. In ihrer Hochzeit wurde sie hunderttausendfach gepresst. Die höchste je gepresste Auflage hatte mit über elf Millionen eine 1997 dem Kiffer-Magazin High Times beigelegte Flexi-Disc. Oft genug waren diese Schallfolien ein Wegwerfartikel. Ich besitze viele Schallfolien, die sich auch nach 40, 50 Jahren noch tadellos abspielen lassen. So auch diese von der Berliner Supermarktkette Bolle veröffentlichte Platte, die mich zum Titel meiner Kolumne inspiriert hat. Auf »Bolle bietet Bestes« wird von einer unbekannten Gruppe herrlichster Ersatz-Beat geboten. Zur einmaligen Verwendung oder aber auch noch zum Anhören in den nächsten 43 Jahren.