Der Kleine im Zelt

Eigentlich ist es ein Lob, wenn das Magazin Forbes vermerkt, das Vermögen eines Milliardärs sei self made. Da ist jemandem nicht etwa ein Erbe in den Schoß gefallen, vielmehr hat er sich hochgearbeitet, seine Chancen genutzt, neue Märkte erschlossen, die Konkurrenten hinter sich gelassen und unermüdlich sein Vermögen gemehrt, bis er schließlich in die exklusive Liste der Reichsten der Welt aufgenommen wurde. Dies gelang dem mexikanischen Logistikexperten Joaquín Guzmán Loera. Er gehört zu den wenigen Milliardären, die noch wissen, was ein unternehmerisches Risiko ist. Sogar Balladen wurden auf ihn gedichtet, El Buitre Mayor y el Bampi besingen die Größe dieses Mannes, der ungeachtet seines Reichtums manchmal in einem Zelt schläft.
Doch Joaquín Guzmán Loera, genannt »El Chapo« (der Kleine), wird der Erfolg missgönnt. Denn er handelt mit Kokain, und ihm wird nachgesagt, zahlreiche Konkurrenten und illoyale Mitarbeiter beseitigt zu haben. Doch Kollateralschäden haben auch andere hinterlassen. Jean-Claude Gandur etwa, der sich im vergangenen Jahr Platz 701 mit El Chapo teilte, verkaufte Öl für Saddam Hussein und war ein Freund des nigerianischen Diktators Sani Abacha. Nun ist Gandur auf Platz 536 vorgerückt, denn er hat sein Vermögen fast verdoppelt, indem er Unternehmensanteile verkaufte. In diesem Jahr rutschte El Chapo auf Platz 937 ab, weil viele andere ihr Vermögen mehrten. Ihm gelang das nicht, Unternehmensanteile werden in seiner Branche nicht verkauft, weil der Begriff »feindliche Übernahme« noch wörtlich genommen wird. Überdies hat El Chapo wie zahlreiche andere Unternehmer, die mit cash crops handeln, das Problem, dass der Preis seines Produkts tendenziell sinkt. Außerdem scheint der Niedergang der Finanzwirtschaft seine Branche besonders getroffen zu haben, Zehntausende Broker und andere treue Kunden wurden arbeitslos. Immerhin beseitigte das mexikanische Militär seinen Konkurrenten Arturo Beltran Leyva, doch geschah dies im Dezember 2009, zu spät, um die Jahresbilanz noch zu verbessern. Da El Chapos besonderes Talent der Aufbau neuer Vertriebswege ist, kann er nun wohl seinen Marktanteil steigern. Allerdings nur, wenn es ihm weiterhin gelingt, zwischen seinen Villen und Zelten so unauffällig hin- und herzupendeln, dass niemand sich die für seine Ergreifung ausgesetzte Belohnung von fünf Millionen Dollar verdienen kann.